Stechmücke
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Umweltgifte

Die Mär von der „verseuchten“ Gelse

Der verregnete Mai gefolgt von der ersten Hitzewelle des Jahres: Teile Österreichs kämpfen heuer mit einer regelrechten Gelsenplage. Viele Menschen reagieren übermäßig auf die Stiche der Blutsauger. Warum das so ist, wird erforscht – dass Umweltgifte dafür verantwortlich und Gelsen heutzutage „verseucht“ sind, halten Fachleute für eine Mär.

Auf den Menschen gehen nur Gelsenweibchen. Um Eier bilden zu können, brauchen sie eine Blutmahlzeit. Haben sie ihr Opfer auserkoren, injizieren sie vor oder während des Stichs ihren Speichel in die Haut. Er enthält ein leichtes Analgetikum, das die Region rund um die Einstichstelle betäubt, Stoffe, die das Gewebe auflösen, und Gerinnungshemmer, damit das Blut beim Saugen nicht im Rüssel verklumpt. „Der Speichel enthält aber auch eine ganze Reihe von Stoffen, die allergen wirken“, sagt Horst Aspöck, Professor für medizinische Parasitologie am Tropeninstitut der Meduni Wien.

Die häufigste körperliche Reaktion auf den Stich ist der Gelsendippel, ein juckender, roter Quaddel mit einem Durchmesser von einem Zentimeter. Über den Speichel von Stechmücken können auch Krankheitserreger übertragen werden – Umweltgifte wie Schadstoffe aus Verbrennungsmotoren und Pestizide konnten bei Untersuchungen dagegen noch nie nachgewiesen werden. „Woher sollte eine Stechmücke ein Pestizid im Speichel haben? Wie sollte sie das Pestizid aufnehmen, sie sticht ja die Pflanze nicht“, so Aspöck zu ORF.at.

Allergische Reaktionen

Mehr als 700.000 Österreicherinnen und Österreicher zeigen laut Fachleuten eine sehr schwere oder schwere allergische Reaktion auf das Gift von Bienen, Wespen und Hornissen. Wie viele Menschen hierzulande allergisch auf Gelsenspeichel reagieren, ist unklar. Aussagekräftige Studien fehlen. „Allergische Reaktionen auf Mückenstiche nehmen gemäß meiner Beobachtung in den letzten Jahrzehnten enorm zu“, sagt der Dermatologe Daniel Blagojevic, ärztlicher Leiter des Allergieambulatoriums Rennweg in Wien.

Hausgelse
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Wie viele Menschen tatsächlich allergisch auf den Speichel der Gelsen reagieren, ist unklar

Bei Betroffenen schwillt die Einstichstelle dick an, ist stark gerötet und juckt fürchterlich. Im extrem seltenen Fall komme es zu anaphylaktischen Reaktionen mit Ganzkörperausschlägen, Asthma und Kreislaufreaktionen, so Blagojevic gegenüber ORF.at. Er vermutet einen Zusammenhang mit dem Aufkommen neuer Gelsenarten in Österreich: Bedingt durch den Klimawandel oder als blinder Passagier in Flugzeugen oder auf Schiffen wanderten neue Mückenarten in Österreich ein, „die unser Immunsystem noch nicht kennt und als fremd ansieht, daher auch die übersteigerten Stichreaktionen“.

Auch Hans-Peter Führer vom Institut für Parasitologie an der Veterinärmedizinische Universität Wien stellt in Abrede, dass Umweltgifte über den Speichel von Gelsen in den menschlichen Organismus gelangen könnten. Wie heftig die Reaktion auf den Stich ausfällt, hängt laut Führer von mehreren Faktoren ab, etwa der Größe des Insekts oder den Nahrungsbedingungen im Larvenstadium. Zudem lässt sich ein gewisser Gewöhnungseffekt beobachten. „Wenn man mit Stechmücken in einer Auenregion arbeitet und regelmäßig gestochen wird, reagiert man irgendwann kaum noch“, berichtet der Forscher, „fährt man dann in eine andere Region, reagiert man wieder.“

Viele kleine Blutsauger

An die 50 Gelsenarten gibt es in Österreich. Die häufigste ist Culex pipiens, die Hausgelse. Sie verbringt den Winter auf Dachböden sowie in Kellern und wird aktiv, sobald die Temperaturen steigen (was wie heuer bereits im Februar und März der Fall sein kann). Bei den Überschwemmungsgelsen, die derzeit in weiten Teilen des Landes Hochsaison haben, überwintern die Eier. Kommen sie mit Wasser in Berührung, schlüpfen die Larven.

Kriebelmücke
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Kriebelmücken können besonders hartnäckige Dippel hinterlassen

Zudem kommt in Österreich eine ganze Reihe anderer blutsaugender Gliederfüßler vor, etwa Gnitzen, Bremsen, Kriebelmücken, Lausfliegen, Zecken, Flöhe und Läuse. Bremsen sind für ihre schmerzhaften Stiche berüchtigt. Kriebelmücken ritzen die Haut auf und schlecken die sich bildende Blutlacke auf. Da sie zusätzlich noch Histamin im Speichel haben, heilen die von ihnen verursachten Wunden besonders schwer ab, sagt Blagojevic.

Robuste Neuankömmlinge

In den vergangenen Jahren wurden einige neue Mückenarten aus Südost- und Ostasien nach Österreich „importiert“. Die bedeutendste ist die Asiatische Tigermücke (Aedes albopictus), die Zika-, Chikungunya- und Dengue-Viren übertragen kann. „In Italien verdrängen die Tigermücken schon die einheimischen Arten. Bei uns sind sie noch nicht so weit, dass sie überwintern und stabile Populationen aufgebaut haben“, sagt Führer. Im deutschen Bundesland Baden-Württemberg und Norditalien gebe es bereits „etablierte Populationen“, sagt der Wissenschaftler, irgendwann werde das Insekt auch in Österreich Fuß fassen.

Die asiatischen Gelsenarten kamen nicht mit dem Klimawandel. Vielmehr ist es der internationale Handel, der ihre Ausbreitung ermöglichte. Im Fall der Tigermücke war es der weltweite Handel mit Altreifen, wie Führer sagt. Die Eier dieser Gelsenart sind äußerst robust: Bis zu drei Jahre können sie überdauern; kommen sie mit Wasser in Kontakt, schlüpfen die Larven.

Eingeschleppte Krankheiten

Eine Verbindung zur Klimakrise besteht unterdessen bei der Ausbreitung der Sandmücken. Bis zum Ende des Jahrhunderts werden die Insekten im nördlichen Mitteleuropa, „wenn nicht noch weiter nördlich“ verbreitet sein, schätzt Aspöck. Sandmücken übertragen Leishmanien. Die Parasiten seien vermutlich mit Hunden aus dem Mittelmeer-Raum eingeschleppt worden. Sie verursachen Leishmaniose, eine „schwere, aber behandelbare Krankheit“, wie Aspöck sagt, die vor allem für Menschen mit geschwächtem Immunsystem eine Gefahr darstellt.

Die eingeschleppten oder eingewanderten Gelsenarten bringen zudem Krankheitserreger, die es in Österreich bisher nicht gab. Im Laufe des Jahrhunderts werden sich laut Aspöck Dengue-Viren und Phlebo-Viren in Europa festsetzen. Nichts mit dem veränderten Klima hat laut dem Parasitologen dagegen die Ausbreitung des West-Nil-Virus zu tun. Der Erreger, der von der Hausgelse übertragen werden kann, kam mit Zugvögeln.

Malariamücke
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Malariamücken kommen in Österreich vor – die Krankheit wird trotzdem nie wieder ausbrechen

Niemals wieder in Europa eine Rolle spielen wird laut Aspöck die Malaria. Die gefürchtete Krankheit war einst bis weit in den Norden des Kontinents heimisch. Sie forderte Tausende Todesopfer – darunter auch historische Persönlichkeiten: „Alles spricht dafür, dass Oliver Cromwell an Malaria starb“, sagt Aspöck. Auslöser der Malaria sind Plasmodien, einzellige Parasiten. Sie finden sich im Speichel der Anopheles-Mücken, die auch in Österreich vorkommen. Was es hierzulande dank moderner Medizin nicht mehr gibt, ist das menschliche Reservoir. Sobald es keine Menschen gibt, die die Parasiten in sich tragen, können sie auch nicht mehr von den Steckmücken aufgenommen werden.

Lust auf Bier

Warum manche Menschen öfters zum Ziel von Gelsen werden als andere, ist Gegenstand der Forschung. Die Insekten werden durch ausgeatmetes Kohlendioxid und Ausdünstungen des Körpers angelockt. Es gibt auch andere Faktoren: Einige Studien hätten gezeigt, dass man häufiger gestochen wird, wenn man Bier trinkt, so Führer.

Wer sich vor den fliegenden Quälgeistern schützen will, sollte Aspöck zufolge zu Produkten greifen, die DEET (Diethyltoluamid), Icaridin oder Permethrin enthalten. „Diese drei Substanzen sollte man sich merken und Abstand nehmen von irgendwelchen dubiosen ätherischen Ölen oder Knoblauch“, sagt der Forscher.

Führer verweist zudem auf die nützliche Seiten der Stechmücken. Die Blutmahlzeit benötigen die Gelsenweibchen nur für die Produktion von Eiern. Ansonsten ernähren sie sich von Nektar und helfen so nebenbei bei der Bestäubung von Pflanzen. Ausgewachsene Gelsen und Larven dienen wiederum vielen anderen Tieren als Nahrung und sind so wichtiger Teil des Ökosystems.