Israelischer Premierminister Benjamin Netanyahu
Reuters/Amir Cohen
Wahlkampf in Israel

Viel Emotion, viele Kernfragen

Sachthemen haben im israelischen Wahlkampf wenig Gehör gefunden. Dabei sind Kernfragen wie der Nahost-Konflikt, der Ausgleich zwischen säkularen und orthodoxen Israelis, der Umgang mit Minderheiten im Land und soziale Probleme ungelöst.

Vielmehr versuchten fast alle, Stimmung mit Emotionen und provokanten Sagern zu machen. Und der Wahlkampf zeigte, wie sich das Land seit Benjamin Netanjahus Rückehr an die Macht vor zehn Jahren verändert hat. Dass Netanjahu, der seit Jahren von Ermittlungen wegen Korruptionsvorwürfen begleitet wird und dem nun in drei Fällen eine Anklage bevorsteht, weiter amtiert und erneut kandidiert, wäre vor einigen Jahren wohl nicht möglich gewesen.

Unter Netanjahus Ägide ist Israel insgesamt – nicht nur die Politik, sondern auch der gesellschaftliche Diskurs – spürbar nach rechts gerückt. Eingebettet ist das in eine internationale Entwicklung, aber auch in die Fortsetzung eines historischen Prozesses in Israel: weg vom sozialistischen Arbeiterstaat, als den die von der Staatsgründung bis 1977 regierende Arbeitspartei Israel aufbaute, hin zu einem kapitalistischen, wirtschaftsliberalen System.

Netanjahu hat diese Veränderung stets vorangetrieben und kam vor acht Jahren, als eine Protestwelle gegen die für viele kaum finanzierbaren Lebenskosten monatelang das ganze Land in Atem hielt, gehörig unter Druck.

Ex-Generalstabschef Benny Gantz
APA/AFP/Jack Guez
Mit Benni Ganz (r.) dürfte mit der Nachrichtensprecherin Gadir Mrich (Gadeer Mreeh) erstmals eine weibliche Abgeordnete der drusischen Minderheit in die Knesset einziehen.

Stillstand in Friedensprozess

Im Konflikt mit den Palästinensern kam es bei der Suche nach Lösungen zu einem Stillstand. Druck von Ex-US-Präsident Barack Obama ließ Netanjahu abprallen und nahm dafür auch notorisch schlechte Beziehungen mit dem Weißen Haus in Kauf. Mit dem aktuellen US-Präsidenten Donald Trump änderte sich alles um 180 Grad. Trump erkannte Jerusalem als Israels Hauptstadt an – und zuletzt sprach er sich dafür aus, dass die USA die Annexion der Golanhöhen durch Israel anerkennen.

Die Sicherheitslage innerhalb Israels wurde – unter anderem durch den Bau eines Betonwalls an der Grenze zum Westjordanland – deutlich verbessert, auch wenn es immer wieder Anschläge gab und gibt. Die Dringlichkeit einer Nahost-Friedenslösung ist damit – zumindest scheinbar – nicht mehr so gegeben. Weit verbreitet ist in Israel das Gefühl, dass es derzeit keine reelle Chance auf eine Einigung mit den Palästinensern gibt.

Sicherheitspolitisch sind weder Terroranschläge noch Angriffe der Hamas vom Gazastreifen für Israel zentrale Probleme. Diese Risiken sind begrenzt. Die größte Gefahr für den Staat sehen Israelis – egal welcher politischer Couleur – vielmehr im Iran, der dem Land immer wieder mit Vernichtung droht, und seinem Verbündeten Hisbollah. Die Terrorgruppe versucht derzeit, ihre Präsenz an der nördlichen Grenze – vom Libanon nach Syrien – auszuweiten.

Restriktive Flüchtlingspolitik

Netanjahu griff zudem im Umgang mit einer vor Jahren einsetzenden starken Bewegung von (nicht jüdischen) Flüchtlingen und Migranten aus Ostafrika über die Sinai-Halbinsel nach Israel auf ähnliche Methoden wie später Ungarns Regierungschef Viktor Orban zurück: Zaun und Mauer wurden errichtet und die Rechte von im Land befindlichen Asylwerbern eingeschränkt.

Die Wahl wurde übrigens wegen eines internen Streits in der Rechtskoalition von Netanjahu ausgelöst: Die darin vertretenen säkularen und religiösen Parteien konnten sich auf keinen Kompromiss bei einem der seit Jahrzehnten innenpolitisch „heißesten Eisen“ einigen: dem Wehrdienst für Ultraorthodoxe. Nach einem Höchstgerichtsurteil ist ein diesbezügliches Gesetz längst überfällig. Doch die religiösen Parteien sind meist wichtige Mehrheitsbringer in der Knesset. Auch über diese zentrale innerisraelische Gerechtigkeitsfrage wird der Wahlausgang entscheiden – es sei denn, auch die nächste Regierung ereilt das gleiche Schicksal wie die aktuelle.