Del Ponte für Internationalen Gerichtshof in Nachbarland Syriens

Die Ex-Chefanklägerin der UNO-Kriegsverbrechertribunale, Carla del Ponte, tritt dafür ein, einen internationalen Gerichtshof mit Sitz in einem Nachbarland Syriens zu gründen. Dort sollte auch über europäische IS-Kämpfer verhandelt werden. Ein solches Gericht könnte „zum Beispiel in Jordanien, in der Türkei oder im Libanon“ ansässig sein, so Del Ponte im Interview mit der „Presse am Sonntag“.

„Es wäre natürlich besser, wenn man sie in Syrien vor Gericht stellen könnte. Aber dort existiert kein Justizapparat mehr“, so Del Ponte. „Das Tribunal könnte all diese schweren Verbrechen ahnden und Täter vor Gericht stellen – die Staaten wären von der Gefahr der ‚Foreign Fighters‘ befreit.“

Es sollte ein Tribunal nach dem Vorbild von Ex-Jugoslawien oder Ruanda sein. Der Internationale Strafgerichtshof habe die Ressourcen nicht, um alle diese Fälle zu behandeln. „Es wären zu viele“, sagt die Juristin. Ein internationaler Gerichtshof an Ort und Stelle sei viel einfacher.

„Krise der internationalen Strafgerichtsbarkeit“

Die Verhandlungen könnten auf Arabisch stattfinden. Das würde weniger Kosten verursachen. Außerdem sollte der Gerichtshof „nicht nur die hohen Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen, sondern auch die Täter auf mittlerer Ebene, die die Verbrechen ausgeführt haben.“ Del Ponte ortete in dem Interview mit der „Presse am Sonntag“ außerdem eine „Krise der internationalen Strafgerichtsbarkeit“ und eine „Schwäche der UNO“.

„Die UNO steht still. Humanitäre Hilfe ist alles, was sie machen kann – und das nicht so gut, wie es sein sollte“, so die frühere Chefanklägerin. Sie frage sich: „Wo sind die Menschenrechte geblieben? Syrien, Jemen, afrikanische Staaten, Venezuela – man muss sich auf der Welt ja nur umschauen, dann sieht man, wie katastrophal die Lage ist. Menschenrechte dienen nur noch als Alibi und werden angesprochen, wenn es politisch opportun ist. Das ist wirklich schrecklich. Wir sind an einem Tiefpunkt angelangt, den ich mir nie hätte vorstellen können.“

Menschenrechtsverletzungen in Syrien

Del Ponte war von 1999 bis 2007 Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs für Jugoslawien und bis 2003 ebenfalls für Ruanda. Von 2011 bis 2017 war sie Mitglied einer UNHCHR-Kommission (IICISyria), die Menschenrechtsverletzungen in Syrien im dortigen Bürgerkrieg untersuchte. Solche Foltermethoden wie in Syrien habe sie noch nie gesehen, sagte die 72-jährige Schweizerin.

„In Syrien lässt man die Menschen so lang, wie es geht, am Leben, damit sie länger leiden. Das war in den Fällen, die ich beim Jugoslawien-Tribunal erlebt habe, nicht so. Und wie die Kinder behandelt wurden. Sie wurden getötet, zum Kämpfen gezwungen, starben auf der Flucht. Das ist unglaublich.“