Geldmünzen auf einem Formular für den Antrag der Mindestsicherung
ORF.at/Carina Kainz
Mindestsicherung

Experten im Parlament am Wort

Der nächste Schritt auf dem Weg zur Neuregelung der Mindestsicherung findet am Montag im Sozialausschuss des Nationalrates statt. Dann sind die von den Parlamentsparteien nominierten Experten und eine Expertin zum Hearing geladen. Denn auch rund einen Monat nach der Absegnung der neuen Sozialhilfe scheint noch viel Gesprächsbedarf zu bestehen.

Mitte März hatte die Bundesregierung den Umbau der bedarfsorientierten Mindestsicherung zur Sozialhilfe abgesegnet und eine Regierungsvorlage Richtung Parlament geschickt. Die monatliche Sozialhilfe wird dadurch in der Höhe des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes gewährt, das sind 863 für 2018 bzw. 885,47 Euro für 2019. Für Paare sind es zweimal 70 Prozent des Richtsatzes, das sind 1.208 Euro für 2018 bzw. 1.239,66 für 2019.

Für Familien mit mehreren Kindern bringt die Neuregelung Neuerungen durch eine Staffelung pro Kind: Für das erste Kind ist ein Sozialhilfesatz von 25 Prozent des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes vorgesehen (2018 waren dies 216 Euro), für das zweite Kind 15 Prozent (2018: 130 Euro) und ab dem dritten Kind gibt es fünf Prozent des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes (2018: 43 Euro).

Voller Betrag nur mit guten Deutschkenntnissen

Zudem gibt es Kürzungen für Zuwanderer mit schlechten Deutschkenntnissen. Sie bekommen 65 Prozent der regulären Leistung, bisher 563 Euro, seit 2019 rund 575 Euro. Die rund 300 Euro Differenz auf die volle Geldleistung erklärt die Regierung als Sachleistung zum „Arbeitsqualifizierungsbonus für Vermittelbarkeit“. Damit sollen Sprachkurse finanziert werden. Den vollen Betrag gibt es erst ab Deutschniveau B1 oder Englischniveau C1.

Im Sozialausschuss werden nun strittige Punkte behandelt. Die Parlamentsparteien nominierten dazu Experten ihrer Wahl. Bei dem Hearing sind etwa Sozialrechtler Wolfgang Mazal (von der ÖVP nominiert) und Arbeits- und Sozialrechtler Walter Pfeil (SPÖ-nominiert) geladen.

Die FPÖ schickt Elisabeth Bruckmüller vom Sozialministerium und Verfassungsexperten Michael Schilchegger, Jetzt schickt den Rechtspolitologen Nikolaus Dimmel und NEOS Ökonom Wolfgang Nagl. Die Volkspartei hat zudem den oberösterreichischen Landtagsdirektor Wolfgang Steiner aufgestellt, die SPÖ Sozialwissenschaftlerin Karin Heitzmann.

Kritik von NGOs und Opposition

Der Streit über die Reform wurde bisher hitzig ausgetragen. Die Regierung von ÖVP und FPÖ gab an, die neue Sozialhilfe sei „deutlich besser und gerechter“. Die bisherige Mindestsicherung sei „viel zu attraktiv für Migranten, für Zuwanderer ins Sozialsystem“, sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Mitte März. Man habe Alleinerziehende, Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderung bessergestellt und Anreize geschaffen, zu arbeiten. Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) sah „insgesamt eine Lösung, die Integration und Arbeitsbereitschaft fördert“. Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) sprach von einer „harmonisierten, fairen und effizienten Lösung“.

Grafik zur Mindestsicherung
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/Regierung

Die Opposition und zahlreiche NGOs und Kirchenorganisationen übten hingegen scharfe Kritik an den Neuerungen. Die Reform verschärfe Armut, fürchteten etwa Hilfsorganisationen. SPÖ, Jetzt und Grüne kritisierten unter anderem die Kürzungen für Kinder. NEOS missfiel vor allem, dass ohne Einbindung der Länder „der Fleckerlteppich einzementiert“ werde.

Uneinigkeit bei Treffen mit Landesräten

Vergangene Woche trafen die Soziallandesräte zu einem Gespräch mit Ministerin Hartinger-Klein zusammen. Die Kritikpunkte der Länder konnten aber nicht ausgeräumt werden. Besonders die SPÖ-Vertreter zeigten sich nach der Verhandlungsrunde schwer enttäuscht. Wiens Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) sprach von „demonstrativer Ignoranz“ und „Kaltherzigkeit“ der Regierungsseite. Außerdem zweifelte er die Verfassungskonformität des Gesetzes an, das aus seiner Sicht auch in einigen Punkten EU-rechtswidrig sei. Hartinger-Klein wiederum ortete „unglaubliche Fehlinterpretationen“, die jeglicher Grundlage entbehrten und „nur zur bewussten Verunsicherung der Bevölkerung“ dienten.

Doch die Kritik an dem Gesetz riss auch vor dem Termin am Montag nicht ab. Die Sozialhilfe Neu könne für viele Betroffene auf der Straße enden, sagte Volkshilfe-Direktor Erich Fenninger, der aus Protest seit 11. April durch Österreich tourt und in jeder Landeshauptstadt im Zelt übernachtet. „Wir erwarten uns, dass die Sozialministerin noch mal genau hinsieht und die Kritikpunkte ernst nimmt“, so Fenninger.

UNHCR plädiert für Änderungen

Die Diakonie kritisierte am Sonntag noch einmal das Gesetz als „massiven Rückschritt“: Sozialstaatliche Leistungen würden in „almosenhafte“ Fürsorge umgewandelt, so die evangelische Hilfsorganisation.

Auch das UNO-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR erneuerte seine Kritik. In einer Aussendung warnte die Organisation am Sonntag, die vorliegenden Regierungsvorlage verstoße sowohl gegen die Genfer Flüchtlingskonvention als auch gegen die EU-Qualifikationsrichtlinie.

Die erforderten Deutschkenntnisse für die Beziehung voller Sozialhilfe stelle für anerkannte Flüchtlinge eine versteckte Wartefrist und damit eine nicht gerechtfertigte Diskriminierung dar. Die Genfer Flüchtlingskonvention wie auch die EU-Qualifikationsrichtlinie legten jedoch fest, dass Flüchtlinge und österreichische Staatsbürger in Bezug auf Sozialhilfe gleich zu behandeln sind. „Wir erhoffen uns von den Mitgliedern des Arbeits- und Sozialausschusses, diesen Rechtsvorgaben Rechnung zu tragen und die vorliegende Regierungsvorlage dementsprechend zu reparieren“, so Christoph Pinter, Leiter von UNHCR Österreich.

Schönborn: Sorge um Alleinerziehende

Das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz war am Sonntag auch Thema in der ORF-„Pressestunde“ mit Kardinal Christoph Schönborn. Sozialministerin Hartinger-Klein habe ihm ein Gespräch angeboten, worüber er sich freue, sagte Schönborn. Der Kardinal hatte früher befürchtet, dass die Reform besonders Alleinerziehende treffen könnte. Hartinger-Klein hatte dazu erklärt, das Gesetz sehe zusätzlich zur Basisleistung für jedes minderjährige Kind einen gestaffelten Zuschlag pro Monat vor.

Schönborn antwortete dazu in der „Pressestunde“, Hartinger-Klein habe „richtiggestellt, dass Alleinerziehende von der Mindestsicherung kaum betroffen sind. In einem Punkt scheinen Sie es doch zu sein, nämlich die Mehrkindfamilien. Das hätte meine Mutter zum Beispiel betroffen, die alleinerziehend, alleinverdienend vier Kinder großgezogen hat.“

Schönborn zur Reform der Mindestsicherung

Der Kardinal plädiert für einen „besonders behutsamen“ Umgang mit Alleinerziehenden.

Zuletzt hatte sich auch eine Diskussion darüber entsponnen, ob Spenden künftig die Sozialhilfe der Empfänger kürzten. Für die SPÖ geht das „eindeutig“ aus dem Gesetzestext hervor. Einzige Ausnahmen seien „Härtefallklauseln“ oder wenn man einen „Sonderbedarf“ geltend machen könne. Auch bringe diese Regelung einen „unvorstellbaren Verwaltungsaufwand“ mit sich.

Das Sozialministerium bestritt das vehement. „Die Behauptungen, dass die Mindestsicherung gekürzt werde, wenn Menschen eine Spende erhalten, sind schlichtweg unwahr“, hieß es in einer Aussendung des Ministeriums, das sich „entsetzt über die Verbreitung von Falschmeldungen“ zeigte.

Ob und was sich noch an dem Gesetzesentwurf ändern könnte, bleibt abzuwarten. Hartinger-Klein hatte dazu gesagt, man wolle das Hearing abwarten und sich dann noch einige Punkte ansehen. Plangemäß soll das Gesetz Ende Mai im Nationalrat beschlossen werden. Die Länder haben dann bis Ende des Jahres Zeit für ihre Ausführungsgesetze, mit 1. Jänner 2020 sollen dann das Grundsatzgesetz des Bundes und die neun Ausführungsgesetze der Länder in Kraft treten.