Erntehelfer auf einem Weinberg
Reuters/Laszlo Balogh
Arbeit und Ausbeutung

Ein neuer „Wachhund“ für Europa

Europa ist mobil – 17 Millionen Menschen arbeiten und leben in einem anderen EU-Staat. Doch das hat Schattenseiten. Arbeitnehmende im Ausland gehören zu den besonders verletzlichen Gruppen, etwa wenn es um Lohn- und Sozialdumping geht. Dagegen soll künftig eine neue Europäische Arbeitsbehörde (ELA) vorgehen. Doch die Stelle ist umstritten – unter anderem hat sich Österreichs Regierung gegen sie ausgesprochen.

Eine „Kirsche auf dem Kuchen“, ein „Juwel in der Krone“: Fast schon euphorisch hat die EU-Kommissarin Marianne Thyssen letztes Jahr die Einigung auf die jüngste EU-Arbeitsbehörde begrüßt. Am Dienstag gab das EU-Parlament grünes Licht für die Behörde, diese soll nun noch heuer ihre Arbeit aufnehmen. Sie soll die Rechte der Millionen von Europäerinnen und Europäern schützen, die ihren Lebensunterhalt im Ausland bestreiten. Auch die 1,4 Millionen Menschen, die regelmäßig für die Arbeit über eine Grenze pendeln, sollen profitieren.

Gerade in Österreich spielt das Thema eine große Rolle: Aufgrund des Lohngefälles zu den Nachbarstaaten und der Lage im Zentrum Europas ist Arbeitsmigration hierzulande ein wichtiger Faktor. Jährlich werden allein rund 300.000 Menschen nach Österreich entsandt. Zum Vergleich: Im wesentlich größeren Deutschland sind es „nur“ rund 440.000. Auf der anderen Seite wird besonders Rumänien betroffen sein: Ganze 14 Prozent der Gesamtbevölkerung leben im EU-Ausland.

Betrügerische Praktiken

Doch ob in der Pflege, der Fernfahrt, am Bau oder in der Landwirtschaft: Immer noch sind betrügerische Praktiken wie Lohn- und Sozialdumping, illegale Entsendungen, Scheinfirmen und ein Mangel an Kontrolle große Probleme für Arbeitnehmende, die in einem anderen EU-Staat ihren Lebensunterhalt verdienen. Viel zu oft wird geltendes Recht nicht durchgesetzt. Auch Informationen über Schutzmaßnahmen kämen zu wenig bei den Betroffenen an. Und der unfaire Wettbewerb schadet auch Unternehmen.

Arbeiter auf einer Baustelle
ORF.at/Christian Öser
Arbeit am Bau – traditionell ein Problemfeld

Deswegen hat die EU-Kommission 2017 begonnen, Pläne für eine EU-Arbeitsbehörde zu schmieden. Sie sollte dabei helfen, Rechtsvorschriften – wie etwa die Entsenderichtlinie – durch die koordinierende Hilfe einer Behörde durchzusetzen und „die Fairness auf dem Binnenmarkt und das Vertrauen in ihn zu stärken“. Der arbeitsmarktpolitische Vorstoß der selbst deklarierten „politischen“ Kommission sorgte aber bei vielen Staaten für Skepsis – nicht alle waren der Meinung, dass die Materie bei der EU landen sollte.

Behörde soll aufklären und vermitteln

Erst im Februar dieses Jahres einigten sich Rat, Kommission und Parlament auf einen gemeinsamen Entwurf. Dem gingen harte Verhandlungen über Ziele und Aufbau der Arbeitsbehörde voraus. Geblieben sind eine Handvoll Kernaufgaben, die vor allem im Bereich Information und Unterstützung liegen. So soll die Behörde über Rechte und Pflichten bei grenzüberschreitender Arbeit aufklären und langfristig zum „One-Stop-Shop“ werden – also zu einer zentralen Infostelle für Arbeitnehmende, Unternehmen und nationale Behörden.

Die Vermittlung zwischen den einzelnen Staaten im Kampf gegen Lohn- und Sozialdumping soll die zweite große Aufgabe der EU-Behörde werden. Sie soll dabei helfen, die oft mäßig funktionierende Zusammenarbeit zwischen einzelnen EU-Staaten zu koordinieren und vereinfachen. Zum Beispiel soll sie die Staaten in Zukunft bei grenzüberschreitenden Kontrollen unterstützen, bei Streitigkeiten vermitteln und auch mit Akteuren wie Gewerkschaften sprechen.

Summa summarum werden die Kompetenzen der EU durch die Einrichtung der Arbeitsbehörde nicht erweitert – die Mitgliedsstaaten bleiben nach wie vor für die Durchsetzung von Arbeitsvorschriften zuständig. Und sie behalten ihre Autonomie, müssen etwa den grenzüberschreitenden Kontrollen nicht zustimmen. „Die Mitgliedsstaaten nehmen an den Tätigkeiten der Arbeitsbehörde jedoch nur auf freiwilliger Basis teil“, sagte der rumänische Arbeitsminister Marius-Constantin Budai.

EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen
AP/Virginia Mayo
Die belgische EU-Beschäftigungskommissarin Thyssen ist zufrieden mit der neuen Behörde

Zu viel oder zu wenig Macht?

Die neue Arbeitsbehörde sorgt trotzdem für gespaltene Reaktionen – den einen hat sie zu viel, den anderen zu wenig Einfluss. Kritiker der Stelle haben von Anfang an befürchtet, dass sie zu sehr in die nationalen Kompetenzen bei der Sozialpolitik eingreifen könnte. Aus diesem Grund sprach sich Österreich laut eigenen Angaben auf Ratsebene auch gegen das Vorhaben aus: Der finale Text habe „überschießende Bestimmungen“ und „Unklarheiten“ enthalten. Auch im EU-Parlament zeigten sich ÖVP und FPÖ kritisch.

Befürchtet wird außerdem, dass es in den nun definierten Aufgabenbereichen zu Überlappungen und teuren Parallelstrukturen mit existierenden Behörden kommen könnte. Zudem sei die Stelle mit rund 140 geplanten Mitarbeitern viel zu klein, um tatsächlich wirkungsvoll arbeiten zu können.

Gewerkschaften für mehr Kompetenzen

Einen Ausbau der Kompetenzen wünschen sich hingegen Arbeitnehmervertreter, etwa der Deutsche Gewerkschaftsbund. Er fordert, dass die Behörde auch selbst Kontrollen initiieren soll. Nur dann könnte sie „bei der grenzüberschreitenden Mobilität wirksam aktiv werden“. Dieser Forderung schließt sich auch der ÖGB grundsätzlich an: Dass die Agentur komme, sei ein „Riesenerfolg“. Was den Ausbau von Kompetenzen betrifft, unterstützte man alle Schritte, die dazu beitragen, Lohn- und Sozialdumping zu bekämpfen.

Lob für die Einigung kam in Österreich auch von der SPÖ und den Grünen sowie der Arbeiterkammer (AK). Letztere lobte die Behörde als Mittel „gegen Lohndrückerei“ und forderte die Regierung dazu auf, ihre Blockade gegen die Einrichtung aufzugeben.

Rennen um Sitz noch offen – Wien nicht dabei

Nach dem Parlament muss noch der Rat zustimmen. Dann soll die Behörde bereits heuer ihre Arbeit aufnehmen und bis 2023 voll funktionsfähig sein. Das Budget ist mit 50 Millionen Euro veranschlagt und kommt aus dem EU-Haushalt. Offen ist noch, in welchem Land sich die Behörde ansiedeln soll. Die SPÖ und die AK hatten gefordert, dass sich Wien bewirbt. Doch das Sozialministerium von Beate Hartinger-Klein (FPÖ) hatte abgewunken.

Das Ministerium verwies darauf, dass jene Staaten, die noch keine europäische Behörde beherbergen, Priorität hätten: Das sind Bulgarien, Zypern, Rumänien, die Slowakei und Kroatien. Bis auf Letztere haben alle Länder Interesse signalisiert, beworben hat sich zudem Lettland. Bis Anfang Mai müssen die Staaten ihre Bewerbung einreichen – final entschieden wird dann Mitte Juni in Luxemburg.

Auch neue Regeln für atypisch Angestellte

Abseits der Arbeitsbehörde will das EU-Parlament am Dienstag auch über neue Regeln für atypisch Beschäftigte abstimmen. Mit ihnen sollen die Rechte von Freiberuflern und geringfügig Beschäftigten verbessert werden, die kurzfristig kleine Aufträge annehmen – etwa Paket- und Essenslieferanten, Fahrer und Kreative. Die Änderungen zielen vor allem darauf ab, diese besser zu informieren.

So müssen laut den neuen Regeln alle Beschäftigten über ihre Rechte und Pflichten informiert werden. Ihnen darf bei Nullstundenverträgen nicht mehr untersagt werden, Jobs bei anderen Arbeitgebern anzunehmen. Die Ablehnung von sehr kurzfristig vergebenen Aufträgen soll zudem kein Grund mehr für eine Entlassung sein dürfen. Nach sechs Monaten dauerhafter Beschäftigung soll der Beschäftigte zudem das Recht haben, nach einer vorhersehbareren und sichereren Position zu fragen.