Theresa May
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Brexit verschoben

Briten müssen sich auf EU-Wahl vorbereiten

Nach der neuen Brexit-Verschiebung auf den 31. Oktober muss sich Großbritannien nun auf die Teilnahme an der EU-Wahl vorbereiten: Denn sollte das Land den Austritt nicht vorher schaffen, müssen die Britinnen und Briten Ende Mai wählen – und sind in weiterer Folge an den Entscheidungen wie der Benennung der Präsidenten der EU-Kommission und des EU-Rates beteiligt.

Großbritannien werde bis zum neuen Termin ein „vollwertiges Mitglied mit allen Rechten“ bleiben, so EU-Ratspräsident Donald Tusk. Dabei müsse sich das Land laut dem Gipfelpapier „verantwortungsvoll“ benehmen und dürfte die Ziele der EU „nicht gefährden“. Es hatte im Vorfeld des Gipfels am Mittwochabend einigen Widerstand gegen die Verschiebung des Austrittsdatums gegeben, allen voran von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der das mit den Gefahren für die EU-Institutionen und die Europawahl im Mai begründete.

Die britische Premierministerin Theresa May will die Teilnahme Großbritanniens an der EU-Wahl vermeiden. Sie sagte nach dem Gipfel, es sei immer noch möglich, dass Großbritannien bis 22. Mai und damit vor der Wahl aus der EU austritt. Dazu müsse das britische Parlament dem mit der EU ausgehandelten Austrittsabkommen zustimmen. Es liege nun an den britischen Abgeordneten. Bei ihrer Erklärung Donnerstagnachmittag im britischen Parlament sagte sie, wenn der Austritt gewollt sei, müsse bald mit der Umsetzung begonnen werden. Regierung und Opposition müssten auch Kompromisse machen.

Jean Claude Juncker  und Donald Tusk
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Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Ratspräsident Donald Tusk sehen den Ball nun bei den Briten

Doch nach einem schnellen Kompromiss sieht es im britischen Unterhaus nicht aus. Der Chef der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, kritisierte May für den erneuten Aufschub scharf. Dieser sei ein „diplomatischer Fehler“, ein „Meilenstein des falschen Handelns der Regierung im ganzen Brexit-Prozess“.

„Harter Brexit“ nicht vom Tisch

Sollte Großbritannien nicht an der Wahl teilnehmen, drohe ein harter Brexit ohne Abkommen per 1. Juni, so der irische Ministerpräsident Leo Varadkar. Einen „Hard Brexit“ wünschen sich einige „Brexiteers“, von denen viele mit der neuerlichen Verschiebung nicht zufrieden sein dürften. Entsprechend intensive Debatten dürfte es nun wohl erneut in Großbritannien geben, auch weil der Gipfelbeschluss vorsieht, dass die Verhandlungen mit der EU nicht nochmals aufgeschnürt werden. Das britische Unterhaus hat das Austrittsabkommen bereits dreimal abgelehnt.

Die nordirische Partei DUP, die Mays Regierung stützt, forderte am Donnerstag erneut eine Nachbesserung in der Frage der irischen Grenze. EU-Gegner unter Mays Konservativen kritisierten die Zustimmung zu der Verlängerung. Der „Druck auf sie zu gehen wird dramatisch zunehmen“, sagte der frühere Brexit-Minister David Davis der BBC. „Bitte verschwendet die Zeit nicht!“, appellierte dagegen Tusk nach Ende des Gipfels in Richtung Großbritanniens.

„Regeln sind Regeln“

„Regeln sind Regeln, und wir müssen das europäische Recht akzeptieren“, sagte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nach dem Gipfel. Ihm „gefalle“ die nun gefundene Lösung. Juncker wandte sich dagegen, Großbritannien als Blockadefaktor nach der Wahl zu überschätzen. Man sollte „das Ganze etwas dedramatisieren“.

Es gab einige warnende Stimmen, die meinten, dass Großbritannien nach der Teilnahme an der EU-Wahl die Entscheidungen der EU direkt blockieren könnte, darunter vom britischen „Brexiteer“ Jacob Rees-Mogg. „Das ist ja auch nichts Neues“, so Juncker zu den Blockadedrohungen. Außerdem könnten die nächsten anstehenden großen Entscheidungen wie die Benennungen des Präsidenten des Rates und der Kommission mit qualifizierter Mehrheit entschieden werden. Die britischen Möglichkeiten für eine Blockade sieht Juncker als „begrenzt“ an.

Kurz sieht „Hemmschuh“

Laut Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) verhinderte man durch die Fristverlängerung wahrscheinlich „enorme negative Auswirkungen für uns alle und vor allem für die Wirtschaft“. Die Kehrseite sei, dass Großbritannien „aller Voraussicht nach an der EU-Wahl teilnehmen wird“, so Kurz. Wenn bis dahin ein positiver Austritt gelinge, könne die Arbeit der neuen Kommission aber schon „ohne Großbritannien und ohne diesen Hemmschuh“ starten. Die österreichische Position sei bei der Frage der Länge der Fristverlängerung näher bei der französischen Position gewesen. Herausgekommen sei wie so oft ein Kompromiss, so Kurz.

Brexit-Verlängerung bis Ende Oktober

Die Einigung der EU-Staatschefs auf dem Gipfel kam in letzter Sekunde – ohne Verschiebung wären die Briten am 12. April ohne Abkommen aus der EU ausgeschieden.

May habe klar ihren Plan beschrieben, so Kurz. Was sie versuche, sei „grundanständig und richtig, aber ein großes Ass im Ärmel hat sie meiner Einschätzung nach nicht“, sagte er. Laut Tusk kann in der Sache im Übrigen auch noch alles passieren. „Ich hoffe auf eine endgültige Lösung bis Oktober. Aber ich bin zu alt, um ein anderes Szenario auszuschließen. Es ist immer noch alles möglich“, sagte er auf die Frage, ob er eine weitere Verlängerung nach Oktober ausschließe.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen begrüßte den Aufschub grundsätzlich, meinte aber auch, der beste Brexit sei kein Brexit. Er hoffe, dass die Zeit bis Ende Oktober gut genutzt werde. Andreas Schieder, SPÖ-Spitzenkandidat bei der EU-Wahl, zeigte sich „irritiert“ über die Fristverlängerung – sie beantworte keine der offenen Fragen, wie es nun weitergehe. Kritik kam auch von NEOS und Jetzt. Die Verschiebung sei ein „völlig falsches Signal“ an die EU-Bürger, meinte NEOS-Spitzenkandidatin Claudia Gamon. Sowohl Gamon als auch Bruno Rossmann, Klubobmann von Jetzt, plädierten für ein zweites Referendum.

Warnung vor immer neuen Sondergipfeln

Ursprünglich hätte der Brexit bereits am 29. März stattfinden sollen. Doch das britische Parlament hatte den Austrittsvertrag zwischen Großbritannien und der EU mehrfach abgeschmettert, womit ein harter Brexit gedroht hatte. Die EU hatte die Frist daraufhin auf diesen Freitag verlängert, ein Vertrag war in London aber weiter nicht zustande gekommen. Ohne den neuen Aufschub bis 31. Oktober wäre es voraussichtlich zu einem harten Brexit mit gravierenden Folgen für die Wirtschaft und viele Lebensbereiche gekommen. Mit 1. November endet die Amtszeit von Juncker als Kommissionspräsident.

Donald Tusk Theresa May und Angela Merkel
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Die Stimmung auf dem Gipfel, hier zwischen Tusk, May und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, war offenbar auch gelöst

May hatte vor dem Gipfel für eine Verschiebung des Austritts bis zum 30. Juni geworben. Tusk hatte allerdings gewarnt, ein kurzer Aufschub berge das Risiko immer neuer Sondergipfel und Fristen. Das könnte die übrige Arbeit der EU in den kommenden Monaten überschatten und lähmen. Macron sprach nach dem Gipfel „vom bestmöglichen Kompromiss“.

Britische Wirtschaft erleichtert

Die britische Wirtschaft zeigte sich über die Verlängerung erfreut. Sie bedeute, „dass eine drohende Wirtschaftskrise verhindert werden konnte“, so die Geschäftsführerin des Industrieverbandes CBI, Carolyn Fairbairn, auf Twitter. Nötig sei nun ein Neustart: Zum Wohle der Arbeitsplätze und Gemeinden müssten jetzt „alle politischen Anführer die Zeit gut nutzen“. Das britische Pfund, das in der Nacht gegenüber dem Dollar leicht zugelegt hatte, stabilisierte sich Donnerstagfrüh.

Unterdessen werden die Rufe nach einem zweiten Referendum lauter. Die flexible Verlängerung bis Ende Oktober sei lang genug, um eine Volksabstimmung abzuhalten, sagte der Sprecher der britischen Liberaldemokraten, Tom Brake, in London. Es sei schon lange überfällig, dass May und Corbyn ihre politischen Spielchen aufgeben. Ähnlich hatte sich zuvor die neue „Unabhängige Gruppe“ aus ehemaligen Labour- und Tory-Abgeordneten im Unterhaus geäußert.

Lawine an Halloween-Scherzen

Eine Notiz am Rande: Dass das neue Austrittsdatum just auf Halloween fällt, wurde natürlich unmittelbar zur Steilvorlage für Scherze. Die BBC zitierte Tweets wie etwa ein „Nightmare on Downing Street“ des schottischen Abgeordneten Keith Brown. Journalisten und Mitarbeiter des Senders kündigten an, sich als Tusk oder Juncker zu verkleiden.