Militärfahrzeug in Tripolis
Reuters/Ismail Zetouni
Libyen

Lage spitzt sich weiter zu

In Libyen droht der Konflikt zwischen dem abtrünnigen Rebellenkommandeur Chalifa Haftar und der libyschen Einheitsregierung zu eskalieren. Die Gewalt hat mittlerweile die Hauptstadt erreicht – am Sonntag flogen die Rebellen einen ersten Luftangriff auf Tripolis.

Ein Kampfjet der Rebellen habe ein Ziel im Süden der Hauptstadt attackiert, berichteten mehrere Medien. Haftars Truppen teilten mit, sie hätten in Vororten von Tripolis Luftangriffe gegen „bewaffnete Milizen“ geflogen. Damit habe das Leben von Zivilistinnen und Zivilisten beschützt werden sollen, erklärte die Medienabteilung von Haftars Libyscher Nationalarmee (LNA).

Haftars Truppen versuchen seit Donnerstag, auf die Hauptstadt Tripolis vorzurücken, wo die international anerkannte Regierung von Fajis al-Sarradsch ihren Sitz hat. Der General will Tripolis einnehmen und das gespaltene Land unter seine Führung bringen. Am Freitag hatte die LNA nach eigenen Angaben die südlichen Außenbezirke von Tripolis erreicht und die Kontrolle über den früheren internationalen Flughafen übernommen. Letzteres wird vom Militär der international anerkannten Regierung Libyens bestritten.

Regierung kündigt Gegenoffensive an

Die Regierung in Tripolis kündigte indes eine Gegenoffensive an. Die Operation „Vulkan des Zorns“ habe das Ziel, alle libyschen Städte von illegalen Kräften zu „säubern“, erklärte der Militärsprecher der Regierungsanhänger, Mohammed Kanunu, am Sonntag. Die Streitkräfte würden mit „eiserne Faust“ gegen jeden vorgehen, der vorhabe, die Einheit und Sicherheit Libyens anzugreifen.

Libyscher Premier Fajis al-Sarradsch mit Militär
APA/AFP/Mahmud Turkia
Der Premier der international anerkannten Regierung, Sarradsch, im Gespräch mit Militärs nach Kämpfen mit Haftars Truppen

Seit Beginn von Haftars Offensive wurden nach Angaben der Regierung mehr als 30 Menschen getötet. Rund 50 seien verletzt worden. Ein Sprecher von Haftars LNA meldete auch den Tod mehrerer LNA-Kämpfer. Premier Sarradsch hatte am Samstag vor einem „Krieg ohne Gewinner“ gewarnt. Er warf dem abtrünnigen General in einer Fernsehansprache „Verrat“ vor: „Wir haben unsere Hände dem Frieden entgegengestreckt, aber nach der Aggression, die es von den zu Haftar gehörenden Truppen gab, und nach seiner Kriegserklärung gegen unsere Städte und unsere Hauptstadt (…) kann er nur auf Gewalt und Entschlossenheit treffen.“

UNO und G-7 fordern Ende der Kämpfe

Trotz der Eskalation will die UNO an der für Mitte April geplanten Versöhnungskonferenz festhalten. Zur Vorbereitung war UNO-Generalsekretär Antonio Guterres Ende vergangener Woche nach Libyen gereist. Er rief zu einem Ende aller Truppenbewegungen und zur Deeskalation auf.

General Khalifa Haftar und UN-Generalsekretär Antonio Guterres
APA/AFP
UNO-Generalsekretär Guterres (re.) traf am Freitag mit General Haftar in Bengasi zusammen

In der ostlibyschen Stadt Bengasi hatte Guterres auch Haftar getroffen. Sowohl der UNO-Sicherheitsrat als auch die Außenminister der G-7-Staaten forderten Haftar auf, „alle militärischen Bewegungen zu beenden“. Das sei allerdings gescheitert. Dem Aufruf zu einer zweistündigen Waffenruhe wurde nicht Folge geleistet. „Es hat keine Waffenruhe gegeben“, sagte ein Sprecher der UNO-Mission in Libyen, Jean Alam, am Sonntag der Nachrichtenagentur AFP.

Das US-Militär zieht wegen der Eskalation in Libyen Militärangehörige aus dem Krisenland ab. Das Afrikakommando der US-Streitkräfte teilte mit, ein Kontingent von Soldatinnen und Soldaten sei aufgrund der Unruhen vorübergehend aus dem Land abgezogen worden. Die Sicherheitsbedingungen an Ort und Stelle seien zunehmend unvorhersehbar, erklärte Kommandant Thomas Waldhauser. Die USA forderten Haftar auf, die militärische Offensive unverzüglich zu stoppen. US-Außenminister Mike Pompeo sagte am Sonntag (Ortszeit), die USA seien wegen der Kämpfe sehr besorgt.

Kriegsgefahr in Libyen steigt

In Libyen wird um Tripolis gekämpft. Truppen der Regierung und der Gegenregierung liefern sich Gefechte um den Flugplatz.

Russland blockierte im Sicherheitsrat eine Erklärung zu Libyen, in der ein Ende des Vormarsches der Truppen gefordert werden sollte. Moskau pochte nach Diplomatenangaben vom Sonntag darauf, dass alle Konfliktparteien zu einem Ende der Kämpfe aufgerufen werden. Die USA lehnten eine solche Änderung am Text aber ab. Russland steht wie Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate hinter dem abtrünnigen General Haftar

Chaos nach Sturz Gaddafis

Der 75-jährige Haftar setzt bei seinen Eroberungen auf seine jahrelange Erfolgsstrategie. In dem nordafrikanischen Land herrscht seit dem Sturz von Langzeitherrscher Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 ein Bürgerkriegschaos. Seit Anfang des Jahres konnte Haftar seine Machtposition rasant ausbauen. Seine Truppen waren in den vergangenen Monaten von Osten bis an die Grenze zu Algerien im Westen Libyens vorgerückt. Wer das Öl kontrolliert, kontrolliert das Land. Im Februar gelang Haftar die Einnahme der wichtigen Ölfelder Scharara und Fil und dadurch der Zugriff auch auf wichtige Ressourcen. Beide Ölfelder können täglich rund 400.000 Barrel Rohöl fördern.

Truppen von General Khalifa Haftar
APA/AFP/Abdullah Doma
Soldaten der selbst ernannten LNA unter Haftars Kommando im vergangenen Jahr bei einer Militärparade in Bengasi

Zuvor, 2016, hatte die LNA bereits die Ölanlagen im Osten unter ihre Kontrolle gebracht. Bei den zuletzt eroberten Ölfeldern ging Haftar wie bereits erprobt vor. Er nahm die lokalen Milizen in seine LNA hinein, gab ihnen Uniformen und vor allem ein Gehalt, so „Foreign Policy“. Teils wurden sie gleich wieder zum Schutz der Ölfelder abkommandiert, schrieb das Magazin.

Wichtiges Transitland für Flüchtlinge

Die Entwicklungen in Libyen haben auch Auswirkungen auf Europa: Libyen hat sich zu einem der wichtigsten Transitländer von Migrantinnen und Migranten auf dem Weg nach Europa entwickelt. Von der libyschen Mittelmeerküste legen immer wieder Boote mit Flüchtlingen ab. Die EU hatte Ende März erklärt, sie beende ihren Marineeinsatz vor Libyens Küste, mit dem Schlepper gestoppt werden sollen.