Wahlwerbung in der finnischen Hauptstadt Helsiniki
AP/Lehtikuva/Heikki Saukkomaa
Finnland wählt

Links und rechts viel Bewegung möglich

„Man muss in Finnland Reformen durchführen können. Ansonsten kommen wir nicht voran“: Mit diesen Worten hatte Ministerpräsident Juha Sipilä am 8. März seinen Rücktritt angekündigt. Fünf Wochen später wird das Parlament neu bestimmt, und die jetzige Mitte-rechts-Regierung im offiziell glücklichsten Land der Welt steht vor dem Aus.

Sipilä war damit gescheitert, eine Parlamentsmehrheit für das Prestigeprojekt seiner Amtszeit zu gewinnen: eine Reform des gesamten Sozial- und Gesundheitswesens, bekannt unter der Abkürzung SOTE. Der Premier hatte die Reform als essenziell im Kampf gegen die stetig steigenden Sozialkosten angesehen. Nach Angaben der Regierung wäre der jährliche Kostenanstieg bis 2029 durch die Reform auf 0,9 Prozent begrenzt worden – heuer wird mit 2,4 Prozent gerechnet.

„Meine Regierung arbeitet auf dem Prinzip ‚Ergebnisse oder Rücktritt‘“, sagte Sipilä und entschied sich folglich für Zweiteres. Präsident Sauli Niinistö nahm sein Gesuch an, bat die Regierung aber, kommissarisch im Amt zu bleiben. Dass die jetzige Koalition auch nach der Parlamentswahl am Sonntag weitermachen kann, gilt als äußerst unwahrscheinlich.

Tortengrafik zeigt die Sitzverteilung im finnisschen Parlament sowie die jüngsten Umfragewerte in einer Balkengrafik
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/Eurostat

Sipilä hatte seit 2015 eine Mitte-rechts-Regierung geführt, die zuletzt aus seiner Zentrumspartei, der konservativen Nationalen Sammlungspartei (KOK) und der Partei Blaue Zukunft bestand. Letztere hatte sich 2017 nach internem Streit als gemäßigte Alternative von der rechten Partei Die Basisfinnen abgespalten. Allen drei drohen Umfragen zufolge heftige Einbußen – die Blaue Zukunft könnte den Einzug ins Parlament verpassen, die Zentrumspartei vom ersten auf den vierten Platz abrutschen. Bewahrheiten sich diese Werte am Wahlsonntag, will Sipilä als Parteichef zurücktreten.

Unwillkommenes Sixpack

Allen Prognosen zufolge wird Finnland mit Antti Rinne künftig wieder einen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten bekommen. Als Mehrheitsbeschaffer würden sich die Grünen und die liberale Schwedische Volkspartei anbieten, dazu könnten sich noch Sipiläs Zentrumspartei oder die Konservativen gesellen.

Vier oder fünf Parteien in der Regierung seien in Finnland keine Seltenheit, machten das Regieren aber nicht einfacher, sagte der Politikwissenschaftler Antti Kaihovaara von der Universität Helsinki. „Bis 2014 hatten wir sechs Parteien in der Regierung, das sogenannte Sixpack. Viele Experten haben das als die schlechteste Regierung überhaupt beschrieben“, sagte Kaihovaara.

Finnischer Premierminister Juha Sipilä
APA/AFP/Markku Ulander
Die Ära Sipilä dürfte am Sonntag zu Ende gehen

Insbesondere das Abschneiden der weit rechts stehenden Basisfinnen unter ihrem Chef Jussi Halla-aho wird mit Spannung beobachtet. Sie dürften bei der Wahl starke Zugewinne erzielen, selbst Platz zwei scheint möglich. Halla-aho brachte immer wieder das Thema Asyl und Migration sowie mehr Distanz zu Brüssel ins Spiel, inklusive einer möglichen Volksabstimmung über den Austritt Finnlands aus der EU. Ob damit angesichts des Brexit-Schlamassels noch zu punkten ist, bleibt fraglich. Zudem übernimmt Finnland am 1. Juli programmgemäß die EU-Ratspräsidentschaft von Rumänien.

SOTE – ein aufgeladenes Thema

Im Wahlkampf dominierten aber andere Themen, allen voran SOTE. Während die Parteien links der Mitte eine gerechtere Umverteilung fordern und die angestrebte Reform und Vereinfachung der diversen öffentlichen Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen durch Steuern finanzieren wollen, sehen die Konservativen die Lösung in einer stärkeren Einbindung privater Unternehmen. Konsens herrscht nur darin, dass Handlungsbedarf besteht: Nach Angaben des finnischen Rundfunks Yle haben Regierungen seit nunmehr 14 Jahren versucht, das Gesundheitswesen zu reformieren – stets erfolglos.

Für ein bedingungsloses Grundeinkommen, zu dem Finnland in den vergangenen zwei Jahren einen international vielbeachteten Pilotversuch durchgeführt hatte, treten nur mehr die Grünen und die Linkspartei ein. Das Ende des Experiments war relativ überraschend vor einem Jahr angekündigt worden – seit 2019 müssen jene 2.000 Arbeitslosen, die seit Anfang 2017 monatlich 560 Euro erhalten hatten, wieder ohne staatliche Unterstützung auskommen. Die erhofften wissenschaftlichen Erkenntnisse von dem Versuch blieben überschaubar, weder Zeit noch Geld genügten, hieß es.

Finnische Politiker Jussi Halla-aho, Pekka Haavisto, Juha Sipilae, Antti Rinne und Petteri Orpo bei einer Dikussionsrunde
APA/AFP/Jussi Nukari
Jussi Halla-aho (Basisfinnen), Pekka Haavisto (Grüne), Juha Sipilä (Zentrumspartei), Antti Rinne (Sozialdemokraten) und Petteri Orpo (Konservative) wurde im Wahlkampf die meiste Aufmerksamkeit zuteil

Wo das Glück wohnt

Ein hehres Erbe hat die künftige Regierung jedenfalls zu verteidigen: Der vor einem Monat erschienene Weltglücksreport der UNO weist Finnland zum zweiten Mal in Folge als glücklichstes Land aus. „Wie Gemeinschaften in Schulen, am Arbeitsplatz, in Stadtteilen oder in sozialen Medien miteinander interagieren, hat tiefgreifende Auswirkungen auf das Glück der Welt“, sagte einer der Mitherausgeber des Berichts. Laut Jennifer De Paola, Sozialpsychologin an der Universität Helsinki, beruht das finnische Glück zudem auf sozialer Sicherheit und den Möglichkeiten, sich selbst stets neu erfinden zu können. Ein Regierungswechsel würde dazu wieder Gelegenheit bieten.