SDF-Flagge
APA/AFP/Giuseppe Cacace
IS in Syrien besiegt

Warnung vor „Schläferzellen“

Mit der Einnahme des Dorfs Baghus im Osten Syriens durch kurdisch-arabische Einheiten hat die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) das letzte von ihr kontrollierte Gebiet verloren. Damit ist das im Juli 2014 in Teilen Syriens und des Irak ausgerufene „Kalifat“ der Extremisten Geschichte. Doch wird bereits vor einer Rückkehr des IS gewarnt.

Zwar sei das von der Terrormiliz ausgerufene „Kalifat“ „vollständig eliminiert“, und dem IS sei eine „hundertprozentige territoriale Niederlage“ zugefügt worden, wie Mustafa Bali, Sprecher der von den USA unterstützten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) am Samstag erklärte. Doch warnten die syrischen Kurden gleichzeitig vor einem Wiedererstarken der Terrormiliz.

Die Befreiung der letzten IS-Bastion in Syrien sei zwar ein „historischer Moment“, auf den die internationale Gemeinschaft gewartet habe, sagte der Außenbeauftragte des politischen Arms der SDF, Abdel Karim Umar, am Samstag der dpa. „Das bedeutet aber nicht, dass wir den Terror besiegt haben“, so der Außenbeauftragte.

„Kann in neuer Form wiederauferstehen“

„Daesh (die arabische Bezeichnung für den IS, Anm.) ist in den befreiten Gebieten noch immer präsent“, so Abdel Karim Umar. Es gebe in der Region Dutzende Schläferzellen, erklärte der Kurdensprecher. Auch die IS-Ideologie sei noch immer lebendig. „Daesh kann in neuer Form wiederauferstehen.“

Das Weiße Haus hatte bereits am Freitag die Vertreibung des IS aus Baghus verkündet, obwohl die Kämpfe zu dem Zeitpunkt laut SDF noch andauerten. Die letzte IS-Bastion war Freitagfrüh nach zweitägiger Pause wieder unter Beschuss genommen worden. Die Offensive zur Befreiung von Baghus hatte am 9. Februar begonnen. Die Dschihadisten leisteten erbitterten Widerstand.

„Historischer Moment“

Der IS hatte 2014 weite Teile Syriens und des Irak unter seine Kontrolle gebracht und ein „Kalifat“ ausgerufen. Im Irak galt er bereits als besiegt. Mit der Einnahme von Baghus ist das „Kalifat“ nun Geschichte. Die Dschihadisten sind aber weiterhin präsent – wenn auch nur in kleineren Gruppen und weithin verteilt.

Flagge der Syrischen Streitkräfte
Reuters/
Die Fahne der SDF auf einem zerschossenen Gebäude in Baghus am Samstag

Die vollständige Einnahme von Baghus soll nun faktisch das Ende der IS-Herrschaft in der Region besiegeln. Mehr als 60.000 Menschen sind nach Angaben der SDF-Rebellen in den vergangenen zwei Monaten aus dem umkämpften Gebiet an der irakischen Grenze geflohen. Etwa 5.000 IS-Kämpfer hätten sich ergeben.

Sommer 2014 auf Höhepunkt der Macht

Damit erreicht der Krieg gegen den IS in Syrien und im Irak nach fast fünf Jahren sein vorläufiges Ende. Die Extremisten hatten im Sommer 2014 den Höhepunkt ihrer Macht erreicht, als sie die nordirakische Millionenstadt Mossul überrennen konnten. Kurz darauf rief die Terrormiliz ein „Kalifat“ unter Führung von IS-Chef Abu Bakr al-Bagdadi aus, der sich in einer Moschee Mossuls bei einer Freitagspredigt das bisher einzige Mal öffentlich zeigte.

Die Dschihadisten kontrollierten damals eine riesige Region, die sich über große Teile Syriens und des Irak erstreckte. Mit dem Beginn der internationalen Militärintervention unter US-Führung verlor der IS sein Herrschaftsgebiet jedoch nach und nach. Mit Unterstützung aus der Luft brachten es lokale Bodentruppen unter ihre Kontrolle.

Eine Bastion nach der anderen gefallen

Im Sommer 2017 konnte die irakische Armee Mossul nach monatelangen heftigen Kämpfen vollständig befreien. Im Herbst desselben Jahres verloren die Dschihadisten die nordsyrische Stadt al-Rakka, die inoffizielle Hauptstadt des IS. Ende 2017 erklärte der Irak den militärischen Sieg über die Terrormiliz. Zurück bleiben zerstörte Städte und Regionen, deren Wiederaufbau Milliarden kosten wird.

Kurden verkünden Sieg über IS

Mit der Einnahme des Dorfs Baghus im Osten Syriens verlor der IS das letzte von ihm kontrollierte Gebiet.

In Baghus nahe der Grenze zum Irak waren bis zuletzt noch IS-Anhänger auf engstem Raum am Ufer des Euphrat-Flusses in einem Zeltlager eingeschlossen, wo sie sich in Gräben und Tunnel eingegraben hatten. Bis zum Schluss leisteten sie Widerstand. Auch IS-Chef Abu Bakr al-Bagdadi soll Medienberichten zufolge in Baghus gewesen, vor Beginn der kurdischen Offensive aber in die umliegenden Wüstengebiete geflohen sein.

In den vergangenen Wochen hatten Tausende IS-Kämpfer aufgegeben und sich den SDF-Truppen gestellt. Sie wurden in Gefangenenlager gebracht und verhört. Auch Zehntausende Zivilisten, darunter Angehörige der IS-Kämpfer, verließen den Ort. Die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in Großbritannien warf den Extremisten vor, Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen.

Baldiger US-Abzug wird wahrscheinlicher

Mit dem Sieg über den IS wird auch ein baldiger Abzug der US-Truppen aus Syrien wahrscheinlicher, den US-Präsident Donald Trump im Dezember angekündigt hatte. Allerdings soll nach letzten Plänen des Weißen Hauses noch ein Truppenkontingent im Land bleiben. Die Abzugspläne haben international massive Kritik ausgelöst. Militärs und Beobachter warnen, der IS sei trotz der Niederlage noch nicht besiegt und könne wiedererstarken. In einem vor einigen Wochen vom Pentagon veröffentlichten Bericht heißt es, der IS bleibe aktiv und könne in sechs bis zwölf Monaten wieder aufleben.

ORF-Korrespondent El-Gawhary zum Sieg über den IS

Karim El-Gawhary vermutet, der IS werde sich in den Untergrund zurückziehen und von dort aus mit Guerillataktiken operieren.

Trump feierte indes die Befreiung als Erfolg und drohte der Terrormiliz. Gemeinsam mit den SDF und anderen Mitgliedern der Anti-IS-Koalition hätten die USA das restliche Gebiet vom IS zurückerobert, hieß es am Samstag in einer Stellungnahme Trumps. „Die Feiglinge werden gelegentlich wieder auftauchen, aber sie haben ihr Ansehen und ihre Macht verloren. Sie sind Verlierer und sie werden immer Verlierer bleiben“, fügte Trump mit Blick auf die Extremisten hinzu.

Die USA würden „wachsam“ bleiben und den Kampf gegen den IS fortsetzen, bis die Terrormiliz endgültig besiegt sei. Trump warnte junge Menschen außerdem davor, Aufrufen der Extremisten zu folgen. „An alle jungen Leute im Internet, die an die Propaganda des IS glauben: Ihr werdet sterben, wenn ihr euch ihnen anschließt. Denkt stattdessen darüber nach, ein großartiges Leben zu haben.“

Türkischer Angriff auf YPG droht

Bei einem US-Abzug droht auch ein Angriff der Türkei auf die Kurdenmiliz YPG, die die SDF anführt. Die Regierung in Ankara sieht in der Miliz einen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und hat sie als Terrororganisation eingestuft. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat eine Offensive gegen die YPG angekündigt.

Die Kurden kontrollieren in Nordsyrien ein großes Gebiet an der Grenze zur Türkei und haben dort eine Selbstverwaltung errichtet. Die YPG ist der wichtigste Verbündete der USA in Syrien. Unter Führung der Miliz konnten die SDF die größten Teile des IS-Gebiets in dem Bürgerkriegsland einnehmen, darunter wichtige Ölquellen.