Der Fernsehkomiker Wolodymyr Selenski
Reuters/Valentyn Ogirenko
Ukraine

Komiker geht als Sieger in Stichwahl

Politikneuling gegen Amtsinhaber: Die in die EU strebende Ukraine muss in einer Stichwahl über ihren neuen Präsidenten entscheiden. Der Komiker Wolodymyr Selenski setzte sich zwar laut Prognosen klar als Sieger bei der Präsidentenwahl am Sonntag durch. Der 41-Jährige verfehlte aber die absolute Mehrheit. Er muss deshalb am 21. April in eine Stichwahl mit Amtsinhaber Petro Poroschenko.

Die Stichwahl ist voraussichtlich am Ostersonntag, dem 21. April. Der Schauspieler Selenski kam nach Wahlnachbefragungen auf rund 30 Prozent der Stimmen. Poroschenko landete bei 16,7 Prozent. Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko, Poroschenkos erbitterte Gegnerin, kam mit rund 13 Prozent der Stimmen nur auf den dritten Platz. Die Nachwahlbefragung wurde vom österreichischen Meinungsforschungsinstitut SORA durchgeführt.

Die Stichwahl zwischen dem Komiker und dem „Schokozaren“, wie Poroschenko wegen seines Süßwarenimperiums genannt wird, dürfte spannend werden. Nicht nur, dass beide für eine deutliche Westorientierung des Landes stehen, sie werben auch um die Wählerinnen und Wähler der unterlegenen Lager.

Beide Kandidaten optimistisch

Selenski sieht sich auf dem Weg ins Präsidentenamt. „Das ist nur der erste Schritt zum großen Erfolg“, sagte der 41-Jährige am Sonntag in der Hauptstadt Kiew nach Schließen der Wahllokale. Er dankte seinen Wählern. Es gebe viele Prognosen – „aber überall nur einen Sieger“, sagte Selenski. Er betonte, als unabhängiger Kandidat weitermachen zu wollen. „Wir wollen uns mit niemandem zusammentun und haben keine Verhandlungen dazu geführt“, sagte er.

Der Fernsehkomiker Wolodymyr Selenski
Reuters/Valentyn Ogirenko
Selenski auf gutem Weg zum Präsidentenjob

Auch Poroschenko zeigte sich trotz seines großen Rückstandes zuversichtlich, den Politneuling in der Stichwahl am 21. April besiegen zu können. „Wir werden sicher gewinnen“, sagte Poroschenko am Sonntagabend vor Anhängern in Kiew. „Wir Ukrainer haben das russische Szenario gestoppt, und die Ukrainer werden dieses Szenario im zweiten Wahldurchgang verhindern“, sagte ein gut gelaunter Poroschenko.

Andere Mehrheit in Wien

In Österreich lebende Ukrainer votierten mehrheitlich für Petro Poroschenko. Er kam in der ukrainischen Botschaft in Wien auf 46 Prozent, Wolodymyr Selenski auf 19 Prozent.

„Witze am 21. April vorbei“

Der russische Präsident Wladimir Putin werde sehen, dass die Ukrainer bei der Wahl gegen eine Kapitulation gestimmt hätten. Poroschenko kündigte eine harte Auseinandersetzung mit Selenski an und betonte, dass die „Witze am 21. April vorbei sein“ werden. Poroschenko bedankte sich bei den „verantwortungsbewussten Wählern“, die ihm in der ersten Runde am Sonntag die Stimme gegeben hätten. „Ihre Anzahl wird nun in geometrischer Progression wachsen“, sagte er.

Timoschenko wiederum beanspruchte auch für sich einen Platz in der Stichwahl. Sie verwies am Abend auf eine „alternative“ Wählerbefragung, die sie bei 20,9 Prozent der Stimmen sehe. Damit werde sie am 21. April gegen Selenski antreten.

Parallelen zur Serienrolle

Umfragen hatten Selenski im ersten und im zweiten Wahlgang als Sieger gesehen. Er spielt in der populären Fernsehserie „Sluga naroda“ („Diener des Volkes“) seit Jahren einen bodenständigen und ehrlichen Präsidenten, den ins Präsidialamt gestolperten Geschichtslehrer Wassili Goloborodklo. Dabei prangert er etwa die Korruption an. In der Ex-Sowjetrepublik ist der Frust über fehlende Fortschritte bei vielen Menschen groß.

Der Fernsehkomiker Wolodymyr Selenski
AP/Emilio Morenatti
Ansturm der Presse auf Selenski auf dem Weg zum Wahllokal

Selenski wird vor allem von den jungen Wählerinnen und Wählern einiges zugetraut: Wie in seiner Fernsehrolle will er auch als Präsident gegen die Korruption im Land kämpfen. Und der gelernte Jurist lebte mehrere Jahre in der russischen Hauptstadt Moskau. Anders als Poroschenko will Selenski auf Russland zugehen, um den Konflikt mit dem Nachbarland zu beenden. Kritiker werfen ihm allerdings vor, auch im echten Leben fehle ihm politische Erfahrung.

Wahl verlief ruhig

Die rund 30 Millionen Wahlberechtigten konnten unter 39 Kandidatinnen und Kandidaten wählen. So viele Bewerber gab es noch nie bei einer Abstimmung über den mächtigsten Posten in dem Land. Der Wahlsonntag verlief weitgehend ruhig. Vereinzelt gab es Vorwürfe der Manipulation.

Analyse von Christian Wehrschütz (ORF)

ORF-Korrespondent Christian Wehrschütz erklärt, wie ernst die Manipulationsvorwürfe bei der Präsidentschaftswahl zu nehmen sind.

Die von Russland unterstützten abtrünnigen Regionen Donezk und Luhansk im Kriegsgebiet Donbass nahmen nicht an der Abstimmung teil. Die Sicherheitsvorkehrungen waren landesweit hoch. Zehntausende Einsatzkräfte waren abgestellt, um Zwischenfälle zu verhindern.

Poroschenko brachte keine Wende

Der Urnengang galt als großer Stimmungstest nach den proeuropäischen Protesten auf dem Maidan, dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew, vor fünf Jahren. Der Aufstand, bei dem mehr als 100 Menschen starben, führte 2014 zum Machtwechsel. Damals hatte der superreiche Unternehmer Poroschenko nach dem Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch im ersten Wahlgang mit rund 55 Prozent der Stimmen gewonnen.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko
AP/Efrem Lukatsky
Poroschenko konnte viele seiner Wahlversprechen nicht umsetzen

Viele Menschen werfen Poroschenko heute vor, den Krieg nicht beendet und mit seiner Politik die Armut noch verschärft zu haben. So ist etwa die Erholung der ukrainischen Wirtschaft nicht bei der Bevölkerung angekommen – ganz im Gegenteil hat sich der Lebensstandard in den vergangenen Jahren weiter verschlechtert.