Nigel Farage mit Pro-Brexit Demonstranten
Reuters/Toby Melville
„73 Klone von Nigel Farage“

Furcht vor britischer Teilnahme an EU-Wahl

Bis 31. Oktober ist Großbritannien nun Zeit eingeräumt worden, den Brexit zu vollziehen. Die britische Premierministerin Theresa May will alles daransetzen, den Austritt vor dem 22. Mai über die Bühne zu bringen. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass Großbritannien an der EU-Wahl Ende Mai teilnimmt, ist gestiegen. Das könnte die EU von innen durchrütteln.

Derzeit stellen die Briten zehn Prozent der EU-Abgeordneten. Die EU-Gegner unter ihnen drohten bereits mit einer deutlichen Blockadepolitik: „Wenn wir gezwungen werden, europäische Wahlen abzuhalten, können Sie sich darauf verlassen, dass es absolut keine Kooperation seitens Großbritanniens in welcher Hinsicht auch immer geben wird“, drohte die ehemalige UKIP-Vizechefin Suzanne Evans. Der frühere Chef der EU-feindlichen UKIP, Nigel Farage, will mit einer Brexit Party antreten.

Man wolle dann „73 Klone von Nigel Farage“ nach Brüssel schicken, so Evans. Große Auswirkungen allein durch die britischen Abgeordneten könnten aber vermutlich abgefedert werden. Beobachter rechnen damit, dass die großen Fraktionen dann enger kooperieren würden. Zudem sind die Abstimmungen selten so knapp.

Kampfansage an etablierte Parteien

Farage eröffnete am Freitag offiziell den Wahlkampf seiner neuen Partei mit einer Kampfansage an die etablierten Parteien: „Unsere Aufgabe und unsere Mission ist, die Politik unwiderruflich zu verändern.“ Er glaube, dass seine Brexit Party die EU-Wahl gewinnen könne. Noch bei seinem letzten Auftritt im EU-Parlament vor dem Brexit-Referendum im Juni 2016 hatte Farage eine Rückkehr nahezu ausgeschlossen: „Ich hoffe, dass das meine letzte Rede vor Ihnen als Vertreter eines Mitgliedsstaates gewesen sein wird.“

Zuwachs für EU-Kritiker und Sozialdemokraten

Eine aktuelle Prognose von Poll of Polls von „Politico“ für die APA zeigt, dass bei einer Teilnahme Großbritanniens an der EU-Wahl die derzeit auf drei Fraktionen aufgeteilten rechtspopulistischen und europakritischen Parteien gemeinsam stärkste Kraft im EU-Parlament würden. Mit 183 von 751 Mandaten würden diese Parteien die Europäische Volkspartei (EVP) mit 174 Sitzen überholen – ein symbolischer Sieg für die Rechtspopulisten.

Sitzung des Europäischen Parlaments
Die EU-kritischen Parteien – sofern man sie zusammenzählt – könnten die EVP an Mandaten überholen

Zu erwarten ist, dass Mays Konservative bei der EU-Wahl eine Niederlage einfahren und Labour im Verhältnis mehr Abgeordnete in das Europaparlament entsenden könnte. Die Sozialdemokraten (S&D) würden ihren Rückstand auf die größte Fraktion im Europaparlament dank der Mandate der Labour Party deutlich verkürzen und bei 154 Sitzen landen. Das hätte auch Folgen für den Spitzenkandidaten der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber.

Es wäre für ihn schwieriger, sich gegen die Sozialdemokraten im Rennen um den Posten des EU-Kommissionspräsidenten als Nachfolger von Jean-Claude Juncker durchzusetzen. Weber ist entsprechend wenig begeistert über die mögliche Beteiligung der Briten an der EU-Wahl im Mai: „Ich kann niemandem erklären, wie es sein kann, dass ein Land, das aus der EU austritt, maßgeblichen Einfluss auf die Europawahl nehmen wird“, sagte er gegenüber der „Augsburger Allgemeinen“ (Freitag-Ausgabe).

Ein Mandat mehr für Österreich würde sich verzögern

Die Verkleinerung des EU-Parlaments wird mit der Verzögerung des Brexit jedenfalls verschoben. Mit Großbritannien als EU-Mitglied umfasst das EU-Parlament 751 Abgeordnete, danach soll es nur noch 705 Abgeordnete haben. Ein Teil der durch den Brexit frei werdenden Abgeordnetensessel wurde Staaten versprochen, die bisher als „unterrepräsentiert“ galten. Frankreich und Spanien etwa würden jeweils fünf zusätzliche Sitze bekommen. Österreich würde ein Mandat mehr besetzen können. Das muss im Fall der Teilnahme der Briten warten.

Der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber
APA/AFP/Emmanuel Dunand
Weber ist über eine mögliche Teilnahme der Briten an der EU-Wahl wenig erfreut

Beobachter rechnen damit, dass es dann zu starken Mandatsverschiebungen kommen könnte. Durch die Überlappungen von „alten“ und „neuen“ Mandaten könnte das Ergebnis der EU-Wahl mehrere Monate nur vorläufig gelten: wenn etwa in einem Land mehrere Parteien nur knapp ein Mandat verpasst haben und dieses dann durch die Aufstockung ihrer Abgeordnetenzahl doch noch schaffen. Dann müssten auch bereits anderen Parteien zugeschlagene Mandate weitergegeben werden.

Bitte warten würde es auch für die Bildung neuer Fraktionen heißen. Davon wären die rechtspopulistischen Parteien am stärksten betroffen, die gerade an einer gemeinsamen Allianz arbeiten. Ihre Hoffnung war, dass das Ausscheiden der britischen Torys und der EU-feindlichen UKIP diesen Einigungsprozess unterstützen wird. Die beiden britischen Parteien hatten nämlich bisher die Führungsrolle in zwei der drei Europaskeptiker-Fraktionen inne.