Frachtschiff im Hafen von Hamburg
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Prognose halbiert

Ende des deutschen Konjunkturbooms

Die führenden deutschen Wirtschaftsinstitute haben am Donnerstag das Ende des jahrelangen Konjunkturbooms in Deutschland ausgerufen. Für 2019 stampften sie ihre Prognose für das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf 0,8 Prozent ein, nachdem sie im Herbst noch mit 1,9 Prozent gerechnet hatten. Die Gefahr einer Rezession ist aber nicht gegeben.

„Der langjährige Aufschwung der deutschen Wirtschaft ist zu Ende“, sagte der stellvertretende Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Oliver Holtemöller, zu der am Donnerstag veröffentlichten Gemeinschaftsdiagnose. „Die Gefahr einer ausgeprägten Rezession halten wir jedoch bisher für gering.“ Für 2020 sagen die Experten unverändert ein Wachstum von 1,8 Prozent voraus.

Kommt es zu einem ungeregelten EU-Austritt Großbritanniens, dürfte das Wirtschaftswachstum sowohl in diesem als auch im kommenden Jahr „deutlich niedriger“ als bisher veranschlagt ausfallen. Risiken sehen die Expertinnen und Experten außerdem im noch ungelösten Handelsstreit zwischen den beiden weltgrößten Volkswirtschaften USA und China. National bremsten Fachkräftemangel, Lieferengpässe sowie Schwierigkeiten in der Autoindustrie die Konjunktur.

Steuererhöhungen zu erwarten

„Auch die deutsche Wirtschaftspolitik schafft Risiken, etwa indem sie die langfristige Stabilität der gesetzlichen Rentenversicherung durch erhebliche Leistungsausweitungen belastet, die aus dem Beitragsaufkommen nicht zu finanzieren sein werden“, kritisieren die Institute. „Dies lässt Steuererhöhungen erwarten, die Deutschland als Investitionsstandort weniger attraktiv machen.“ Die Politik sollte stärker darauf ausgerichtet werden, die Rahmenbedingungen für Investitionen zu verbessern.

Der Beschäftigungsaufbau dürfte sich zwar fortsetzen, aber an Fahrt verlieren. Die Zahl der Erwerbstätigen soll bis 2020 auf 45,5 Millionen steigen, was rund 700.000 mehr wären als 2018. Gleichzeitig soll die Zahl der Arbeitslosen auf 2,1 Millionen sinken. Trotz der trüberen Konjunktur rechnen die Institute auch mit anhaltend kräftigen Staatsüberschüssen. Im laufenden Jahr soll das Plus bei 41,8 und 2020 bei 35,6 Mrd. Euro liegen.

OECD geht von nur 0,7 Prozent Wachstum aus

Die Gemeinschaftsdiagnose dient der deutschen Regierung als Basis für ihre eigenen Prognosen, die wiederum die Grundlage für die Steuerschätzung bilden. Sie hatte ihre Schätzung für dieses Jahr zuletzt auf 1,0 Prozent fast halbiert und geht im kommenden Jahr von einem Plus von 1,6 Prozent aus. Erarbeitet wird das Gutachten vom RWI in Essen, vom DIW in Berlin, vom Ifo in München, vom IfW in Kiel und vom IWH.

tabellarische Grafik zeigt Wirtschaftsstandorte im Europa-Vergleich
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/Deloitte

Seit Beginn des Jahres hat eine Reihe von Institutionen die Wachstumsprognose für Deutschland kräftig nach unten revidiert. Erst Mitte März senkten die fünf Wirtschaftsweisen – der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – ihre Prognose für 2019 von 1,5 auf 0,8 Prozent. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) geht aktuell nur noch von 0,7 Prozent Wachstum in Deutschland aus.

Altmaier rechnet mit baldigem Ende der Flaute

Der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) reagierte gelassen auf die Prognose. Er rechnet schon bald mit einem Ende der Wirtschaftsflaute. „Die im zweiten Halbjahr 2018 zu beobachtende Abkühlung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung wird im Verlauf dieses Jahres allmählich überwunden, und die Auftriebskräfte gewinnen wieder die Oberhand“, so Altmaier.

Der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier
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Altmaier setzt auf Deutschlands „Antriebskräfte“

In den vergangenen Quartalen hätten neben der Eintrübung des weltwirtschaftlichen Umfelds auch heimische Sonderfaktoren wie die Umstellung auf den neuen Autoabgasmessstandard WLTP und das Niedrigwasser im Rhein für Belastung gesorgt. „Dieses Jahr wird sich die Konjunktur wieder beleben, ohne allerdings die hohe Dynamik zurückliegender Jahre zu erreichen“, sagte der CDU-Politiker.

Hoffen auf China

Von Reuters befragte Ökonomen zeigten sich von der Abwärtsdynamik jedoch überrascht. „Die Daten sind eine herbe Enttäuschung“, sagte Andreas Scheuerle von der deutschen DekaBank. „Wieder einmal ist es die Weltwirtschaft, die die deutsche Industrie in die Knie zwingt. Der Umschwung der globalen Konjunktur ist extrem und geht vor allem von der Region Asien aus.“ Auch Jens-Oliver Niklasch von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) sprach ebenfalls von einem herben Rückschlag: „Die Industriekonjunktur ist wohl schon fast im freien Fall.“

Container im Hafen von Shanghai
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Der Hafen in Schanghai ist der größte der Welt. Unzählige Container werden von dort nach Hamburg verschifft.

Hoffnung auf eine Trendwende macht manchem Experten die Entwicklung in China. „Die Auftragseingänge signalisieren einen klaren Abschwung“, sagte der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel. „Wie lange dieser anhält, hängt jetzt auch entscheidend davon ab, wie lange es dauert, bis die von der chinesischen Regierung initiierten Konjunkturmaßnahmen auch auf dem hiesigen Kontinent ihre positive Wirkung entfalten.“ China hat beispielsweise die Mehrwertsteuer gesenkt und Milliardeninvestitionen in die Infrastruktur angekündigt. Die Volksrepublik ist Deutschlands wichtigster Handelspartner.

EZB-Zinswende für Ende 2020 erwartet

Deutschlands Wirtschaftsinstitute rechnen außerdem mit einer Zinswende im Euro-Raum für Ende 2020. „Vor dem Hintergrund der wieder anziehenden Inflationsdynamik“ sei dann eine Erhöhung der Leitzinsen von derzeit null auf 0,25 Prozent zu erwarten, hieß es. Die Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass die Inflationsrate in der Euro-Zone im Jahr 2020 auf 1,6 Prozent steigen wird von prognostizierten 1,4 Prozent im laufenden Jahr. Die Europäische Zentralbank (EZB) strebt einen Wert von knapp zwei Prozent an, der als ideal für die Konjunktur gilt.

Bereits im dritten Quartal 2020 dürfte die EZB nach Ansicht der Expertinnen und Experten den Einlagesatz um 0,15 Prozentpunkte auf minus 0,25 Prozent erhöhen. Damit würden Banken entlastet, die eine Strafgebühr dafür zahlen müssen, dass sie über Nacht bei der Zentralbank Geld parken. „Für eine Zinserhöhung zum Jahresende 2020 sprechen auch die Markterwartungen“, heißt es in dem Gutachten von RWI, DIW, Ifo, IfW und IWH.