Benjamin Netanyahu
AP/Ariel Schalit
Israel

Netanjahu steht vor fünfter Amtszeit

Nach der Parlamentswahl in Israel ist noch immer unklar, ob die Likud-Partei von Regierungschef Benjamin Netanjahu oder sein Herausforderer Benni Ganz mit Blau-Weiß stimmenstärkste Partei wird. Nach Auszählung fast aller Stimmen liegen beide Parteien bei den Mandaten mit jeweils 35 von 120 gleichauf. Dennoch hat Netanjahus rechter Block die notwendige Mehrheit, um eine Regierung zu bilden.

Das Lager rechter und religiöser Parteien kam den Hochrechnungen zufolge insgesamt auf 65 Mandate, das Mitte-links-Lager auf 55 Mandate. Daher ist davon auszugehen, dass Netanjahu erneut mit der Regierungsbildung beauftragt wird. Damit steht er vor seiner fünften Amtszeit. Er hatte schon in der Nacht eine Siegesrede gehalten und von einem „unvorstellbaren Erfolg“ gesprochen. Es sei ein „kolossaler Sieg“.

In der Nacht hatte sich allerdings auch sein Herausforderer Ganz zum Wahlsieger erklärt und einen „historischen Tag für Israel“ ausgerufen. Die größte Partei müsse den Auftrag zur Regierungsbildung bekommen, sagte er. Auch am Mittwoch gab sich Ganz trotz der Übermacht des rechten Lagers noch nicht geschlagen: „Es zeichnen sich zwar dunkle Wolken ab, aber nichts ist endgültig, Bewegungen sind noch möglich, und wir können noch politische Vorstöße unternehmen.“

Anderen Parteien im einstelligen Bereich

Für das endgültige Ergebnis fehlen noch die Briefwahlstimmen von Diplomaten, Häftlingen, Matrosen und Patienten. Medienberichten zufolge soll das Endergebnis Donnerstagabend oder Freitagfrüh vorliegen. Die anderen Parteien und möglichen Koalitionspartner erzielten laut Hochrechnungen bisher Mandate im einstelligen Bereich.

Die streng religiösen Parteien Schas und Vereinigtes Tora-Judentum kamen jeweils auf acht Mandate. Die Arbeitspartei erhielt nur sechs Sitze, genau wie die arabische Partei Hadasch-Taal. Die Partei Die Neue Rechte von Erziehungsminister Naftali Bennett und Justizministerin Ajelet Schaked verpasste vermutlich den Einzug ins Parlament. Die ebenfalls ultrarechte Partei Israel Beitenu von Avigdor Lieberman und die Union rechter Parteien erhalten jeweils fünf Mandate.

Benny Gantz
APA/AFP/Menahem Kahana
In der Nacht erklärte sich auch Ganz zum Sieger

Kulanu von Finanzminister Mosche Kachlon erhält vier Mandate, ebenso die linke Merez-Partei und die arabische Partei Balad-Vereinigte Arabische Liste. Wenn alle Stimmen ausgezählt sind, wird Präsident Reuven Rivlin alle Parteien auffordern, sich für einen Regierungschef zu entscheiden, und demjenigen mit dem größten Rückhalt den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen. Dazu hat dieser dann mindestens 28 Tage Zeit.

Netanjahu und Ganz schlossen Koalition aus

Rechnerisch möglich ist nach den Prognosen auch eine Große Koalition von Likud und Blau-Weiß. Allerdings hatten sowohl Netanjahu als auch Ganz im Wahlkampf gesagt, sie würden nicht mit dem jeweils anderen in einer Regierung sitzen. Netanjahu führte zuletzt eine Regierungskoalition mit den rechten und religiösen Parteien an. Die Wahl war wegen einer Regierungskrise vorgezogen worden. Ursprünglich war sie erst für November angesetzt gewesen. Netanjahu ist seit 2009 durchgängig im Amt und war auch von 1996 bis 1999 Ministerpräsident.

Grafik zeigt Sitzverteilung in Knesset, Israel-Wahl
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Umfragen vor der Wahl hatten auf Verluste für den Likud Netanjahus hingedeutet, dem eine Anklage der Generalstaatsanwaltschaft wegen mutmaßlicher Korruption in drei Fällen droht. Es geht um Bestechlichkeit, Untreue und Betrug. Vor einer endgültigen Entscheidung, ob der Regierungschef wirklich vor Gericht muss, hat aber noch eine Anhörung zu erfolgen. Netanjahu weist alle Vorwürfe zurück.

Ganz setzte auf Wechselwillen

Im Wahlkampf hatte sich Netanjahu als erfahrener Politiker präsentiert, der allein in der Lage sei, Israels Sicherheit zu garantieren. Nur wenige Tage vor der Wahl hatte er die Annexion israelischer Siedlungsgebiete im Westjordanland angekündigt. Einem unabhängigen Palästinenserstaat erteilte er eine Absage.

Netanjahu liegt bei Wahl in Israel vorne

Netanjahu hielt bereits eine Siegesrede und sprach trotz des knappen Abstands zu seinem Kontrahenten Ganz von einem „kolossalen Sieg“.

Ganz, der vor der Wahl auf den Wechselwillen nach insgesamt 13 Jahren Netanjahu gesetzt hatte, hat sich für eine Friedensregelung mit den Palästinensern ausgesprochen. Gleichzeitig ist er dafür, dass die großen Siedlungsblöcke im Westjordanland bei Israel bleiben. Von der israelischen Besatzung hat er sich distanziert.

Warten auf Trumps Friedensplan

Der seit 2014 auf Eis liegende Friedensprozess spielte im Wahlkampf allerdings nur eine untergeordnete Rolle. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sagte anlässlich der Wahl, Frieden in der Region sei im Interesse des eigenen Volkes – und in dem Israels. „Wir hoffen nur, dass sie (die Israelis) dem richtigen Weg zum Frieden folgen“, sagte Abbas nach Angaben der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa. „Unsere Hand ist immer für Verhandlungen ausgestreckt, aber wir werden unsere Rechte nicht aufgeben.“

US-Präsident Donald Trump will nach der Wahl seinen lange erwarteten Friedensplan zur Lösung des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern präsentieren. Abbas betonte erneut, er werde keinen Friedensplan der Amerikaner akzeptieren, „was auch immer das sein wird“, berichtete Wafa. Die Palästinenser lehnten den Plan ab, weil er ihre Ansprüche nach internationalem Recht umgehe, sagte Abbas.

Roland Adrowitzer berichtet aus Tel Aviv

ORF-Korrespondent Roland Adrowitzer beobachtete die Wahlnacht in Israel und das knappe Rennen zwischen Netanjahu und seinem Herausforderer Ganz.

Trump hatte zuletzt Netanjahu auch außenpolitische Erfolge beschert. So unterstützte ihn der US-Präsident mit der Verlegung der amerikanischen Botschaft nach Jerusalem. Zudem erkannte Trump die Golanhöhen offiziell als israelisches Staatsgebiet an. Israel hatte das Gebiet 1967 von Syrien erobert und 1981 annektiert.

Kurz gratulierte

Ein Endergebnis gibt es noch nicht. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gratulierte Netanjahu aber bereits zu dessen Wahlsieg: „Obwohl das offizielle Ergebnis noch nicht veröffentlicht wurde, ist eine Sache klar: Sie haben – einmal mehr – das Vertrauen der Menschen in Rekordzahlen gewonnen“, twitterte Kurz. Er freue sich darauf, mit Netanjahu „in Zukunft zusammenzuarbeiten, zum Wohle der Menschen in Israel und der Menschen in Österreich“.