Eero Milonoff
Wild Bunch Germany
„Border“

Gruselromanze und nordische Mythen

Eine Grenzbeamtin mit besonderen Fähigkeiten findet in der Einsamkeit des hohen Nordens zu ihrem wahren Ich: „Border“ ist atemberaubendes Kino aus Schweden zwischen Gruselmärchen, Horror, Krimi noir und Romanze.

An ihr schafft es niemand vorbei. Nicht der junge Mann, der eine Sporttasche voller Schnapsflaschen über die Grenze schmuggeln will, nicht das Pärchen mit dem Marihuana. Und, auf unerklärliche Weise, auch nicht der überhebliche Geschäftsmann, an dem alles in Ordnung zu sein scheint. Doch Grenzbeamtin Tina beharrt auf einer genauen Untersuchung – und die Kolleginnen und Kollegen, die ihr blind vertrauen, finden tatsächlich etwas: eine Speicherkarte mit Kinderpornografie.

Die ruppige Heldin in „Border“ ist optisch das Gegenteil der meisten Kinostars, mit groben Gesichtszügen, unebener Haut, hängenden Schultern, strähnigen Haaren. Tina (gespielt von Eva Melander, ihr Make-up-Team war verdient oscarnominiert) ist, trotz ihrer Einsilbigkeit, unentbehrlich für das Team des schwedischen Grenzschutzes. Ob sie die Schuldigen an der Körpersprache erkennt oder an ihrem Geruch, Tina liegt immer richtig.

Eero Milonoff
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Nichts zu verzollen: Tina (Eva Melander) ahnt, dass Vore (Eero Milonoff) etwas zu verbergen hat

Eine Heldin wie keine andere

In ihrem heruntergekommenen Bungalow im Wald lebt Tina mit dem Hundetrainer Roland zusammen. Sie sind so etwas wie ein Paar, obwohl nur wenig Zuneigung spürbar ist. Wenn er nachts zu ihr kommt, wehrt sie ihn ab. Wenn Roland wegfährt, um eine andere zu treffen, tut sie, als wäre es ihr egal. Tinas Einsamkeit endet, als sie an der Grenze einen Mann kontrolliert, der verdächtig wirkt, aber auch aufregend. Die Kolleginnen und Kollegen können nichts Gesetzwidriges entdecken – zum ersten Mal.

Zwischen Tina und dem Fremden ist etwas, eine gemeinsame Sehnsucht nach Naturnähe, ein stilles Einverständnis. Er stellt sich als Vore (Eero Milonoff) vor, fragt sie nach einer Unterkunft, sie lässt ihn bei sich wohnen. Roland reagiert irritiert, zieht irgendwann aus. Doch das ist erst der Beginn einer Erkenntnisreise. Während Tina vor der beruflichen Herausforderung ihres Lebens steht und gemeinsam mit einer Staatsanwältin einen Pädophilenring aufdeckt, reift in ihr eine aberwitzige Einsicht.

Es ist alles ganz, ganz anders

Horror, Gruselmärchen, Gleichnis, Romanze: „Border“ ist schwer zu kategorisieren, am ehesten als „fantastischer Film“, der seine eigenen Regeln aufstellt. Dem Film liegt eine Kurzgeschichte von John Ajvide Lindqvist zugrunde, dessen sozialrealistischer Vampirroman „Lat den rätte komma in“ (deutscher Titel: „So finster die Nacht“) 2008 in Schweden und später auch in den USA verfilmt wurde. „Border“ ist Teil von Lindqvists Kurzgeschichtensammlung „Pappersväggar“ („Im Verborgenen“), wurde vom schwedisch-iranischen Regisseur Ali Abbasi verfilmt und in Cannes als bester Film in der Reihe „Un Certain Regard“ ausgezeichnet.

Eero Milonoff
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Endlich ohne Zwänge: Zwei Außenseiter im Glück

Die Geschichte von Tina und Vore, diesen scheinbar grobschlächtigen Gestalten, ihrer Zärtlichkeit und Brutalität, der Wut, Angst und Sehnsucht sei zugleich Horrorfilm und Liebesgeschichte, sagte Abbasi im ORF.at-Gespräch nach der Premiere in Cannes: „Genrefilme erzählen eine Art Paralleluniversum zu unserer Realität. Und sobald wir dieses Universum betreten, befinden wir uns auf allegorischem Territorium.“

Magischer Realismus, nordische Mythen

„Border“ handle von Rassismus, von Einsamkeit und „vom Gefühl, eine unterdrückte Minderheit zu sein“, so Abbasi. „Das kennt man als Frau, als braunhäutiger Mensch, als Schwarzer, als Mensch mit Behinderung.“ Aber auch weiße, heterosexuelle Mittelschichtmänner fühlten sich als Minderheit, wenn ihnen Regeln vorgegeben werden, die ihnen nicht passen, so Abbasi: „Auf ganz seltsame Weise kann sich jeder als Minderheit fühlen.“

Veranstaltungshinweis

Das /slash Festival des Fantastischen Films holte „Border“ im September 2018 zuerst nach Österreich. Am 3. und 4. Mai findet nun die Halbjahresausgabe des Festivals in Wien statt.

Um davon zu erzählen, bediente sich der Regisseur Elementen aus der nordischen Mythologie – mit einem Umweg: „Mich hat der lateinamerikanische Magische Realismus sehr inspiriert, etwa von Gabriel Garcia Marquez, Carlos Fuentes und Julio Cortazar. Ich wollte für diesen Film eine nordische Variante des Magischen Realismus entwerfen – und dazu braucht man auch den Realismus.“ Tatsächlich ist es der sozialrealistische Aspekt von Tinas Detektivarbeit, der „Border“ erdet.

Wo sich der Mainstream der Kinofilme, die sich mit Identität befassen, mit der schlichten Botschaft begnügt, die anderen seien zwar anders, aber eh auch Menschen, schlägt „Border“ einen ganz anderen Weg ein: Das mit dem Menschsein ist womöglich ohnehin gar nicht so erstrebenswert. Es gibt schließlich noch andere Daseinsformen.