Unterschiedliche, ungeordnete Tabletten
Getty Images/Tetra images RF
Teure Medikamente

Streit über Einblick bei US-Pharmariesen

In den USA steigen seit Jahren die Preise für Medikamente, mitunter in unerschwingliche Sphären. Die Gesetze erlauben es großen Pharmafirmen, die Preise weitläufig mitzugestalten und die Konkurrenz vom Markt fernzuhalten. Die Demokraten wollen die Preisgestaltung unter die Lupe nehmen, doch manche Republikaner sind dagegen: Sie warnten große Pharmakonzerne davor, Informationen preiszugeben.

Die Preise für rezeptpflichtige Medikamente sind förmlich explodiert: Zwischen 2006 und 2014 gab es eine Steigerung von durchschnittlich 57 Prozent. Medikamente, die nicht durch Generika ersetzbar sind, wurden sogar um 142 Prozent teurer. Die Zahlen stammen von der US-Wissenschaftlerin Robin Feldman von der California-Hastings-Universität. Sie brachte in jahrelanger Recherchearbeit etwas Licht in die schattigen Beziehungen zwischen Pharmaindustrie, Wirtschaft und Politik in den USA.

In einem Beitrag für die „Washington Post“ schrieb Feldman, dass eklatante Steigerungen besonders bei speziellen Medikamenten mit kleinerer Zielgruppe zu beobachten seien. Aktuelle Arzneien etwa für Hämophilie, die Bluterkrankheit, könnten unterm Strich bis zu 800.000 US-Dollar (709.000 Euro) im Jahr kosten. Für Medikamente (sowohl mit als auch ohne Rezept) geben US-Amerikaner im Schnitt rund 1.200 Dollar aus, wie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) 2017 errechnete. Der EU-Schnitt liegt bei 402 Euro.

Konzerne haben freie Hand

Eine Studie, die im Jänner im Journal „Health Affairs“ publiziert wurde, zeigte den simplen Grund für die starken Preisanstiege: Die Pharmafirmen erhöhten zumeist den Preis für Mittel, die bereits auf dem Markt sind, und das weit über der Inflation. Dabei haben sie weitgehend freie Hand, der Markt ist kaum geregelt.

Ein Beispiel, das 2015 weltweit Schlagzeilen machte, war das Entzündungsmedikament Daraprim, das unter anderem HIV-Patienten helfen soll. Die US-Firma Turing Pharmaceuticals hatte es unter ihrem damaligen Chef Martin Shkreli aufgekauft und den Preis danach schlagartig von 13,5 auf 750 Dollar pro Tablette erhöht. In den meisten anderen Ländern ist das Medikament preiswert zu haben. In Australien kosten 50 Tabletten nur zehn Dollar. Die Empörung über Shkreli und die Erhöhung um 5.000 Prozent war enorm. US-Medien bezeichneten Shkreli damals als „meistgehassten Mann Amerikas“. Später verringerte Turing den Preis wieder.

Aufforderung, Informationen nicht herauszugeben

Wie sich die Preise in den USA entwickeln und warum, das wollte sich der Kontrollausschuss des Repräsentantenhauses nun genauer ansehen. Im Februar gab es dazu erste Untersuchungen und Befragungen von Führungskräften in der Pharmabranche. Im Rahmen der Untersuchung hatte der demokratische Vorsitzende des Ausschusses, Elijah Cummings, auch von insgesamt zwölf Pharmakonzernen Informationen verlangt, wie sie zu ihren Preisen gelangen.

US-Hedgefondsmanager Martin Shkreli
AP/Brendan Smialowski
Martin Shkreli erhöhte den Preis für Daraprim um 5.000 Prozent – völlig legal

Die Transparenzbestrebungen wurden aber nicht von allen Seiten im US-Kongress unterstützt. Zwei republikanische Abgeordnete schickten laut einem Bericht von BuzzFeed vom Montag kürzlich mehrere Briefe an die Chefetagen von Novartis, Pfizer und anderen großen Pharmaunternehmen, in denen sie warnten, Informationen an den Kontrollausschuss zu liefern. Die beiden konservativen Abgeordneten Jim Jordan und Mark Meadows beschuldigten Cummings, womöglich vertrauliche Informationen an die Öffentlichkeit zu geben. Sein Ziel sei es, die Aktien der Konzerne zu drücken und die Wettbewerbsfähigkeit zu beeinflussen. Es sei nicht das erste Mal, dass so etwas geschehen sei.

Die Demokraten wiesen die Vorwürfe entschieden zurück und bezeichneten die Aufforderung, nicht mit dem Ausschuss zu kooperieren, als beispiellos. Man schütze hier eher die Aktienkurse der Pharmaindustrie als die Interessen der Amerikaner, zitierte BuzzFeed Elijah Cummings.

Regierung zahlt, schafft aber nicht an

In den USA fördert ein kompliziertes System die Intransparenz bei der Preiserstellung. Seit 2006 ist der größter Abnehmer von Medikamenten Medicare, die staatliche Krankenversicherung für ältere oder behinderte Menschen. Damals wurde verfügt, dass Medicare die Kosten für verschreibungspflichtige Mittel übernimmt. Diese Versicherung darf die Preise aber nicht direkt verhandeln, hat also trotz der hohen Ausgaben keinerlei Mitspracherecht.

Eine Schlüsselrolle kommt dabei externen Vermittlern zu, den Pharmacy Benefit Managers (PBMs). Diese Vermittler werden etwa von den Kassen und Versicherern bezahlt, damit sie bei den einzelnen Pharmafirmen gute Preise herausschlagen.

Großer Rabatt nach Preiserhöhung zuvor

Das Problem dabei ist laut Expertin Feldman, dass sich der umgekehrte Effekt eingespielt hat: Die Pharmafirmen erhöhten die Preise, um danach einen guten Rabatt zu geben. Das System sei vergleichbar mit einem Warenhaus: Vor dem Schlussverkauf werden die Preise im Geschäft ordentlich erhöht, um ohne Verlust einen guten Preisnachlass zu gewähren. Doch in den USA zahlen viele Menschen aufgrund des Gesundheitssystems den vollen Preis für Medikamente, selbst wenn sie versichert sind. Viele Menschen können sich daher ihre Medikation kaum mehr leisten.

Zudem konzentrieren sich laut Feldman die Konzerne in den letzten Jahren vermehrt darauf, neue Techniken „außerhalb des Labors“ zu erfinden. Auch die Firmen bezahlen PBMs, und zwar um die Konkurrenz durch Generikaanbieter fernzuhalten. Zudem werde durch Tricks bei den Patentanmeldungen die Marktmacht gestärkt. So seien die Hersteller inzwischen Experten darin, wie sie eigentlich schon „alte“ Mittel mit geringfügigen Änderungen bei der Zusammensetzung neu anmelden und so länger das Patent darauf halten. So müssen sie die Mittel nicht freigeben, damit sie nicht auch als Generika auf den Markt kommen können.

„Es ist eine endlose Spielwiese“, so Feldman gegenüber dem Onlinejournal The Fiscal Times in einem Interview. Die Pharmafirmen weisen Vorwürfe der Preistreiberei zurück. Auch für die Industrie würden die Kosten steigen, und Innovationen und Forschung an neuen Heilstoffen seien teuer.

Fixes Wahlkampfthema

Dass das System reformbedürftig ist, daran besteht dennoch wenig Zweifel in den USA. Im Wahlkampf 2016 war das einer der wenigen Punkte, in denen die Demokratin Hillary Clinton und der Republikaner und heutige US-Präsident Donald Trump übereinkamen. Und auch im kommenden Wahlkampf, der sich bereits abzeichnet, wird das Thema groß werden. Etliche der demokratischen Herausforderer Trumps bei der Wahl 2020 nahmen es auf und formulierten Forderungen. Bernie Sanders etwa will dafür sorgen, dass die Preise für rezeptpflichtige Medikamente um die Hälfte schrumpfen, wie er am Montag sagte. Elizabeth Warren will es im Fall eines Wahlsiegs der US-Regierung ermöglichen, Generika zu erzeugen. Amy Klobuchar ist für die Modernisierung des Kartellrechts.

Trump hatte schon im vergangenen Sommer schwere Kritik an den Preissteigerungen geäußert und so einige große Konzerne von neuen Erhöhungen abgehalten oder die Preise sogar gesenkt. Das sind verschmerzbare Verluste: Der Umsatz mit Arzneimitteln lag 2017 in Nordamerika bei 416 Milliarden Euro.