Verlassenes Haus in Spanien
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Landflucht

Spaniens Geisterdörfer zum Verkauf

Die Landflucht in Spanien hat in den vergangenen Jahren dramatische Ausmaße angenommen. Überalterung auf dem Land und starke Abwanderung in die Städte zwingen die Regierung zum Handeln. Mit einer Notfallstrategie will sie die Menschen zurück aufs Land bringen. Dort gibt es aber oft nur noch Geisterdörfer – die als Ganzes zum Verkauf angeboten werden.

Das Thema ist längst im Wahlkampf für die Parlamentswahl im April angekommen. Für die sozialistische Regierung von Premierminister Pedro Sanchez ist die Landflucht ein Schlüsselthema. „Wir müssen uns des demografischen Winters, der den Großteil unseres Landes bedroht, gewahr werden“, sagte Sanchez bei einem Forum am Donnerstag. Mit einer Notfallstrategie aus 70 verschiedenen Maßnahmen will die Regierung die Entwicklung bekämpfen. Der Ministerrat gab am Freitag grünes Licht für die Initiative, die in den nächsten Wochen noch ratifiziert werden muss. Zentraler Punkt dabei sei eine bessere Internetanbindung im ländlichen Raum.

Das Paket beinhalte auch einen Investitionsplan, die Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten für Jugendliche und die Förderung des Tourismus in bedrohten Gemeinden, berichtete die Zeitung „El Pais“. Auch sehe es vor, Militärkasernen in ländlichen Gebieten neu zu beleben. Betreffen könnte das rund 200 militärische Anlagen in 50 Regionen. Die Ortschaften in der Nähe der Kasernen könnten auch deshalb profitieren, weil solche Unterkünfte Internetnetzwerke und andere wichtige Dienstleistungen mit sich brächten, hieß es.

Silvester zu Mittag – dem Alter geschuldet

Rund 48 Prozent aller Gemeinden in Spanien haben eine Bevölkerungsdichte von weniger als 12,5 Einwohnern pro Quadratkilometer. Das gilt in der EU als geringe Dichte mit Entvölkerungsrisiko. Mit einer Rate von 1,3 Kindern pro Frau (2017) steht Spanien an zweitletzter Stelle in der EU, die Kluft zwischen ländlicher und städtischer Geburtenrate ist groß.

Pedro Sanchez
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Sanchez will mit gezielten Maßnahmen die Landflucht bekämpfen

Dieser demografische Wandel geschieht seit Jahren schleichend. Einmal jährlich gerät er in die internationalen Schlagzeilen, wenn das kleine Dorf Villar de Corneja den Jahreswechsel schon zu Mittag feiert. Dann versammeln sich die noch verbliebenen rund 40 Bewohner auf dem Hauptplatz und feiern Silvester. Sie haben ein Durchschnittsalter von über 80 Jahren und wollen auch am 31. Dezember um Mitternacht längst im Bett sein. Daher wird der Jahreswechsel in Villar de Corneja, das in den 1950er Jahren noch rund 350 Einwohner hatte, seit 2004 um 12.00 Uhr gefeiert.

40 Dörfer in einem Jahr verkauft

Spaniens ländliche Gegenden sind inzwischen durchzogen von kleinen Dörfern wie Villar, manche sind stärker bevölkert, manche gänzlich verlassen. Viele dieser Weiler und Dörfer stehen inzwischen gesamt zum Verkauf, wie die Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg am Donnerstag berichtete. Die darauf spezialisierte Immobilienagentur Aldeas Abandonadas verkaufte laut dem Bericht im vergangenen Jahr rund 40 Dörfer, zumeist an ausländische Interessierte. Insgesamt gebe es rund 1.500 Ortschaften, die infrage kämen.

Mann in verlassenen Gebäude
APA/AFP/Miguel Riopa
Verlassenes Haus in verlassenem Dorf: In Spanien stehen leere Ortschaften zum Verkauf

Es handelt sich um Dörfer wie Acorrada in Galicien. Dort tat sich Gustavo Iglesias, der in dem Dörfchen aufgewachsen ist, mit anderen ehemaligen Bewohnern zusammen, um es zum Verkauf anzubieten. Iglesias ist schon vor Jahrzehnten in eine größere Stadt gezogen. Die sechs Steinhäuser und zwei Getreidespeicher in Accorada sind in der Zwischenzeit vollends verlassen und verfallen. Nun wird das Dorf verkauft, Rufpreis 85.000 Euro. „Ich möchte, dass es jemand kauft und wieder Leben hineinbringt“, zitiert Bloomberg Iglesias.

Protest am Sonntag

Ob Spanien mit dem 70-Punkte-Plan und Dorfverkäufen tatsächlich junge Menschen in großem Stil aufs Land locken kann, ist umstritten. Man könne höchstens eine Restrukturierung erwarten, sagt Luis Antonio Saez von der Universität Zargoza, aber kaum eine Wiederbevölkerung.

Für Sonntag riefen mehrere Verbände und Plattformen aus betroffenen Provinzen – darunter Soria in Kastilien-Leon und Teruel in Aragonien – zu einer großen Demonstration in Madrid auf, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Mit nur 8,6 Einwohnern pro Quadratkilometer sei etwa Soria eine „demografische Wüste“ und die menschenleerste Provinz in ganz Südeuropa, so die Plattform Soria Ya! in einer Mitteilung. „Die gesamte Bevölkerung, 89.000 Menschen, würde ins Fußballstadion des FC Barcelona passen.“