Zeitung am Wahltag
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Israel

Rechtes Lager um Netanjahu liegt voran

Bei der Parlamentswahl in Israel liefern sich die Likud-Partei von Regierungschef Benjamin Netanjahu und das Bündnis seines ärgsten Rivalen Benny Ganz ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Die Nachwahlbefragungen der wichtigsten Fernsehsender hatten kurz nach Schließung der Wahllokale am Dienstag noch kein einheitliches Bild gezeigt. Nach Auszählung ergibt sich nun ein leichter Vorteil für das Lager rund um Netanjahu.

Netanjahu und Ex-Generalstabschef Ganz erklärten sich anschließend dennoch beide zum Wahlsieger. In seiner Siegesrede sprach der 69-jährige Netanjahu von einem „unvorstellbaren Erfolg“, Ganz von einem „historischen Tag für Israel“. Die aktuellsten Auszählungsergebnisse zeigen laut israelischen Medien auch, dass Netanjahus rechtskonservativer Likud gmit 35 von 120 Mandaten gleichauf mit dem Oppositionsbündnis von Ganz liegt.

Insgesamt kam das Lager rechter und religiöser Parteien jedoch auf 65 Mandate, das Mitte-Links-Lager dagegen auf 55 Mandate. Daher ist davon auszugehen, dass Netanjahu erneut mit der Regierungsbildung beauftragt wird. Damit steht er vor seiner fünften Amtszeit.

Große Koalition ist möglich

Wenn alle Stimmen ausgezählt sind, wird Präsident Reuven Rivlin alle Parteien auffordern, sich für einen Regierungschef zu entscheiden und demjenigen mit dem größten Rückhalt den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen. Dazu hat dieser dann mindestens 28 Tage Zeit.

Jubel bei Anhängern von Benjamin Netanjahu
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Unterstützerinnen und Unterstützer des Blau-Weiß-Bündnisses feiern in Tel Aviv

Rechnerisch möglich ist nach den Prognosen auch eine Große Koalition von Likud und Blau-Weiß. Allerdings hatten sowohl Netanjahu als auch Ganz im Wahlkampf gesagt, sie würden nicht mit dem jeweils anderen in einer Regierung sitzen. Mögliche Koalitionspartner für Likud und Blau-Weiß erhielten lediglich Mandate im mittleren einstelligen Bereich: Die Arbeitspartei erhielt nur sechs bis acht Sitze.

Die Partei Neue Rechte von Erziehungsminister Naftali Bennett und Justizministerin Ajelet Schaked verpasste unterdessen vermutlich den Einzug in das Parlament. Die linke Merez-Partei kommt laut Prognosen auf vier bis fünf Sitze. Wer drittstärkste Kraft wird, war zunächst unklar.

Regierungskrise löste vorgezogene Wahlen aus

Netanjahu führte zuletzt eine Regierungskoalition mit den rechten und strengreligiösen Parteien an. Die Wahlen waren wegen einer Regierungskrise vorgezogen worden. Ursprünglich waren sie erst für November angesetzt gewesen. Netanjahu ist seit 2009 durchgängig im Amt und war auch von 1996 bis 1999 Ministerpräsident.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu
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Netanjahu gab seine Stimme in Jerusalem ab

Umfragen vor der Wahl hatten auf Verluste für Netanjahu hingedeutet, dem eine Anklage der Generalstaatsanwaltschaft wegen mutmaßlicher Korruption in drei Fällen droht. Es geht um Bestechlichkeit, Untreue und Betrug. Vor einer endgültigen Entscheidung, ob der Regierungschef wirklich vor Gericht muss, hat aber noch eine Anhörung zu erfolgen. Netanjahu weist alle Vorwürfe zurück.

Freundschaft mit USA als Rettungsanker für Netanjahu?

Allerdings konnte der jetzige Ministerpräsident zuletzt auch außenpolitische Erfolge verbuchen: So erhielt er Unterstützung von US-Präsident Donald Trump, der die amerikanische Botschaft nach Jerusalem verlegte und die Golanhöhen offiziell als israelisches Staatsgebiet anerkannte. Israel hatte das Gebiet 1967 von Syrien erobert und 1981 annektiert.

Roland Adrowitzer zur Israel-Wahl

ORF-Korrespondent Roland Adrowitzer berichtet aus Israel über den unklaren Wahlausgang.

Expertinnen und Experten taten sich dennoch schwer mit ihren Einschätzungen. So ließ sich „Yedioth Ahronoth“, die auflagenstärkste kostenpflichtige Zeitung des Landes, angesichts des ungewissen Ausgangs noch am Tag der Wahl alle Optionen offen: Auf ihrer Titelseite zeigte sie wie bei einem Kartenspiel spiegelverkehrt Porträts der beiden Rivalen. Neben beiden stand jeweils: „Der nächste Ministerpräsident.“

Ganz will Friedensregelung

Mit einem deutlichen Rechtsruck hatte Netanjahu noch kurz vor der Wahl in einem Interview die Annektierung bereits israelisch besiedelter Gebiete im Westjordanland in Aussicht gestellt. Einem unabhängigen Palästinenserstaat erteilte er eine Absage. Ganz hat sich für eine Friedensregelung mit den Palästinensern ausgesprochen. Gleichzeitig ist er dafür, dass die großen Siedlungsblöcke im Westjordanland bei Israel bleiben. Von der israelischen Besatzung hat er sich distanziert.

Der oppositionelle Herausforderer Benny Ganz
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Ganz bei der Stimmabgabe in der Nähe von Tel Aviv

Der seit 2014 auf Eis liegende Friedensprozess spielte im Wahlkampf allerdings nur eine untergeordnete Rolle. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sagte anlässlich der Wahlen, Frieden in der Region sei im Interesse des eigenen Volkes – und in dem Israels. „Wir hoffen nur, dass sie (die Israelis) dem richtigen Weg zum Frieden folgen“, sagte Abbas nach Angaben der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa. „Unsere Hand ist immer für Verhandlungen ausgestreckt, aber wir werden unsere Rechte nicht aufgeben.“

Trump will nach der Wahl seinen lange erwarteten Friedensplan zur Lösung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern präsentieren. Abbas betonte erneut, er werde keinen Friedensplan der Amerikaner akzeptieren, „was auch immer das sein werde“, berichtete Wafa. Die Palästinenser lehnten den Plan ab, weil er ihre Ansprüche nach internationalem Recht umgehe, sagte Abbas demnach.