Das Anthropozän ist ein Modewort. Seit der israelische Universalhistoriker Yuval Noah Harari mit seinem Buch „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ Millionen von Leserinnen und Lesern ein neues Gefühl für die Menschheits- und Erdzeitalter vermittelt hat, ist der Begriff allgegenwärtig. Er bezeichnet jene Epoche, in der Menschen die prägende verändernde Kraft des Planeten bzw. des Lebens auf ihm sind. Wir schreiben uns ein in die Erde, von der Kruste bis in die Stratosphäre und in alles zwischendrin – mehr als jede Naturgewalt; und das nicht gerade segensreich.
Heikkilä stößt den Menschen in ihrer Kunst vom hohen Sockel und reiht ihn ein in die Masse jener Lebewesen, von denen gar nicht wenige – wegen des Menschen – vom Aussterben bedroht sind. Im finnischen Nationalmuseum Kiasma in Helsinki sitzt sie nachdenklich auf einem Hocker und betrachtet eines ihrer Bilder, das vor einem riesigen Fenster angebracht ist und von Sonnenlicht durchflutet wird. Das vom Klima beeinflusste Wetter spielt eine große Rolle dabei, wie man das Kunstwerk wahrnimmt.
Der Klimawandel malt mit
Insofern ist sogar der Klimawandel ein Kooperationspartner und prägt die Erscheinung des Kunstwerks entscheidend mit. Heikkilä sagt, dass sie auch sonst die Autorenschaft ihrer Werke nicht alleine für sich beanspruchen kann. Sie hat Malerei studiert – aber auch Naturwissenschaften. Sie malt großflächige Bilder und arbeitet Fundstücke aus der Natur ein, etwa Totholzstücke, Algen, tote Insekten, Erde und als fotografische Elemente mikroskopische Aufnahmen von Bakterien und anderen Mikroben.
Das finnische Nationalmuseum Kiasma
Einmal im Jahr gibt das imposante und rührige finnische Nationalmuseum Kiasma bei jungen Künstlerinnen und Künstlern eine Ausstellung mit ausschließlich eigens geschaffenen Werken in Auftrag. 2018 beschäftigte sich die 1984 geborene Alma Heikkilä in ihrem Studio im Wald und in Helsinki künstlerisch mit dem Thema Klimawandel.
Forscher gehen davon aus, dass rund zehn Prozent der Zellen in unserem Körper menschlich sind, der Rest geht auf das Konto symbiotischer Bakterien. Mikroben sind nicht zuletzt auch für unsere Emotionen mitverantwortlich. Der Mensch ist, vom Gewicht her gerechnet, fast zur Hälfte ein Sammelsurium an Lebewesen. Und genauso sind wir nur ein kleiner Teil der Ökosysteme rund um uns. Heikkilä findet, dass das ein wunderschöner Gedanke ist, den man sich immer wieder ins Gedächtnis rufen sollte.
Die Herren der Schöpfung?
Ihre Kunst ist somit ein Statement gegen die anthropozentrische Sichtweise und gegen das Diktum, der Mensch möge sich die Erde untertan machen. Heikkiläs stille und dennoch atemberaubend vielseitige Werke sind ein Appell für humane Bescheidenheit: Wir sind nicht die Herren der Schöpfung, sondern nur ein Teil von ihr – und man sollte sich hüten, etwas zu zerstören, von dem man selbst Teil ist. Das wäre, als würde man baumseitig den Ast abschneiden, auf dem man sitzt.

Vor zehn Jahren haben sich rund um Heikkilä ein paar Gleichgesinnte gefunden, die seither gemeinsam versuchen, daran mitzuarbeiten, das Bewusstsein für den Wert des Lebens abseits des Menschen zu schärfen. Dass das weit weniger esoterisch ist, als es klingt, beweist die Künstler- und Forschertruppe Mustarinda mit ihren Vorträgen, Aktionen und durch ihre Werke.
Es geht ihnen dabei auch um einen Wandel des Kunstbetriebs. Vor zehn Jahren war da von Ökothemen noch wenig die Rede, von Foren wie der Ars Electronica in Linz abgesehen, wo einzelne Bio-Artists vom Rang eines Eduardo Kac schon in den 90er Jahren mit Organismen arbeiteten. Jetzt ist das Thema auf dem Tapet, wirkt sich aber, findet Heikkilä, noch viel zu wenig aus.
Fliegen für den Kampf gegen den Klimawandel
Sie verweist auf das laufende Interview: Aus ganz Europa wurden vom Nationalmuseum Journalisten nach Helsinki eingeflogen, um sie über das Thema Klimawandel zu interviewen. Da stellt sich die Frage, ob der entsprechende CO2-Ausstoß von den positiven Auswirkungen der Berichterstattung überwogen wird, oder ob sich da die Kunst- und Medienszene auf Kosten der Umwelt als umweltbewusst inszeniert.

Aber das ist nicht der Fokus von Heikkiläs Arbeit, die im Grunde einen unerschütterlichen Optimismus ausstrahlt. Und auch die Künstlerin selbst wirkt im Gespräch nicht wie eine verzagte Kassandra – im Gegenteil, sie ist gut gelaunt, der Kampf um Veränderungen zum Positiven macht ihr Spaß. Ja, ihre Kunst soll Bewusstsein schaffen, sagt sie, aber auch ganz einfach schön sein. Und im Übrigen freue sie sich darüber, dass in den letzten zehn Jahren bereits ein Bewusstseinswandel in Sachen Umweltschutz eingesetzt habe, wenn auch zu langsam.
„Eine neue Mythologie“
Heikkilä: „Es muss eine neue Mythologie entstehen – und Kunst kann ein Teil davon sein. Die Narrative sind im Wandel, ein Paradigmenwechsel hat begonnen. Es geht zwar auch um einen Kulturwandel, aber in erster Linie vor allem darum, die menschliche Kultur als solche überhaupt zu erhalten, also das Überleben des Menschen zu sichern.“ In den letzten Jahren habe sich in Finnland viel verändert, Ökothemen würden nun an Schulen eine große Rolle spielen, aber auch sonst an allen Ecken und Enden der Gesellschaft: „Meine Kunst ist da ein Tropfen im Meer.“ Immerhin. Das Meer besteht ja nur aus einer Ansammlung an Tropfen.
Das Geld, das Heikkilä vom Kiasma-Museum für ihr Jahr als „Artist in residence“ erhalten hat, ist übrigens schon investiert, und zwar in zehn Hektar Wald. Was sie damit vorhat? „Nichts.“ Ein Journalist fragt beim Mittagessen in der Kiasma-Kantine wichtigtuerisch, ob sie überhaupt wisse, wie viel Arbeit so ein Wald sei. Da kann Heikkilä nur müde lächeln – sie ist Kind einer Bauernfamilie, die Wald bewirtschaftet hat. Alles kein Problem. Man muss halt zuerst wissen wie und dann ordentlich anpacken. Wie beim Klimawandel.