Premierministerin Theresa May tritt aus der Eingangstür in der Downing Street No. 10
AP/Matt Dunham
Brexit

May sorgt bei Teilen der Torys für Entsetzen

Die britische Premierministerin Theresa May will die EU um eine weitere Verlängerung der Brexit-Frist bitten. Die Verschiebung – „so kurz wie möglich“ – soll Gespräche mit der Opposition über ein gemeinsames Vorgehen ermöglichen, um einen harten Brexit zu vermeiden. Ihrem Stand in der Konservativen Partei ist das nicht zuträglich.

„Sie muss ganz genau in den Spiegel schauen und zum Wohle unseres Landes, unserer Demokratie und der Konservativen Partei muss sie jetzt gehen“, richtete etwa der Brexit-Hardliner Andrew Bridgen der Premierministerin aus. Der konservative Abgeordnete Nigel Adams erklärte aus Protest gegen Mays Entscheidung, Gespräche mit Oppositionschef Jeremy Corbyn zu führen, seinen Rücktritt als Staatssekretär für Wales. Offenbar, so Adams, hielten es May und ihr Kabinett für besser, einen Deal mit „einem Marxisten auszuhecken, der kein einziges Mal in seinem politischen Leben die britischen Interessen an erste Stelle gesetzt hat“, als kein Abkommen zu schließen.

Wenig später tat es ihm Brexit-Staatssekretär Chris Heaton-Harris gleich. Er könne keine weitere Verlängerung der Brexit-Frist mittragen, begründete er seinen Rücktritt in einem Brief. Auch der Tory-Abgeordnete Jacob Rees-Mogg zeigte sich entsetzt über Mays Zugehen auf den „Marxisten“ Corbyn. Sein Parteikollege Marcus Fysh sagte: „May hat erneut bewiesen, dass sie sich auf dem falschen Weg befindet. Vor uns liegt eine große Zukunft, aber es braucht Mut und Entschlossenheit, nicht Angst und Zaudern.“

Ursprünglicher Termin bereits vorbei

May hatte Dienstagabend bekanntgegeben, dass sie die EU um einen weiteren Aufschub des Austrittsdatums bis spätestens 22. Mai bitten möchte. Ursprünglich hätte Großbritannien bereits am 29. März austreten sollen. Dann wurde praktisch in letzter Minute von der EU eine Verlängerung erreicht, wobei dabei zwei Daten genannt wurden: der 12. April für den Fall, dass bis dahin kein Vertrag zustande gekommen ist – das wäre der von allen Seiten befürchtete chaotische Brexit. Oder eben der 22. Mai, wenn sich die Briten doch noch einigen und dann Zeit erhalten, um die legistische Umsetzung vollenden zu können.

Jeremy Corbyn vor seinem Haus, umgeben von Journalisten
APA/AFP/Isabel Infantes
Corbyn sagte, er sei bereit zu „ernsthaften Beratungen“

Am Nachmittag traf May mit Corbyn zusammen. Zudem sind Gespräche mit der schottischen Regierungschefin Nicola Sturgeon – die für ein zweites Referendum über den Verbleib in der EU plädiert – und ihrem walisischen Amtskollegen Mark Drakeford geplant. Corbyn sagte dem „Evening Standard“ zufolge, er sei bereit zu „ernsthaften Beratungen“ mit May. Er werde darauf bestehen, dass eine mögliche Vereinbarung mit ihr in ein Gesetz gegossen werde. Bisher hatte May Zugeständnisse an die Opposition kategorisch abgelehnt – nun will sie keinerlei Vorbedingungen stellen.

Kehrtwende im Brexit-Drama

Die britische Premierministerin Theresa May hat ihre Taktik geändert. Sie will die EU um eine weitere Verschiebung des Austritts ersuchen, um gemeinsam mit der Opposition eine Lösung zu finden.

In einem Brief an ihre Abgeordnete hatte May am Vormittag ihren Kurswechsel begründet: „Mit ist bewusst, dass einige von Ihnen über die Gespräche mit der Opposition irritiert sind. Nachdem aber einige Kolleginnen und Kollegen nicht bereit sind, die Regierung zu unterstützen (…), ist das der einzige Weg, einen geordneten Brexit zu erzielen.“ Im Vorfeld des Treffens mit Corbyn ortete sie gar einige Übereinstimmungen mit dem Oppositionsführer: „Wir beide wollen einen Austritt mit Abkommen sicherstellen, wir wollen beide Arbeitsplätze schützen, wir wollen beide die Personenfreizügigkeit beenden, wir beide erkennen die Bedeutung des Austrittsabkommens an.“

Zerrissenheit als Programm

Die Torys sind seit Jahrzehnten gespalten in ihrer Haltung zur EU, drei Premierminister – David Cameron, John Major und Margaret Thatcher – kostete diese Zerrissenheit schließlich ihr Amt. Doch auch bei Labour gibt es derzeit keine Einigkeit: Teile machen sich für ein zweites Referendum stark, Teile sind komplett dagegen. Der proeuropäische Labour-Abgeordnete Ben Bradshaw warnte Corbyn am Mittwoch eindringlich vor Verhandlungen mit May: „Das ist ganz klar eine Falle, mit der versucht werden soll, Mays schrecklichen Deal durchzubringen“, schrieb er auf Twitter: „Einige Leute sind darauf reingefallen, aber Labour darf das nicht.“

Juncker geht von „No Deal“ aus

Auch auf EU-Seite war die Freude über Mays neuerlichen Verlängerungswunsch überschaubar. Großteils herrschte Skepsis bis Zurückhaltung, weil angesichts der bisherigen Performance der Briten kaum irgendeine Richtung absehbar war. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) etwa kann überhaupt keinen Grund für eine Fristerstreckung ausmachen – das Chaos in Großbritannien habe sich nicht verändert. Im Fall eines „Hard Brexit“ will die EU jedenfalls unverzüglich Zollkontrollen einführen, wie der zuständige EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovoci am Mittwoch klarstellte. Im Falle Irlands sollten die Zollkontrollen „so wenig eindringlich wie möglich und so weit entfernt von der Grenze wie möglich“ stattfinden.

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker plädierte im Europaparlament am Mittwoch zwar für eine Verschiebung des Brexits auf den 22. Mai, falls das britische Unterhaus dem Austrittsabkommen in den nächsten Tagen doch noch zustimmt. Andernfalls sei keine weitere Verlängerung über den 12. April hinaus möglich. „Der ‚No Deal‘ ist ein Szenario, das im Moment immer wahrscheinlicher erscheint“, sagte Juncker. Er betonte, die EU sei offen für Verhandlungen über eine Zollunion oder ein Freihandelsabkommen mit Großbritannien. Das sei aber erst möglich, sobald das Austrittsabkommen unterzeichnet sei, „die Tinte muss nicht einmal trocken sein“.