Lehrerin mit Schüler
ORF.at/Zita Klimek
Soziale Durchmischung

Ganztagsschulen derzeit kein Wundermittel

Ganztägige Schulformen werden vor allem im städtischen Bereich genutzt – und dort vor allem von Kindern mit höher gebildeten und finanziell bessergestellten Eltern. Das ist eines der Ergebnisse des am Mittwoch vorgestellten Nationalen Bildungsberichts 2018 des Bundesinstituts für Bildungsforschung (BIFIE).

Insgesamt besuchten im Schuljahr 2016/17 rund 17 Prozent der Schüler und Schülerinnen eine schulische Nachmittagsbetreuung (ohne Horte), die Hälfte davon an allen fünf Schultagen in der Woche. Angeboten wird sie an etwas mehr als einem Drittel der Schulen. Am niedrigsten ist das Ausmaß in Niederösterreich, Tirol und Vorarlberg. Nicht einmal jede vierte Schule hat in diesen Bundesländern eine Nachmittagsbetreuung, diese wird von weniger als zehn Prozent der Schüler und Schülerinnen in Anspruch genommen. Am höchsten ist das Ausmaß im Burgenland und in Wien (mehr als ein Drittel der Schulen und ein Viertel der Kinder).

Generell lässt sich am Beispiel der Volksschulen (4. Klasse) sagen: Je dichter besiedelt die Gemeinde, desto höher liegt auch der Anteil der Kinder in Nachmittagsbetreuung. Das Angebot wird hauptsächlich von Kindern aus finanziell bessergestellten Familien genutzt. Es lässt sich sagen: Je höher der Bildungsabschluss bzw. der sozioökonomische Status der Eltern, desto stärker die Beteiligung der Kinder. Kinder mit anderer Alltagssprache als Deutsch bzw. mit Migrationshintergrund wiederum sind nachmittags seltener an der Schule als Altersgenossen mit deutscher Alltagssprache und ohne Migrationshintergrund.

Soziale Durchmischung am Land besser

Im ländlichen Bereich (in dem die Nachmittagsbetreuung aber grundsätzlich wesentlich seltener genutzt wird) funktioniert die soziale Durchmischung dagegen besser. Dort liegt etwa der Anteil der Akademikerkinder in Nachmittagsbetreuung in etwa gleich hoch wie jener der Kinder von Eltern mit höchstens Pflichtschulabschluss.

Grafik zur ganztägigen Schule in Österreich
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/Statistik Austria/Bifie

Der Bildungsforscher und Mitherausgeber Ferdinand Eder wies darauf hin, dass die Ganztagsschule das Ziel, Frauen früher in die Berufstätigkeit zurückzubringen, erreicht habe. Aber die Erwartung als „pädagogisches Wunderwerk“ für Sozialausgleich könne sie derzeit nicht erfüllen. Wenn man einen pädagogischen Effekt wolle, müsse man ein Modell etablieren, das an allen Schultagen besucht wird.

Neue Regeln für Ganztagsschulen ab 2020

Martin Netzer, Generalsekretär im derzeit von der ÖVP geführten Bildungsministerium, verwies auf die Geschichte der Ganztagsschule in Österreich: Man sei von einem System ausgegangen, in dem früher vor allem an den katholischen Privatschulen ganztägige Betreuung angeboten wurde, „und kommen jetzt mehr in die Breite“. Mit der geplanten Novelle des Bildungsinvestitionsgesetzes, das den Ganztagsschulausbau ab 2020 neu regelt, soll der soziale Ausgleich besser als derzeit gelingen.

So soll die Vergabe von Mitteln an die Länder an die Einhaltung neuer Qualitätskriterien etwa auch an den Horten gebunden sein. Regelungen, die dem Ausgleich sozialer Unterschiede zuwiderlaufen, soll es künftig nicht mehr geben dürfen. So werden derzeit in Wien Kinder mit zwei berufstätigen Elternteilen bei der Platzvergabe bevorzugt.

Damit würden aber genau jene Familien ausgeschlossen, bei denen der kompensatorische Effekt – also jener Effekt, durch den die soziale Ungleichheit sinken soll – am notwendigsten wäre, so Netzer. Beim Essensbeitrag, der laut Bildungsforscher Eder ebenfalls Familien mit geringem Einkommen abhält, wird der Bund hingegen nicht eingreifen. Das sei Angelegenheit der Länder.