Theresa May
Reuters/Henry Nicholls
Großdemo, Petition, Torys

Protest gegen May wird lauter

Angesichts des bevorstehenden EU-Austritts steigt die Nervosität bei vielen Britinnen und Briten. Mit einer Massendemonstration und einer über vier Millionen Mal unterzeichneten Petition zeigen viele Brexit-Gegner ihren Protest gegen die Linie der britischen Premierministerin Theresa May. Doch auch in eigenen Reihen regt sich zunehmend Widerstand.

Viele Tory-Abgeordnete fordern Berichten zufolge bereits den Rücktritt Mays und bezeichnen die kommenden Tage als Schicksalswoche – entsprechend machen Spekulationen über einen möglichen Rücktritt der Premierministerin immer stärker die Runde.

Der „Daily Telegraph“ berichtete etwa, der konservative Abgeordnete Graham Brady, der ranghöchste Tory-Politiker außerhalb der Regierung, sei bereits am Montag im Regierungssitz in der Downing Street gewesen, um May eine Rücktrittsaufforderung zu übermitteln. Die Chancen auf eine Parlamentsmehrheit für den mit der EU ausverhandelten Brexit-Deal werden von Beobachtern als äußerst gering eingeschätzt.

Anti-Brexit-Demo gestartet

Mit dem errungenen Aufschub des Brexit sehen die britischen EU-Anhängerinnen und -Anhänger ihre wohl letzte Chance gekommen, das Unausweichliche zu umgehen und etwas gegen den Austritt Großbritanniens zu unternehmen: Samstagmittag startete in London eine große Protestaktion gegen den Brexit bzw. für ein zweites Referendum, bereits zu Beginn war laut BBC von Zehntausenden Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Rede – 700.000 wurden erwartet.

Proteste in London
AP/Kirsty Wigglesworth
Die Demo gegen den Brexit nahm bereits Samstagmittag an Fahrt auf

Vier Millionen Unterschriften

Zudem wurde eine Onlinepetition von bisher über vier Millionen Menschen unterschrieben. In der Petition wird gefordert, dass das Austrittsgesuch zurückgezogen wird und Großbritannien in der EU verbleibt. Das britische Parlament muss den Inhalt jeder Petition mit mehr als 100.000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern für eine Debatte berücksichtigen.

All die Anstrengungen der Brexit-Gegner dürften aber ins Leere laufen. May hatte eine Abkehr vom Brexit beim EU-Gipfel am Donnerstag einmal mehr abgelehnt. Beim ersten Referendum über den EU-Austritt im Jahr 2016 hatte eine knappe Mehrheit, 17,4 Millionen Briten, für den Brexit gestimmt. Darüber wollen sich die britischen Politiker nicht hinwegsetzen. Ein zweites Brexit-Referendum würde zudem laut der britischen Wahlkommission mindestens vier, eher sechs Monate an Vorbereitung brauchen.

Abstimmung nur bei „ausreichender Unterstützung“

Noch am Freitag hatte May versucht, ihre Torys unter Druck zu setzen: Sie werde das Abkommen nach zwei früheren Nein-Voten nur dann in der nächsten Woche erneut zur Vorlage bringen, wenn sich eine „ausreichende Unterstützung“ abzeichne, schrieb May am Freitag in den Brief an die Abgeordneten. Bei zwei früheren Abstimmungen war die Regierungschefin mit dem Deal krachend durchgefallen. Ein dritter Anlauf war für die kommende Woche geplant.

Zuvor hatte die nordirische Partei DUP, auf deren Stimmen Mays Minderheitsregierung seit einer verpatzten Neuwahl angewiesen ist, angedeutet, das Abkommen weiterhin nicht zu unterstützen. Ursprünglich wollte Großbritannien die Europäische Union schon am kommenden Freitag verlassen, doch der Termin ist nicht mehr zu halten.

Völlig unklar ist auch noch, wie sich der britische Parlamentspräsident John Bercow verhalten wird. Er hatte zuletzt überhaupt ausgeschlossen, ein drittes Mal über den gleichen Vertrag abstimmen zu lassen. Der EU-Gipfel kam May für eine Abstimmung entgegen: Er billigte offiziell die Zusagen, die die EU-Kommission May im März gegeben hatte. Dieses Papier soll das Brexit-Abkommen ergänzen – und so eine neue Abstimmung im Unterhaus überhaupt ermöglichen.

Teilnahme an EU-Wahl „falscher Schritt“

Sollte der Vertrag keinen ausreichenden Rückhalt finden, könne Großbritannien in Brüssel einen weiteren Aufschub des ursprünglich eben für den 29. März vorgesehenen EU-Austritts beantragen. Dann müsste das Vereinigte Königreich allerdings an den Europawahlen im Mai teilnehmen. May ist nach eigenen Worten „zutiefst davon überzeugt“, dass dieser Schritt „falsch“ wäre.

Britische Premierministerin Theresa May
APA/AFP/Emmanuel Dunand
Theresa May drohte, den Deal nicht noch einmal zur Abstimmung zu bringen

Die EU-Staats- und -Regierungschefs hatten Großbritannien am Donnerstag einen Aufschub beim Brexit gewährt. Würde das britische Parlament das Austrittsabkommen kommende Woche doch noch annehmen, würde der Brexit auf den 22. Mai verschoben. Ansonsten muss London bis zum 12. April entscheiden, wie es weitergehen soll. Ohne Entscheidung käme es zu einem ungeordneten Austritt.

Kurz: Appell an britische Abgeordnete

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagte am Freitagabend in der ZIB2 zu den Chancen, dass der Brexit-Deal im dritten Anlauf im Londoner Unterhaus angenommen wird: „Die Optimistischsten sagen, es ist 50:50. Wir müssen jedenfalls damit rechnen, dass es nicht durchgeht.“

Kanzler Kurz: „Wollen ‚Harten Brexit‘ verhindern“

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) sagt in der ZIB2, dass ein „Harter Brexit“ abgewendet worden sei – aber nur vorerst.

„Auf das Schlechteste vorbereitet, aber hoffen das Beste"

Eine Verschiebung des Brexits bis nach der Europawahl im Mai wäre jedenfalls nicht wünschenswert. „Eigentlich waren alle Kolleginnen und Kollegen im Rat einer Meinung, dass wir uns eine Verschiebung über die Europawahl hinaus nicht vorstellen können“, sagte Kurz. Würden die Briten an der EU-Wahl teilnehmen, würde das „Chaos aus Großbritannien (…) in die Europäische Union importiert“.

Die Folge wäre, dass es dann „spätestens am 12. April“ einen weiteren EU-Gipfel gebe. „Die einzige Chance, die es de facto gibt, ist, dass es im Unterhaus ein Umdenken gibt“, sagte Kurz. Er appellierte an die britischen Abgeordneten zu begreifen, „dass das wirklich ihre letzte Chance ist“ und nicht nachverhandelt werde.

EU-Ratschef Donald Tusk sagte, nun sei das britische Parlament wieder am Zug. „Das Schicksal des Brexits liegt in den Händen unserer britischen Freunde“, so Tusk. „Wir sind auf das Schlechteste vorbereitet, aber hoffen das Beste. Wie Sie wissen: Die Hoffnung stirbt zuletzt.“