Hagia Sophia in Istanbul
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Hagia Sophia soll Moschee werden

Erdogan spielt vor Wahl Religionskarte

Ausgerechnet in der Woche vor den Kommunalwahlen in der Türkei hat die Börse in Istanbul die schlimmsten Verluste seit Mitte 2016 verzeichnet, zuvor war die Lira eingebrochen. Keine guten Voraussetzungen für die regierende AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Wohl ein Grund, wieso Erdogan jetzt auf ein anderes Thema lenkt: die Religion. Im Fokus steht die weltberühmte Hagia Sophia.

Erdogan will das berühmte Bauwerk in eine Moschee zurückverwandeln. Das berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Donnerstag unter Berufung auf ein TV-Interview. Bereits vor drei Tagen hatte er einen solchen Schritt als „nicht unmöglich“ bezeichnet. In dem Interview mit dem Sender A-Haber stellte er es jetzt so dar, als ob die Entscheidung gefallen sei.

„Hagia Sophia wird nicht länger Museum genannt werden. Sie wird aus diesem Status herausgenommen. Wir werden Hagia Sophia eine Moschee nennen“, sagte Erdogan Anadolu zufolge. Die im sechsten Jahrhundert erbaute Hagia Sophia war fast ein Jahrtausend lang das größte Gotteshaus der Christenheit. 1453 wandelten die Osmanen die Kirche in eine Moschee um.

„Zeit ist gekommen“

Nach der Republiksgründung 1923 erklärte der damalige Präsident Mustafa Kemal Atatürk die Hagia Sophia zum Museum. Seitdem gibt es immer wieder Forderungen islamischer Verbände, sie erneut zu einem islamischen Gotteshaus zu machen. Da die Umwandlung der Hagia Sophia eine Forderung des türkischen Volkes sei, sei „die Zeit gekommen, eine solche Maßnahme zu ergreifen“, sagte Erdogan. Nach den Kommunalwahlen werde die Frage geprüft werden.

Wahlplakat des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vor der Hagia Sophia in Istanbul
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Die Hagia Sophia in Istanbul zieht Besucherinnen und Besucher als aller Welt an

Attacken gegen „den Westen“

Religion war ein Thema im Wahlkampf, das besonders stark polarisiert hat – und Erdogan führte den Wahlkampf bisher äußerst aggressiv. Das Thema Hagia Sophia – mit dem Erdogan schon seit Jahren kokettiert – war nach den Moscheeangriffen im neuseeländischen Christchurch wieder hochgekocht. Der rechtsextreme Attentäter hatte Medienberichten zufolge in einem Manifest auch von einer Hagia Sophia „ohne Minarette“ gesprochen.

Erdogan nutzte die Anschläge in Wahlkampfreden zu Angriffen auf den „islamfeindlichen Westen“. Er hatte zudem verpixelte Ausschnitte aus den Aufnahmen des Attentäters von der Tat gezeigt, während es in aller Welt Versuche gab, das Gewaltvideo aus dem Internet zu entfernen. Den Westen machte Erdogan auch für einen anderen Umstand verantwortlich: Die USA und andere westliche Staaten würden versuchen, die Türkei mit Währungsattacken in eine Falle zu locken.

„Spekulanten Disziplin beibringen“

Auch trieben die Banken vor den Wahlen Spielchen mit der Währung, so Erdogan am Donnerstag. Welche Geldinstitute er meinte, ließ er offen. Die Türkei müsse den „Spekulanten auf den Märkten Disziplin beibringen“. Zugleich erneuerte er seine Forderung an die Notenbank, dass die Inflation durch Leitzinssenkungen bekämpft werden müsse.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan während einer Wahlveranstaltung
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Erdogan, der selbst nicht zur Wahl steht, bei einem seiner vielen Wahlkampfauftritte – hier in Istanbul

Nach den Währungsturbulenzen des vergangenen Jahres war die Lira zuletzt wieder unter die Räder gekommen. Börsianer sprachen von der Furcht, dass sich die diplomatischen Spannungen zwischen der Türkei und den USA wieder verschärfen und die türkische Wirtschaft dadurch in Mitleidenschaft gezogen wird. Am Donnerstag zogen sich Anleger erneut fluchtartig aus der türkischen Währung zurück.

Frage des „nationalen Überlebens“

Erdogans scharfe Rhetorik gegen den Westen und gegen „Spekulanten“ hat einen Hintergrund: Zwar werden bei der Wahl am Sonntag nur Bürgermeister und Stadträte gewählt, doch ist der Urnengang längst zu einem Votum über Erdogan selbst geworden. Verantwortlich dafür war auch er selbst – schließlich hatte er die Wahl zu einer Frage des „nationalen Überlebens“ geadelt. Obwohl er selbst also nicht zur Wahl steht, tourte Erdogan durch die Türkei und warb um Stimmen.

Angesichts schwerer wirtschaftlicher Probleme ist die Sorge in der Regierungspartei groß, dass sie Stimmen einbüßt. Insbesondere in den beiden bisher von der AKP regierten Millionenmetropolen Istanbul und Ankara wird ein enges Rennen erwartet. Sollten dort die Rathäuser an die linksnationalistische Republikanische Volkspartei (CHP) fallen, wäre das ein schwerer Schlag für die AKP und würde der Opposition erheblich Auftrieb geben.

Städtische Verkaufsstände für Gemüse

Für die AKP ist der wirtschaftliche Kontext nicht günstig: Nach dem dramatischen Absturz der Lira im vergangenen Sommer ist die Türkei erstmals seit zehn Jahren in die Rezession gerutscht. Die Inflation liegt bei 20 Prozent, und gerade Grundnahrungsmittel sind so teuer geworden, dass die Regierung in Istanbul und Ankara städtische Verkaufsstände eingerichtet hat, die Gemüse zu reduzierten Preisen anbieten.

Vor allem aber warf Erdogan der prokurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) vor, die Türkei spalten zu wollen. Bei einer Kundgebung im östlichen Agri forderte er seine Anhänger auf, den „Terroristen unterstützenden Tyrannen eine osmanische Ohrfeige“ zu verpassen. Wer vorgebe, Politik speziell für die Kurden zu machen, sei „ein Feind dieses Landes“. Die AKP werde nicht zulassen, dass sie „unser Land spalten“.

Opposition: Regierung spaltet Gesellschaft

Wegen dieser Rhetorik warf CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu der Regierung vor, selbst die Gesellschaft zu spalten und eine „ausländische Bedrohung“ heraufzubeschwören. „Es ist, als ob wir vor einem Krieg stehen. Dabei sind es nur Kommunalwahlen“, sagte der Oppositionsführer und versprach, die „drängendsten Probleme“ der Bürgerinnen und Bürger lösen zu wollen wie die steigende Arbeitslosigkeit und die hohen Lebenshaltungskosten.

Wie üblich in der Türkei finden die Kommunalwahlen in allen Provinzen gleichzeitig statt. Im Vorfeld gab es eine Debatte über Unregelmäßigkeiten bei den Wählerlisten – so waren laut CHP mehr als 6.000 Wähler über 100 Jahre alt und in einer Wohnung mehr als tausend Wähler gemeldet. Nachdem es seit 2014 in dem Land jedes Jahr Wahlen gab, sind bis 2023 keine weiteren Abstimmungen angesetzt.