WikiLeaks-Gründer Julian Assange in Polizeiauto
Reuters/Henry Nicholls
Botschaftsasyl aufgehoben

WikiLeaks-Gründer Assange verhaftet

WikiLeaks-Gründer Julian Assange ist am Donnerstag in London von der britischen Polizei verhaftet worden. Die ecuadorianische Botschaft habe das Asyl nach fast sieben Jahren aufgehoben, so der britische Innenminister Sajid Javid. Assange fürchtet eine Auslieferung an die USA. Ein US-Auslieferungsantrag liegt laut Polizei vor.

Scotland Yard teilte mit, man habe die Erlaubnis bekommen, die ecuadorianische Botschaft zu betreten, nachdem die Regierung in Quito ihr Asyl zurückgezogen habe. Der 47-jährige Australier wurde bereits einem Richter am Westminster Magistrates’ Court vorgeführt. Dort plädierte er auf nicht schuldig. Er wies den Vorwurf zurück, er habe sich unrechtmäßig der Auslieferung nach Schweden entzogen. Wie die Nachrichtenagentur PA berichtete, wollte Assange nicht selbst aussagen, sein Anwalt habe die Begründung erläutern wollen.

Die britischen Behörden hatten Assange zuvor vorgeworfen, seine Kautionsauflagen verletzt zu haben, als er in die Botschaft flüchtete. „In Großbritannien steht niemand über dem Gesetz“, sagte die britische Premierministerin Theresa May am Donnerstag und dankte Ecuador für die Kooperation sowie der Polizei für ihre „große Professionalität“. Die Beziehung zwischen dem WikiLeaks-Gründer und Ecuador hatte sich in den letzten Monaten verschlechtert. Quito wirft ihm vor, sich in Staatsangelegenheiten Ecuadors und anderer Länder einzumischen.

Berichte über Erpressung mit Videos aus Botschaft

Vergangene Woche hatte WikiLeaks erklärt, Assange drohe die Ausweisung aus der diplomatischen Vertretung. In den vergangenen Tagen hieß es, WikiLeaks werde erpresst. Eine Gruppe „dubioser Personen“ in Spanien habe gedroht, Fotos und Videoaufnahmen des WikiLeaks-Gründers aus der ecuadorianischen Botschaft in London zu veröffentlichen, sagte WikiLeaks-Sprecher Kristinn Hrafnsson am Mittwoch vor Journalisten in London. Sie hätten drei Millionen Dollar (2,7 Mio. Euro) gefordert.

WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson und Anwältin Jennifer Robinson
APA/AFP/Niklas Halle’n
WikiLeaks-Sprecher Kristinn Hrafnsson (r.) und Anwältin Jennifer Robinson (l.) vor dem Westminster Magistrates’ Court

Assange fürchtet Auslieferung an USA

2012 war Assange in die ecuadorianische Botschaft geflohen, um einer Auslieferung an Schweden wegen Vergewaltigungsvorwürfen zu entgehen. Die Stockholmer Staatsanwaltschaft legte den Fall 2017 zu den Akten. Die Anwältin der Frau, die Assange 2010 angezeigt hatte, erklärte nach der Festnahme, sie werde „alles dafür tun“, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen wieder aufnimmt und Assange nach Schweden ausgeliefert wird.

Nach wie vor ist auch ein britischer Haftbefehl in Kraft, weil Assange gegen Bewährungsauflagen verstoßen haben soll. Der Australier befürchtet, dass Großbritannien ihn an die USA ausliefern könnte. Ein US-Auslieferungsantrag liegt laut britischer Polizei vor. Ob die Festnahme auch aufgrund des US-Ansuchens erfolgte, ist nicht klar. Die Plattform WikiLeaks hatte 2010 jedenfalls Hunderttausende geheime Dokumente aus der Kommunikation von US-Botschaften veröffentlicht.

Journalisten warten auf Wikileaks-Gründer Julian Assange
AP/Matt Dunham
Kurz nach der Festnahme wurde Julian Assange einem Gericht überstellt

Assange rechnet deswegen damit, dass ihm in den USA ein Prozess wegen Geheimnisverrats und womöglich sogar die Todesstrafe droht. Australien strebt derweil konsularischen Zugang zu Assange an. Konsulatsbeamte würden sich um einen Besuch bei ihm bemühen, sagte die australische Außenministerin Marise Payne. Sie vertraut nach eigenen Worten darauf, dass Assange in Großbritannien nach rechtsstaatlichen Kriterien behandelt werde.

Anklage in USA unter Verschluss?

In den USA wurde Assange wegen „Hackerangriffen“ angeklagt. Die US-Justiz wirft dem Australier Verschwörung mit der Whistleblowerin Chelsea Manning vor. Manning hatte WikiLeaks im Jahr 2010 – damals noch als Bradley Manning – Hunderttausende geheime Militärdokumente zukommen lassen. Sie wurde zu 35 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und von US-Präsident Barack Obama kurz vor Ende seiner Amtszeit begnadigt.

Konkret wird Assange beschuldigt, Manning dabei geholfen zu haben, ein Passwort eines Computernetzwerks der Regierung zu knacken, hieß es am Donnerstag. Im Fall einer Verurteilung droht Assange eine maximale Haftstrafe von fünf Jahren. Das Interesse der US-Justiz wurde im vergangenen November bekannt, als Assanges Name versehentlich in einem US-Gerichtsdokument auftauchte. Die Passage legte nahe, dass es bereits eine Anklage gibt, sie aber unter Verschluss gehalten wird. Die nun veröffentlichte Anklage trägt das Datum 6. März 2018.

Zuletzt stand WikiLeaks aber vor allem im Fokus von US-Ermittlungen, weil die Enthüllungswebsite im Präsidentschaftswahlkampf 2016 gestohlene E-Mails der Demokratischen Partei veröffentlichte. US-Behörden gehen davon aus, dass die E-Mails von russischen Hackern heruntergeladen und WikiLeaks zugespielt wurden. Diesen Aspekt hat auch FBI-Sonderermittler Robert Mueller in seinem Abschlussbericht über die vermutete russische Einmischung in die von Donald Trump gewonnene Präsidentenwahl festgehalten.

Moreno: „Hat Regierung bedroht“

Ecuadors Präsident Lenin Moreno meldete sich bereits via Twitter zu Wort. Er bezeichnet Ecuador als „großzügig“, und die Regierung respektiere das internationale Recht auf Asyl. Aber das „unhöfliche“ und „aggressive“ Verhalten Assanges gegen Ecuador könne man nicht länger dulden. „Sechs Jahre und zehn Monate lang hat die Botschaft alles getan, um Assange zu schützen. Ecuador hat seine Pflicht getan. Der jüngste Vorfall ereignete sich im Jänner 2019, als WikiLeaks Dokumente aus dem Vatikan veröffentlichte“, sagte Moreno.

„Schlüsselfiguren“ hätten Assange nach und vor der „illegalen Tat“ besucht, so Moreno weiter. Damit sei klar gewesen: Assange ist weiterhin Teil von WikiLeaks und mische sich in die Angelegenheiten anderer Staaten ein. „Die Geduld ist am Ende“, ließ der Staatschef wissen. Er habe Großbritannien gebeten, Assange aber keinesfalls in ein Land zu überstellen, wo die Todesstrafe legal ist (unter anderem in manchen US-Bundesstaaten, Anm.). Die britische Regierung habe zugestimmt, so Moreno. „Assange hat die Regierung in Ecuador bedroht, aber wir haben nichts zu fürchten.“

Die Regierung entzog Assange auch die ecuadorianische Staatsangehörigkeit, sagte Außenminister Jose Valencia bei einer Pressekonferenz in Quito. Assange war seit 2017 ecuadorianischer Staatsbürger. Valencia erklärte, das Außenministerium habe den Schritt bereits am Mittwoch beschlossen. Als Grund sagte der Minister, es seien „mehrere Unregelmäßigkeiten“ in Assanges Papieren entdeckt worden.

Russland kritisiert Großbritannien

Assange bezeichnet sich selbst als Journalisten und beansprucht deshalb die für Medien üblichen Schutzklauseln, wenn es um die Geheimhaltung von Quellen und die Veröffentlichung vertraulicher Informationen geht. Kritiker halten ihn für einen Selbstdarsteller, der sogar Menschenleben gefährdet habe. Seine Anhänger sehen in ihm dagegen einen Aufklärer.

Moskau kritisierte die Festnahme von Assange mit scharfen Worten: „Die Hand der ‚Demokratie‘ erwürgt die Freiheit“, schrieb die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, am Donnerstag auf Facebook. Ecuadors Ex-Präsident Rafael Correa warf seinem Nachfolger Moreno vor, „der größte Verräter in der Geschichte Lateinamerikas“ zu sein. Morenos Entscheidung bedrohe das Leben von Assange und demütige Ecuador, schrieb er auf Twitter. Assange hatte unter Correa um Asyl in der Botschaft angesucht. Moreno war zu dieser Zeit Vizepräsident und folgte 2017 Correa als Staatschef.