Europäische Fahne mit Piratenkopf
AP/Tim Ireland
Brexit

Parlament stimmt gegen alle Alternativen

Das britische Parlament hat sich auch im zweiten Anlauf nicht auf eine Alternative zum EU-Austrittsabkommen von Premierministerin Theresa May einigen können. Das Unterhaus lehnte am Montag alle Vorschläge ab. Nun dürfte die Suche nach einem Ausweg aus dem Brexit-Dilemma am Mittwoch weitergehen.

Kommt das völlig zerstrittene Parlament nicht bald zu einer Einigung, droht ein Austritt aus der Europäischen Union ohne Abkommen am 12. April oder eine erneute Verschiebung des EU-Austritts – mit einer Teilnahme der Briten an der Europawahl Ende Mai als Folge.

Für die Abstimmung am Montagabend hatte Parlamentspräsident John Bercow vier Vorschläge ausgewählt. Chancen auf eine Mehrheit wurden im Vorfeld vor allem den beiden Alternativvorschlägen für eine engere Anbindung Großbritanniens an die EU eingeräumt.

Nach No, No, No, No, No, No, No, No nun No, No, No, No

Ein Antrag sah vor, dass das Land nach dem Brexit in der Zollunion bleibt. Das soll gesetzlich verordnet werden. Einem anderen Vorschlag zufolge soll Großbritannien zusätzlich im Binnenmarkt bleiben. Bei den Testabstimmungen gab es aber für keine der Varianten eine Mehrheit. Für den ersten Antrag zum Verbleib in der Zollunion stimmten 273 Abgeordnete, 276 lehnten ihn ab.

Die Regierungschefin hatte sich seit Langem darauf festgelegt, sowohl Zollunion als auch Binnenmarkt zu verlassen. Die Mitgliedschaft in der Zollunion würde es London unmöglich machen, Freihandelsverträge mit Drittländern auszuhandeln. Der Binnenmarkt ist nicht ohne die Personenfreizügigkeit für EU-Bürger und EU-Bürgerinnen zu haben. Der Zuzug aus anderen EU-Ländern nach Großbritannien gilt als ein Grund, warum viele Menschen vor bald drei Jahren für den Brexit stimmten.

Abgeordnete im britischen Parlament
APA/AFP
Keine der vorgelegten vier Alternativen erhielt bei der Abstimmung am Montagabend eine Mehrheit

Britische Abgeordnete frustriert

Die beiden anderen Vorschläge sahen die Möglichkeit für ein zweites Referendum vor. Auch dafür gab es im Unterhaus nicht ausreichend Unterstützung. Auch eine erste Abstimmungsrunde über Alternativvorschläge hatte in der vergangenen Woche keine Klarheit gebracht. Alle acht Optionen, die den Abgeordneten dabei zur Abstimmung vorlagen, wurden abgelehnt.

Viele britische Abgeordnete waren nach Bekanntgabe des Ergebnisses völlig frustriert. Nick Boles, der einen der Alternativvorschläge eingebracht hatte, trat unter Tränen umgehend aus der regierenden Konservativen Partei aus. „Ich habe alles gegeben, um einen Kompromiss zu finden, um unser Land aus der EU zu bringen und trotzdem unsere wirtschaftliche Stärke und unseren politischen Zusammenhalt zu bewahren. Ich habe versagt“, so Boles.

Aktivisten zogen sich im Parlament für den Klimaschutz aus

Während der Debatte zogen sich etwa zehn Klimademonstranten und -demonstrantinnen bis auf die Unterhosen aus und drückten ihre Rückseiten gegen eine Fensterscheibe oberhalb des Plenums.

Demonstration im britischen Parlament
AP/James Heappey
Die Klimaaktivisten und Klimaaktivistinnen forderten mehr Tempo beim Kampf gegen die Erderwärmung

Auf ihren Rücken waren Slogans wie „Klimagerechtigkeit sofort“ zu lesen. Einige schienen sich mit Klebstoff an die Scheibe geklebt zu haben. Der Labour-Abgeordnete Peter Kyle erntete Lacher von seinen Kollegen, als er im Zusammenhang mit einem etwaigen Referendum von der „nackten Wahrheit“ sprach. Mindestens einer der Demonstranten wurde später von der Polizei abgeführt.

Barnier: „No Deal“-Brexit verhindern

EU-Unterhändler Michel Barnier hält trotz des Abstimmungsergebnisses einen harten Bruch nächste Woche noch für vermeidbar. „Ein ‚No Deal‘-Szenario ist wahrscheinlicher geworden, aber wir können es noch verhindern“, sagte Barnier am Dienstag in Brüssel. Für einen geregelten EU-Ausstieg müsse das britische Parlament aber den bereits ausgehandelten Austrittsvertrag verabschieden. „Wenn Großbritannien die EU immer noch auf geordnete Art und Weise verlassen will, ist und bleibt diese Vereinbarung die einzige“, sagte Barnier. „Der einzige Weg, einen ‚No Deal‘ zu vermeiden, wird ein positives Votum sein.“

London: Erneut alle Brexit-Alternativen abgelehnt

In London haben die Abgeordneten bei nicht bindenden Probeabstimmungen wieder alle vier Alternativen zum ausgehandelten Brexit-Deal abgelehnt.

Geschehe das noch vor dem EU-Sondergipfel am 10. April, könne er sich eine weitere kurze Verschiebung vorstellen – auch wenn das in der Hand der Staats- und Regierungschef liege. Stimme das Unterhaus jedoch in den nächsten Tagen nicht mehr zu, blieben nur zwei Optionen: ein EU-Austritt ohne Vertrag, den das Unterhaus erklärtermaßen nicht wolle, und eine lange Verschiebung des Brexits. Da dieser für die EU große politische Risiken berge, müsste Großbritannien dafür aber eine sehr gute Begründung liefern.

„Ungeregelter Brexit fast unausweichlich“

Der Brexit-Beauftragte des Europaparlaments, Guy Verhofstadt, reagierte entsetzt auf die erneute Ablehnung: „Ein harter Brexit wird nun fast unausweichlich“, schrieb der Brexit-Beauftragte des Europaparlaments, Guy Verhofstadt, am späten Montagabend auf Twitter. „Am Mittwoch hat Großbritannien die letzte Chance, die Blockade zu durchbrechen oder in den Abgrund zu blicken.“

Der deutsche SPD-Europapolitiker Jens Geier sprach von einer „inzwischen lächerlichen Selbstblockade im britischen Parlament“ und forderte: „Einer Verlängerung der EU-Mitgliedschaft über den 12. April hinaus kann die Europäische Union nur mit der gleichzeitigen Ansage eines zweiten Referendums stattgeben.“ Das übrige politische Europa betrachte den Machtkampf in London „inzwischen überwiegend gelangweilt“, meinte Geier.

Sechs Millionen Briten unterschrieben Petition

Bei einem Brexit ohne Abkommen – den auch das britische Parlament nicht will – werden chaotische Folgen für die Wirtschaft und andere Lebensbereiche befürchtet. Ursprünglich wollte Großbritannien schon am 29. März aus der EU austreten. Doch das Parlament ist so zerstritten, dass der Termin nicht zu halten war.

Am späten Montagnachmittag wurde im Parlament zudem über eine Petition für einen Widerruf der EU-Austrittserklärung Großbritanniens beraten. Sechs Millionen Briten haben die Onlinepetition bereits unterzeichnet – ein Rekord. Die Regierung teilte aber mit, dass sie eine Rücknahme der Austrittserklärung ablehnt und sich an das Referendum von 2016 gebunden fühlt. Damals hatte eine knappe Mehrheit der Briten für die Scheidung von der EU gestimmt.

Anti-Brexit Demonstration
AP/Jonathan Brady
„Wir haben bereits den besten Deal“, meinen EU-Befürworter und rufen zur Unterzeichnung der Petition auf

Onlinepetitionen dürfen alle britischen Staatsbürger – auch im Ausland – und Einwohner Großbritanniens unterzeichnen. Das Parlament muss zu Petitionen mit mehr als 100.000 Unterzeichnern eine Debatte zulassen. Gerüchte, die Petition sei durch Unterschriften aus dem Ausland verfälscht worden, wies das zuständige Komitee zurück. Etwa 96 Prozent der Unterzeichner seien aus Großbritannien.

Diskussion über Neuwahl

Die Parlamentarier hatten am Freitag Mays Abkommen zum dritten Mal abgelehnt. Es wird nicht ausgeschlossen, dass sie noch in dieser Woche ihren Deal dem Unterhaus zum vierten Mal zur Abstimmung vorlegen könnte. Auch über eine Neuwahl wird im Land zunehmend diskutiert, um aus der Brexit-Sackgasse herauszukommen. Das britische Kabinett wird Brexit-Minister Stephen Barclay zufolge am Dienstag über das weitere Vorgehen beraten. Labour-Chef Beschreibung Jeremy Corbyn schlägt seinerseits vor, die Alternativen am Mittwoch noch einmal in Erwägung zu ziehen.