Friedrich Achleitner
APA/Herbert Neubauer
Autor und Architekturkritiker

Friedrich Achleitner ist tot

Friedrich Achleitner, Doyen der heimischen Architekturkritik und Hauptvertreter der Konkreten Poesie, ist tot. Wie der Zsolnay Verlag bekanntgab, verstarb Achleitner am Mittwoch im 89. Lebensjahr in Wien.

Achleitner, der Architektur studierte, aber nie gebaut hat, ging gemeinsam mit H. C. Artmann, Oswald Wiener, Gerhard Rühm und Konrad Bayer als Wiener Gruppe in die Literaturgeschichte ein. Sie zettelten gemeinsam Ende der 1950er Jahre eine sprachexperimentelle Revolution an. Sein Lebenswerk in Sachen Architektur, die mehrbändige Dokumentation „Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert“, vollendete der wortmächtige, architekturbesessene Publizist kurz nach seinem 80. Geburtstag.

„Der Achleitner“, wie die ausführliche Dokumentation unter Architekten heißt, machte den Architekturhistoriker zur kritischen Instanz. An seinem „Opus magnum“, der umfassenden aktuellen Bestandsaufnahme der heimischen Architektur, arbeitete er seit 1965. Zu seinen wichtigsten literarischen Werken zählen u. a. „schwer schwarz“ (1960) und der 1973 erschienene „quadratroman“.


Konrad Bayer, H. C. Artmann, Gerhard Rühm und Friedrich Achleitner
1956 im Cafe Hawelka
picturedesk.com/Imagno/Franz Hubmann
Konrad Bayer, H. C. Artmann, Gerhard Rühm und Friedrich Achleitner (Rücken von Oswald Wiener) 1956 im Cafe Hawelka

Hinweis

Ö1 ändert in memoriam Achleitner das Programm und sendet am Samstag, 22.20 Uhr, „Nachtbilder – Achleitner liest Achleitner ‚innviaddla liddanai‘“, am Sonntag, 9.05 Uhr, „Gedanken Zufall und Fügung. Friedrich Achleitner über Sprache, Architektur und mangelnde Lebensplanung“ und um 23.00 Uhr „Tonspuren: Der Literatekt“.

„Da müsste ich hundert werden“

1980 erschien im Residenz Verlag der erste Band, in dem Bauwerke in Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg dokumentiert sind. Der zweite Teil (1983) umfasst Kärnten, die Steiermark und das Burgenland, während sich Band drei der Bundeshauptstadt widmen sollte. Aufgrund des Umfangs entschloss sich Achleitner aber dazu, Wien in drei eigene Abschnitte zu gliedern: 1990 kam die Beschreibung des ersten bis zwölften Bezirks heraus, 1995 folgten die Bezirke 13 bis 18. Im Herbst 2010 erschien schließlich 19 bis 23.

Einzig Niederösterreich fehlt in dem Oeuvre. Das müssten, so sagte er damals, andere übernehmen. „Das schaffe ich nicht mehr. Da müsste ich hundert Jahre alt werden“, so Achleitner 2010. Laut Residenz Verlag, wo die Reihe erschienen ist, gibt es keine Planung für einen Niederösterreich-Band, es fehle auch an der Finanzierung.

Zuletzt vor allem literarisch tätig

In den vergangenen Jahren arbeitete Achleitner wieder vermehrt als Literat. Schließlich sei er damals des Schreibens wegen, nicht der Architektur nach Wien gekommen, sagte er einmal. Im Zsolnay Verlag erschienen in den letzten Jahren etwa „wiener linien“ (2004), „und oder oder und“ (2006), „der springende punkt“ (2009) und der Dialektgedichte-Band „iwahaubbd“ (2011) sowie „wortgesindel“. Darin zeigte Achleitner ironisch den sorglosen Umgang mit der Sprache auf.

Achleitner wurde am 23. Mai 1930 in Schalchen in Oberösterreich geboren und besuchte die Höhere Bundesgewerbeschule in Salzburg und studierte danach Architektur bei Clemens Holzmeister in Wien. 1957 trat er gemeinsam mit Artmann, Rühm, Wiener und Bayer als legendäre Wiener Gruppe zum ersten Mal an die Öffentlichkeit. 1959 veröffentlichte Achleitner gemeinsam mit Artmann und Rühm den Dialektband „hosn rosn baa“, ein Jahr darauf publizierte er „schwer schwarz“.

Kampf gegen Abrissbirne

Nach dem Zerfall der Wiener Gruppe wandte sich Achleitner vor allem der Architekturkritik zu. Nach einer einjährigen anonymen Tätigkeit bei der „Abendzeitung“ (1961) wechselte er zur „Presse“, für die er bis 1972 regelmäßig über die Qualität der österreichischen Baukunst schrieb. Als Vater der heimischen Architekturkritik trat er energisch gegen Abbruchspekulation und unkünstlerisches Bauen auf.

1968 erhielt Achleitner nach mehrjähriger Lehrtätigkeit eine provisorische Professur für Geschichte der Baukonstruktion an der Akademie der bildenden Künste, bevor er 1972 ein einjähriges Literaturstipendium in Berlin antrat. Dort nahm er seine schriftstellerische Tätigkeit wieder auf und verfasste seinen „quadratroman“ (1973).

„Mauern des Unverständnisses niederreißen“

Von 1983 bis 1998 stand Achleitner der Lehrkanzel für „Geschichte und Theorie der Architektur“ an der Wiener Hochschule für angewandte Kunst vor. Ausgezeichnet wurde der in Wien lebende Architekt und Autor unter anderem mit dem Theodor Körner Preis (1957), dem Preis für Architekturpublizistik der Österreichischen Gesellschaft für Architektur, dem Österreichischen Staatspreis für Kulturpublizistik (1984), der Goldenen Ehrenmedaille der Stadt Wien (1995), dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien (2002) und dem Ehrenring der Universität für angewandte Kunst Wien (2007).

Im Jahr 2009 wurde er siebentes Ehrenmitglied der Wiener Secession, 2011 erhielt er den Watzlawick-Ehrenring. Damals sagte der Geehrte, er habe sich stets weder nur als Kritiker, Schriftsteller oder Sprachkünstler noch ausschließlich als Dokumentator gesehen, „sondern als jemand, der Mauern des Unverständnisses niederreißen möchte sowie Fantasie, Ratio und emotionale Wissenschaft in einen Diskurs bringen wollte“.

Van der Bellen: Streitbar und leidenschaftlich

„Österreich verliert einen streitbaren Kritiker, leidenschaftlichen Förderer hochwertiger österreichischer Architektur und zugleich einen Mitbegründer der heimischen Literatur nach 1945“, würdigte Bundespräsident Alexander Van der Bellen Achleitner. Sein Tod „reißt eine große Lücke in die heimische Kunst- und Kulturszene“, so Van der Bellen.

Als „Vorbild, Begleiter und Beschützer“ würdigte Gerhard Ruiss (IG Autorinnen Autoren) den Dichter, dessen „Verdienste um die Literatur“ er als „unschätzbar“ bezeichnete. „Er hat Geschichte und Gegenwart gleichermaßen verkörpert und war darin ebenso ruhig und konzentriert wie unbeirrbar, eine menschliche wie künstlerische Größe.“

„Friedrich Achleitners Werk ist gar nicht hoch genug einzuschätzen, seine Bücher zeugen davon, sein internationales Renommee spricht für sich“, würdigte Zsolnay-Verlagsleiter Herbert Ohrlinger den Verstorbenen. „Was ihn aber so besonders machte, war, dass er immer absolut bei sich geblieben ist, geerdet war – nur ka Schmoiz ned auf Wienerisch. Eine Ausnahmeerscheinung. Der Verlag und ich verlieren nicht nur einen Autor, wir verlieren einen Freund.“