Kämpfer der libyschen Regierung der nationalen Einheit (GNA)
APA/AFP/Mahmud Turkia
Kämpfe in Libyen

Erste Bewohner flüchten aus Tripolis

Die Kämpfe südlich der libyschen Hauptstadt Tripolis haben nach Angaben der Vereinten Nationen binnen Tagen mindestens 2.200 Menschen in die Flucht getrieben. Viele weitere seien in dem Gebiet eingeschlossen, erklärte das UNO-Büro für Menschenrechte (OHCHR) am Montag. Die Kämpfe erreichten unterdessen den Flughafen der Stadt.

Bei den jüngsten Kämpfen wurden nach Angaben der Regierung, die in Tripolis sitzt, mindestens 49 Menschen getötet. Dutzende weitere seien seit Beginn der Offensive des abtrünnigen libyschen Generals Chalifa Haftar auf Tripolis verletzt worden, sagte Gesundheitsminister Ahmed Omar in einer Fernsehansprache. Unter den Opfern befänden sich auch Zivilisten und Zivilistinnen. Haftars Libysche Nationale Armee (LNA) hatte zuletzt von 14 Toten in den eigenen Reihen gesprochen.

Die Kämpfe, die sich südlich von Tripolis ereigneten, erreichten inzwischen den einzig verbliebenen Flughafen der Stadt. Es habe Luftangriffe auf den Flughafen Mitiga gegeben, Reisende seien in Panik geraten, hieß es aus Flughafenkreisen am Montag. Bilder in den Sozialen Netzwerken zeigten Rauchsäulen über dem Rollfeld. Um den Flughafen gab es bereits in der Vergangenheit immer wieder Kämpfe. Der internationale Flughafen wurde bei Kämpfen 2014 zerstört, so dass inzwischen alle Flüge über Mitiga abgewickelt werden müssen.

Russland blockiert Erklärung zu Libyen

Haftars Truppen, die bereits seit Längerem den Osten des Landes beherrschen, hatten am Freitag nach eigenen Angaben die südlichen Außenbezirke von Tripolis erreicht und die Kontrolle über den früheren internationalen Flughafen übernommen. Die international anerkannte Regierung Libyens, die Regierung der nationalen Einheit (GNA) unter der Führung von Fajis al-Sarradsch, hat einen eigenen Einsatz namens „Vulkan der Wut“ zur Verteidigung der Hauptstadt eingeleitet.

Karte zeigt Libyen
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/RiskIntelligence

Seit der Militärintervention der NATO in Libyen und dem Sturz des Machthabers Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 herrscht in dem nordafrikanischen Land Chaos. Die Regierung in Tripolis ist schwach und hat weite Teile des Landes nicht unter Kontrolle. Haftar unterstützt mit seinen Truppen eine Gegenregierung, die im Osten Libyens herrscht. Ihm war es in der Vergangenheit gelungen, mit einer Reihe erfolgreicher Militäreinsätze einen großen Teil des Landes, darunter Teile des Südens, wo sich große Ölfelder befinden, unter Kontrolle zu bringen.

Der UNO-Sicherheitsrat tagte bereits zu den neuen Spannungen. Aber eine gemeinsame Erklärung kam wegen der Vetomacht Russland nicht zustande. In der Erklärung forderte das höchste Gremium der UNO ein Ende des Vormarsches der Truppen von Haftar. Moskau pochte nach Diplomatenangaben vom Sonntag darauf, dass alle Konfliktparteien zu einem Ende der Kämpfe aufgerufen werden. Die USA lehnten eine solche Änderung aber ab. Im Text wurden alle Konfliktparteien zu einer Deeskalation aufgerufen. Russland steht ebenso wie Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate hinter Haftar.

Rückzug internationaler Truppen

Die EU rief die Kriegsparteien zu einem Waffenstillstand auf. Der sei dringend nötig, um die humanitäre Situation in dem Land zu verbessern, sagte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini vor einem europäischen Außenministertreffen in Luxemburg am Montag. Für FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl zeigt die Offensive von Haftar, dass dieser keineswegs abzuschreiben sei. „Totgesagte leben länger“, so Kneissl. Haftar verfüge über eine hierarchisch funktionierende Streitkraft, was in Libyen sonst fehle. Dagegen habe die anerkannte Regierung militärische Schwierigkeiten.

Laut einem Bericht der BBC haben einige Staaten ihre militärischen Einheiten aus Tripolis abgezogen. So habe das US-Afrikakommando, das verantwortlich für US-Militäreinsätze in Afrika ist, wegen der „zunehmenden Unruhen“ ein Kontingent seiner Truppen vorübergehend verlagert. Zahlen wurden keine genannt. Auch Indien habe sein gesamtes Kontingent von 15 Friedenstruppen der Central Reserve Police Force aus Tripolis abgezogen, weil sich die „Situation in Libyen plötzlich verschlimmert hat“.

Kein Ende der Gewalt in Libyen

Trotz internationaler Aufrufe zu einem Ende der Gewalt steuert Libyen auf einen neuen Bürgerkrieg zu. General Haftar marschiert mit seinen Truppen auf Tripolis zu. Die Regierung dort ruft zur Verteidigung auf.

Das italienische Öl- und Gasunternehmen ENI beschloss, sein gesamtes italienisches Personal aus dem Land zu bringen, heißt es. Auch die UNO sei dazu gezwungen, „nicht notwendiges Personal“ abzuziehen. Währenddessen decken sich Einwohner und Einwohnerinnen, die noch in Tripolis sind, laut BBC bereits mit Lebensmitteln und Öl ein. Viele würden aus Angst vor Plünderungen in ihren Häusern bleiben. Man würde nämlich eine länger anhaltende Offensive von Haftar erwarten.

UNO fordert Libyen-Konferenz

Die Vereinten Nationen pochen auf der Durchführung der seit Langem geplante Libyen-Konferenz. Dort soll ein Plan zur Vorbereitung von Wahlen in dem seit dem Sturz von Machthaber Gaddafi zerrissenen Land verabredet werden. Die Konferenz ist für den 14. bis 16. April in der Stadt Ghadames angesetzt. Das ölreiche Libyen ist ein wichtiges Transitland für Flüchtlinge, die Europa erreichen wollen. Gegner Haftars werfen dem 75-Jährigen vor, er wolle sich als neuer Diktator in Libyen etablieren.

Libyscher Rebellenkommandeur Chalifa Haftar
APA/AFP/Abdullah Doma
General Haftar marschiert mit seinen Truppen geradewegs auf Tripolis zu

Auf die Entwicklung in Libyen reagierten auch die Ölpreise. Diese erreichten am Montag angesichts hoher Angebotsrisiken neue fünfmonatige Höchststände. Ein Barrel (159 Liter) der Nordsee-Sorte Brent kostete am Vormittag 70,60 US-Dollar (62,80 Euro). Das waren 26 Cent mehr als am Freitag. Der Preis für ein Barrel der amerikanischen Sorte West Texas Intermediate (WTI) stieg um 25 Cent auf 63,33 Dollar.

Marktteilnehmer nannten die drohende Eskalation im ölreichen OPEC-Land als einen Grund für die Preisaufschläge auf dem Ölmarkt. Libyen hat im vergangenen Monat etwa 1,1 Millionen Barrel Rohöl am Tag gefördert und ist damit ein mittelgroßer Produzent im Ölkartell OPEC. Hinzu kommen jedoch die US-Sanktionen gegen den Iran und die schwere Wirtschaftskrise in Venezuela. Zusammen mit der OPEC-Strategie eines knappen Angebots sorgen die Entwicklungen für steigende Ölpreise.