Ballettszene
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Staatsoper

„Wir haben zu spät reagiert“

„Wir haben zu spät reagiert, zu lange gewartet“: Selbstkritisch zeigten sich die Verantwortlichen der Staatsoper am Tag nach der Veröffentlichung der Missstände in der Ballettschule der Staatsoper durch den „Falter“. Die Kinder- und Jugendanwaltschaft betonte, Drill oder Grenzüberschreitungen seien durch nichts zu rechtfertigen. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Simona Noja, geschäftsführende Direktorin der Ballettakademie, verteidigte grundsätzlich die Arbeit in der Ballettakademie. Aber man habe mit der Entlassung der betreffenden Lehrerin zu lange gewartet. Diese habe aber eben auch sehr gute Arbeit gemacht und viele Schülerinnen und Schüler gehabt, die gut über sie sprächen. „Bei mir ist immer die Tür offen“, unterstrich Noja, die seit Mitte März die ehemalige Klasse der entlassenen Lehrerin selbst unterrichtet, ihr Interesse an Aufklärung in dieser Causa.

Die Staatsanwaltschaft hat unterdessen Ermittlungen eingeleitet. Die Oper hatte selbst eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft geschickt – allerdings erst am Mittwoch, also am Tag der Enthüllungen durch den „Falter“. Nun wird wegen Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses und sexueller Belästigung ermittelt. Es werde aber noch geprüft werden, ob das ausgeweitet wird, beispielsweise auf Körperverletzung, hieß es vonseiten der Anklagebehörde.

In voller Personenstärke waren zuvor die Spitzen von Wiener Staatsoper und Bundestheater-Holding angetreten, um zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. „Die ganze Sache trifft mich sehr“, stellte Staatsoperndirektor Dominique Meyer klar: „Es sind Dinge geschehen, die inakzeptabel sind. Wir wollen eine lückenlose Aufklärung von allem“, unterstrich Meyer zugleich, der auf zahlreiche getroffene Maßnahmen verwies.

Meyer: Drei Hauptprobleme

Er sehe drei Hauptprobleme in der Causa: „Eine Gruppe von Studierenden wurde schlecht behandelt von einer Lehrerin.“ Es handle sich um die 8. Klasse der Mädchen, die also zwischen 17 und 18 Jahren alt seien. Die betroffene Lehrerin sei zunächst mündlich und nach der erneuten Verschlechterung des Verhaltens schriftlich verwarnt und schließlich entlassen worden.

Ehemalige Ballettschülerin bestätigt Vorwürfe gegen Akademie

„Magazin 1“ hat mit einer ehemaligen Schülerin der Ballettakademie der Wiener Staatsoper gesprochen. Sie bestätigt die Vorwürfe und gibt einen erschreckenden Einblick in ihren damaligen Alltag, der von Grenzüberschreitungen geprägt war.

„Ich stelle mir die Frage, ob ich das nicht hätte früher machen sollen“, so Meyer: „Das sind Sachen, die vor 30 oder 40 Jahren wahrscheinlich Standard waren. In der heutigen Zeit ist das ein No-Go.“ Er sei jedenfalls wütend auf die Lehrerin: „Ihr Benehmen wirft einen Schleier auf meine Arbeit hier im Bereich des Balletts.“

Als zweiten Punkt gibt es den Vorwurf der sexuellen Belästigung eines Schülers durch einen Lehrer, die vor sechs Jahren geschehen sein soll. Hiervon habe man vor der „Falter“-Recherche keine Kenntnis gehabt, so Meyer. Man habe den Lehrer – der die Vorwürfe abstreitet – sofort vom Dienst freigestellt. Zumindest habe der Lehrer bestätigt, dass man sich privat getroffen habe. „Ich finde es nicht akzeptabel, dass Lehrer die Schüler in ihrer eigenen Wohnung empfangen“, machte Meyer deutlich.

Gegen Generalverdacht

Zugleich gelte aber auch: „Ich will die Lehrer nicht unter Generalverdacht stellen, weil zwei von ihnen Fehler gemacht haben.“ Er sei gegen überstürzte Personalentscheidungen. „Ich weiß, dass man gerne Köpfe rollen sehen will. Aber wir wollen die Dinge bearbeiten und uns auf Fakten beziehen“, betonte Meyer. Klar sei: „Wir haben die Pflicht, die Schüler zu schützen. Ich akzeptiere nicht, dass Kinder in dieser Schule leiden müssen.“

„Schwierige Frage“ Ernährung

Als dritter Punkt in diesem Zusammenhang gehe es um die Frage der Ernährung und des Körperbildes, das den Kindern vermittelt werde. Das sei eine schwierige Frage. Als Reaktion werde es nun sowohl für die Lehrer wie die Schüler obligatorische Schulungen in Ernährungskunde geben. „Wir arbeiten seit Monaten sehr gut und offen mit der Jugendanwaltschaft an einem Kinderschutzkonzept“, umriss Meyer weitere Maßnahmen. Ab Ostern wird deshalb eine Psychologin für die Kinder zur Verfügung stehen. Überdies gebe es bereits mit der Ombudsstelle die Möglichkeit einer anonymen Hotline, die man mit dem Verein „Möwe“ initiiert habe.

„Großer Schritt zum besten Theaterkonzern“

Lob für das transparente und sachliche Vorgehen kam von Bundestheater-Holdingchef Christian Kircher. Er untermauerte sein Credo in dieser Frage: „Null Toleranz.“ Das gelte für alle Häuser der Holding: „Wir sagen oft, die Bundestheater-Holding ist der größte Theaterkonzern der Welt. Es ist noch ein großer Schritt dahin, dass es auch der modernste und beste wird.“ Zur von Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) angekündigten Sonderkommission, die Kircher leiten wird, gibt es Mittwoch ein erstes Gespräch im Ministerium.

Wien: Oft von Partnerschule abgemeldet

Weitere Probleme mit der Ballettakademie der Wiener Staatsoper ortet man in der Wiener Bildungsdirektion (vormals Stadtschulrat). Abseits von Drill- und Missbrauchsvorwürfen seien Kinder bei mangelndem Erfolg an der Balletteakademie von der Partnerschule abgemeldet worden, hieß es am Mittwoch. „Uns schien der Umgang mit den Schülern nicht korrekt. So geht man nicht mit Kindern um.“ Auf diese Weise könne die weitere Schullaufbahn gefährdet werden. Außerdem habe man wegen der Verwendung der Kinder für Aufführungen das Arbeitsinspektorat eingeschaltet.

„Keine Legitimation für Grenzüberschreitungen“

Die Wiener Kinder- und Jugendanwaltschaft bestätigte, nach anonymen Vorwürfen im Dezember aktiv geworden zu sein. Jugendanwalt Ercan Nik Nafs betonte, er könne zu „Einzelheiten“ nichts sagen. Die Kooperation mit der Staatsoper funktioniere jedenfalls gut. Ziel sei es jedenfalls, eine „neue Kultur des Hinschauens und der Transparenz zu schaffen“. Die Aufklärung der Vorwürfe sei dafür die Basis.

Das Ziel, Karriere zu machen oder ein Star zu werden, dürfe „auf keinen Fall Strukturen legitimieren, die Drill und Grenzüberschreitungen verursachen“, mahnte Nik Nafs. In diesem Zusammenhang rief er dazu auf, dass sich betroffene Kinder und Jugendliche wie auch Eltern bei der Kinder- und Jugendanwaltschaft melden und Hilfe holen könnten.