Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro
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100 Tage Bolsonaro

Große Worte, wenige Taten

Mit großen Ambitionen hat der ultrarechte Jair Bolsonaro am 1. Jänner sein Amt als Präsident Brasiliens angetreten. Doch danach verlor sich der Präsident in Skandalen und Skandälchen. In den ersten 100 Tagen konnte die Regierung nur zwei Dinge auf den Weg bringen: eine Liberalisierung des Waffenrechts und den Schutz des Amazonas-Regenwalds zu lockern. Seine Umfragewerte sind alarmierend.

Zudem brachte Bolsonaro einige Privatisierungen, unter anderem von Flughäfen durch. Doch die großen Brocken wie die dringende Pensionsreform blieben liegen. Seine Umfrageergebnisse stürzten zuletzt ab.

Das Umfrageinstitut Datafolha veröffentlichte am Montag eine Studie, nach der nur 32 Prozent der Befragten der Meinung sind, dass Bolsonaro seinen Job sehr gut oder gut mache. Das ist in den vergangenen 30 Jahren die geringste Zustimmung zu einem Präsidenten nach drei Monaten im Amt. Umgekehrt schätzt ebenfalls knapp ein Drittel seine Arbeit als sehr schlecht oder schlecht ein.

Zerstrittenes Kabinett

Beobachter machen vor allem die mangelnde politische Erfahrung des Präsidenten dafür verantwortlich. Zudem gibt es aber auch große Probleme in seinem Kabinett. Von vier und mehr zerstrittenen Fraktionen ist die Rede: Die acht Militärs in der Regierung würden ihr eigenes Süppchen kochen, eine Gruppe von konservativen Evangelikalen bestimme die Menschenrechtspolitik, und eine kleine Gruppe moderater Liberaler präge die Wirtschafts- und Justizpolitik.

Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro
Reuters/Adriano Machado
Bolsonaro setzte in seinem Kabinett vor allem unerfahrene Politiker ein

Und dann gibt es laut Nachrichtenagentur AP noch die Gruppe von Anhängern des in den USA lebenden konservativen Journalisten Olavo de Carvalho, der auch für seine Verschwörungstheorien bekannt ist. Die Gruppe würde laut AP vor allem die Außenpolitik prägen.

Bildungsminister ausgetauscht

Erst am Montag tauschte Bolsonaro seinen umstrittenen Bildungsminister aus. Ricardo Velez hatte etwa für Aufsehen gesorgt, weil er Schulen vorgeschlagen hatte, dass Schülerinnen und Schüler beim Singen der Nationalhymne gefilmt werden sollen. Zudem hätten sie Bolsanoras Wahlkampfslogan täglich aufsagen sollen. Vergangene Woche kündigte er an, in Schulbüchern den Militärputsch von 1964 als „souveräne Entscheidung der brasilianischen Gesellschaft bezeichnen“ zu lassen.

Ähnlich bezeichnete die Regierung die Ereignisse von 1964 in einem Telegramm an die UNO. Anlässlich des Jahrestags am 31. März war darin von einer „politisch legitimen Bewegung“ die Rede, die von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt worden sei und die Gefahr einer Machtübernahme durch Kommunisten inmitten des Kalten Krieges gebannt habe. Schon zuvor gab es ein Kontroverse rund um das Jubiläum, weil Bolsonaro „angemessene Feierlichkeiten“ angeordnet hatte.

Verbindungen zu Mord an Politikerin

Die größte mediale Aufmerksamkeit erhielt der als ultrarechter Populist geltende Bolsonaro bisher, als er ein Video postete. Darauf zu sehen ist ein Mann, der einem anderen über die Haare uriniert. Mit dem Video, mutmaßlich aufgenommen auf dem Karneval von Sao Paulo wollte der Präsident illustrieren, wie verdorben der Karneval aus seiner Sicht ist.

Für viel Aufsehen sorgten auch die Verbindungen der Familie Bolsonaros zu den Verdächtigen des Mordes an der linken Stadträtin Marielle Franco in Rio vor einem Jahr. Sohn Flavio soll Verwandte eines Hauptverdächtigen über Jahre in seinem Abgeordnetenbüro beschäftigt haben. Auch weitere Verbindungen zu den paramilitärischen Milizen, die offenbar hinter der Tat stehen, gibt es: Gemeinsame Fotos, Nachbarschaften und sogar ein Affäre eines seiner Söhne mit der Tochter eines mutmaßlichen Mitglieds des Killerkommandos.

Zweifelhafte Sicherheitspolitik

Flavio hatte die mächtigen Milizen zuvor auch öffentlich in Schutz genommen. Dabei kündigte sein Vater mehrfach ein robusteres Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Verbrecherbanden in Brasilien an – wofür auch das Waffengesetz gelockert wurde.

Der brasilianische Senator Flavio Bolsonaro
AP/Leo Correa
Bolsonaros Sohn Flavio musste sich unangenehme Fragen stellen lassen

Doch auch hier läuft offenbar einiges schief. Am Sonntag hatte eine Militärpatrouille in Rio de Janeiro das Feuer auf ein Auto eröffnet, in dem sich allerdings eine ganz normale Familie befand. Dabei kam ein Mann ums Leben, zwei weitere Menschen wurden verletzt. Nach Medienberichten wurde das Auto von mehr als 80 Schüssen getroffen. Zehn Soldaten wurden anschließend festgenommen, sie hätten die Einsatzregeln missachtet, teilte das Ostkommando der brasilianischen Streitkräfte mit.

Farbloser Besuch bei Trump

Außenpolitisch lassen die Erfolge auf sich warten. Den Besuch in den USA im März versuchte der Präsident als Erfolg und Schulterschluss mit dem großen Präsidenten Donald Trump als Freund zu inszenieren. Am Vorabend des Treffens hatte Bolsonaro zum Dinner in die Botschaft geladen. Links neben ihm saß Steve Bannon, Ex-Chefstratege Trumps und rechtsextremer Vordenker.

Jair Bolsonaro und Stephen Bannon
APA/AFP/Brasilianische Präsidentschaft
Bolsonaro mit Bannon

Das Ergebnis der US-Reise war überschaubar. Die Aussicht, vielleicht einmal Mitglied der NATO werden zu können, galt da schon als Erfolg. Das Militär dürfte das nicht allzu gerne gehört haben. Außenpolitisch ist Brasilien traditionell zurückhaltend bis neutral. Auch Bolsonaros Israel-Reise kurz darauf brachte wenig Konkretes.

Amazonas als „Geschenk“ an Agrarlobby

Für internationale Schlagzeilen sorgen dafür die Pläne des Präsidenten, die Bodenschätze des Amazonas-Beckens stärker wirtschaftlich zu erschließen, ohne Rücksicht auf Indigene und Ökologie. Bezeichnenderweise bestand Bolsonaros allererste Amtshandlung darin, der Indigenenbehörde FUNAI die Zuständigkeit für die Ausweisung neuer indigener Schutzgebiete zu entziehen und sie dem Landwirtschaftsministerium zuzuschlagen.

Die mächtige Agrarlobby wurde wohl dafür belohnt, ihn im Wahlkampf unterstützt zu haben. Allen voran die Sojabauern brauchen immer mehr Boden in dem Riesenland, das fast 50 Prozent der Fläche Südamerikas umfasst.

Sorgen um den Regenwald

FUNAI wurde dem neuen Ministerium für Frauen, Familie und Menschenrechte unterstellt. Dieses wird von der evangelischen Pastorin Damares Alves geleitet. Sie ist Mitbegründerin einer umstrittenen Gruppe, die unter anderem behauptete, Kindesmord sei bei Indigenen ein weit verbreitetes Phänomen.

Rodung im Regenwald von Brasilien
AP/Felipe Werneck
Illegale Rodungen im Bundesstaat Roraima

„Das Neue an der Situation jetzt ist, dass die Stellen, die zum Schutz und zur Kontrolle da sind, an Einfluss eingebüßt haben", sagte Luis de Camoes Lima Boaventura, Staatsanwalt für die Region um die Stadt Santarem im Staat Para. „Im Amazonas-Regenwald wird über die Zukunft unserer Erde entschieden“, hieß es von Lukas Meus, Waldexperte von Greenpeace Österreich. Doch die ersten 100 Tage von Bolsonaros Amtszeit „sind geprägt von Maßnahmen, die den wichtigen Regenwald bedrohen“.

Großer Brocken Pensionsreform

Die große Aufgabe, um die sich Bolsonaro bisher herumdrückt, ist eine dringend notwendige Pensionsreform, die schon seit Jahren immer wieder verschoben wird: Das Thema ist komplex und unpopulär. Mit einer Reform, die im Wesentlichen aus Kürzungen zu bestehen hätte, sind keine Wahlen zu gewinnen.

Im Jänner hatte der Präsident den Entwurf eingebracht. Mehr als zwei Monate später hat noch nicht einmal die Diskussion darüber begonnen. Gut möglich, dass sich die Debatte monatelang hinziehen wird. Eine Zustimmung zum jetzigen bzw. einem dann vielleicht modifizierten Text ist völlig offen. Die Pensionsreform könnte womöglich ganz scheitern, mit unabsehbaren Folgen für das Land.

Wirtschaft muss anspringen

Und Bolsonaro muss darauf hoffen, dass die Wirtschaft endlich anspringt. Die anfängliche Bolsonaro-Euphorie bei potenziellen Investoren erwies sich als ein Strohfeuer. Auch unter dem neuen Regierungschef bleibt Brasilien für Anleger unberechenbar. In einer Umfrage der Investmentbank XP unter Wirtschaftstreibenden und Investoren sank die Zufriedenheit mit Bolsonaro binnen drei Monaten von 86 auf 26 Prozent.

„Die ersten 100 Tage einer Präsidentschaft werden als eine Art Flitterwochen gesehen“, schrieb der Politikwissenschaftler und Kolumnist des Nachrichtenportals The Brazialian Report, Mauricio Santoro. „Aber mit Jair Bolsonaro haben die Flitterwochen mit einem Fall von häuslicher Gewalt begonnen – und irgendwer hat die Hochzeitssuite zertrümmert.“

Bolsonaro dürfte die magere Bilanz bisher jedenfalls bewusst sein. Statt der innenpolitischen Streitereien der vergangenen Monate schlug er laut Medienberichten in den vergangenen Tagen leisere Töne an. Erstmals gab es auch Gespräche mit anderen Parteien – und auf die ist er angewiesen: Im Parlament hält seine PSL gerade einmal zehn Prozent der Abgeordneten.