Lehrerin neben Schülern
ORF.at/Carina Kainz
Bildungsbericht 2018

Die Frage nach der Lehrerverteilung

Welche Lehrer unterrichten eigentlich welche Schüler? Der Nationale Bildungsbericht 2018 hat sich unter anderem auch mit dieser Frage beschäftigt und eine sehr konkrete Antwort geliefert: Lehrer und Lehrerinnen mit geringer Berufserfahrung stehen tendenziell öfter in Klassen mit schwierigen Rahmenbedingungen.

„Je höher der Anteil an Schülerinnen und Schülern mit nichtdeutscher Muttersprache, desto höher ist der Anteil der Lehrkräfte mit geringer Berufserfahrung“, heißt es in der Analyse des Bildungsberichts, der am Mittwoch präsentiert wurde. Zwar basiert die Auswertung auf Zahlen, die vor der Reform der Neuen Mittelschule (NMS) erhoben wurden. Allerdings, so argumentieren die Studienautoren und -autorinnen, sei anzunehmen, dass sich in den vergangenen Jahren bei der Verteilung der Lehrkräfte innerhalb von Schulen und Klassen wenig geändert hat.

Überhaupt sei bisher die Frage nach der Verteilung von Lehrqualität in Österreich nicht behandelt worden. Die Analyse, die zusammen mit dem aktuellen Bildungsbericht 2018 erschienen ist, liefere einen ersten Einblick auf das Phänomen, das die Klassenzusammensetzung und Qualität einer Schule bzw. Klasse prägt. Denn, so die Autorinnen und Autoren, mit zunehmender Berufserfahrung würden Lehrpersonen am Ende doch erfolgreicher unterrichten.

Alterspyramide mit Schieflage

Grundsätzlich unterrichten freilich mehr erfahrene Lehrkräfte mit einer Berufserfahrung von 16 Jahren und mehr die Klassen mit einem hohen Anteil von Schülerinnen und Schülern mit nichtdeutscher Muttersprache. Das liegt allen voran daran, weil die älteren Jahrgänge überrepräsentiert sind, die mittleren und unteren Jahrgänge hingegen stark unterrepräsentiert. Laut Bildungsbericht 2018 wurden 2016 knapp 30 Prozent der gesamten Lehrleistung von Lehrpersonen erbracht, die 55 Jahre oder älter sind. Zwar zeichne sich eine Trendwende auf Landesebene ab, aber die „Schieflage“ sei weiterhin sehr stark ausgeprägt.

Grafik zeigt Verhältnis der Berufserfahrung der Lehrkräfte zum Anteil der Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache
Grafik: ORF.at; Quelle: Nationaler Bildungsbericht 2018/Bifie/TALIS 2008

An den Hauptschulen, die 2015 durch die NMS abgelöst wurden (schon seit 2012 ist die NMS die gesetzlich verankerte Regelschule), stieg der Anteil von Lehrkräften mit geringer Berufserfahrung, je höher die Quote der Schülerinnen und Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache war. Gleichzeitig wird an Schulen mit mehr nichtdeutschsprachigen Kindern auch etwas häufiger fachfremd unterrichtet – also durch Pädagogen und Pädagoginnen, die für das entsprechende Fach nicht ausgebildet sind. Das zeigen Daten aus dem Jahr 2008, die für die Forschenden auch heute noch Gültigkeit haben.

An den Unterstufen im Gymnasium (AHS) gibt es dieses Phänomen nicht – im Gegenteil: Auf der einen Seite, das zeigen die Daten, sinkt der Anteil unerfahrener Lehrkräfte, je mehr Schüler und Schülerinnen mit nichtdeutscher Muttersprache in der Klasse sitzen. Auf der anderen Seite steigt der Anteil der erfahrenen Lehrerinnen und Lehrer an diesen Schulen. Sowohl an AHS-Unterstufen als auch an Hauptschulen (gilt auch für NMS) unterrichteten erfahrene Lehrkräfte häufiger in Klassen mit einem geringen Anteil an Akademikerkindern.

Eigene Motivation als Ursache möglich

Die Gründe für die Lehrkräfteverteilung innerhalb von Schulen und auch innerhalb von Klassen sind nicht ganz genau geklärt. Laut den Autoren und Autorinnen könnte zu den möglichen Ursachen unter anderem die eigene Motivation zählen. Am Beginn der Karriere könnte etwa die Möglichkeit, benachteiligten Schülern zu helfen, eine größere Rolle spielen. Außerdem sei die Personalfluktuation an benachteiligten Schulen höher – das führt automatisch zu mehr freien Stellen für frisch ausgebildete Pädagogen.

Denkbar sei auch, dass Schulen mit vielen freien Stellen ihre Anstellungserfordernisse senken und deshalb zur Besetzung von Stellen auch Lehrkräfte anstellen, die fachfremd unterrichten müssen. Innerhalb von Schulen könnte auch das Senioritätsprinzip bei der Erstellung der Stundenpläne eine Rolle spielen: Berufseinsteiger und -einsteigerinnen bekommen die „schwierigeren“ Klassen, etablierte Pädagogen und Pädagoginnen suchen sich die „einfacheren“ aus.

Entwicklung könnte sich verschärfen

Verstärkt werden könnte die Entwicklung durch die neue Schulautonomie. Bisher funktionierte die Zuteilung der Lehrer und Lehrerinnen an die einzelnen Schulen weitgehend zentralisiert über die Landesschulräte (heute: Bildungsdirektionen). Künftig sollen sich die Schulen die Lehrer verstärkt selbst aussuchen dürfen. „Somit kann es zu einer Verstärkung der ungleichen Verteilung von Lehrkraftqualität kommen, da segregierte Schulstandorte wenig attraktiv für Lehrkräfte sind“, heißt es in der Studie.

Gegenmaßnahmen könnten gewisse Anreize sein: zum Beispiel höhere Gehälter für den Unterricht an benachteiligten Schulen, bessere Arbeitsbedingungen an diesen Standorten sowie Mentoring für Junglehrer und -lehrerinnen. „Lehrerwünsche nach den ‚besten Klassen‘ sollten weniger beachtet werden, und die Lehrkraftzuteilung sollte stärker durch die Schulleitungen erfolgen“, heißt es weiter.

Auch Bildungsbericht-Mitherausgeber und Bildungsforscher Ferdinand Eder plädierte vor Journalisten und Journalistinnen dafür, dass Lehrpersonen künftig nach sachlichen Kriterien den Klassen zugeteilt werden. Es sei zwar aus individueller Sicht nachvollziehbar, dass erfahrene Lehrer nicht in schwierigen Klassen unterrichten wollen, systemisch habe das allerdings „destruktive Folgen“.

Mehr Lehrkräfte, Wien mit höherer AHS-Quote

Der Nationale Bildungsbericht, der nur alle drei Jahre erscheint, konzentrierte sich in der aktuellen Ausgabe auf das Schuljahr 2016/2017, in dem insgesamt 127.896 Lehrpersonen an den Schulen beschäftigt waren. Im Schuljahr 2013/2014 waren es 125.011 Lehrkräfte. Wien hat mit rund 21 Prozent den höchsten Anteil an Lehrern und Lehrerinnen. Zusammen mit Niederösterreich (18 Prozent) und Oberösterreich (17 Prozent) entfallen mehr als die Hälfte aller Vollzeittätigen auf diese drei Bundesländer.

Etwas mehr als ein Drittel der Beschäftigten unterrichten in Schultypen, für die der Bund zuständig ist (AHS und berufsbildende mittlere und höhere Schulen). Die restlichen 63 Prozent befinden sich im Zuständigkeitsbereich der Bundesländer. An Hauptschulen/Neuen Mittelschulen arbeitet rund ein Viertel der Lehrkräfte. Die Verteilung auf die einzelnen Schultypen ist in den Bundesländern sehr ähnlich. Nur in Wien ist der Anteil der NMS-Lehrer mit 16 Prozent unter dem Durchschnitt (25 Prozent) und die AHS-Lehrerquote mit 26 Prozent überdurchschnittlich (Durchschnitt: 18 Prozent).