Mann vor Computer
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Branche im Umbruch

Spiele auf Netflix’ Spuren

Der milliardenschwere Markt für Videospiele befindet sich momentan im Umbruch: Wie schon bei Musik und Filmen sehen Internetriesen wie Apple und Google die Zukunft des Gamings offenbar in Abomodellen. Doch ein mögliches „Netflix für Spiele“ steht nicht nur vor technischen Hürden, sondern könnte auch Spielehersteller unter Druck bringen.

In den letzten Wochen standen Videospiele gleich zweimal groß in den Schlagzeilen: Erst kündigte Google Ende März mit Stadia einen Streamingdienst für Spiele an, kurz darauf stellte Apple den Dienst Arcade vor. Google setzt dabei auf eine andere Technologie als der iPhone-Hersteller, doch beide wollen mit ihren Plattformen offenbar weg vom bisherigen Geschäftsmodell für Spiele.

Denn Apple kündigte bereits an, Games nicht einzeln zu verkaufen, sondern künftig als Abo anzubieten – solange man monatlich zahlt, hat man Zugriff auf sämtliche angebotene Spiele. Und obwohl sich Google noch nicht zum künftigen Geschäftsmodell von Stadia geäußert hat, gehen Expertinnen und Experten davon aus, dass zumindest ein Teil des Dienstes auf Abos basieren wird.

Experten sehen „großen Abwärtstrend“ bei Preisen

Ein solches Netflix-Modell könnte Spielehersteller gehörig unter Druck bringen: Auf der einen Seite ist es Konkurrenz zur Vielzahl an „kostenlosen“ Spielen, die man zwar gratis installieren und ausprobieren kann, bei denen richtige Erfolge aber nur durch die Zahlung von echtem Geld möglich sind. Andererseits wird es mit solchen Diensten für große Hersteller wie EA und Ubisoft schwieriger, Preise von 60 Euro und mehr für den Kauf eines einzigen Spiels zu rechtfertigen. Das Abomodell könnte „einen großen Abwärtstrend bei den Preisen“ bedeuten, sagt ein Experte gegenüber dem Industrieportal GamesIndustry.

Apple „Arcade“
Apple
Nur wenige Tage nach Google kündigte Apple einen eigenen Spieledienst an

Dementsprechend zurückhaltend scheinen die großen Namen in der Branche momentan noch zu sein: Apple setzt stattdessen auf Partnerschaften mit kleineren Spieleentwicklern. Deren Games werden oft für ihren Tiefgang und Ideenreichtum gelobt, arbeiten aber mit deutlich geringeren Budgets und Verkaufspreisen. Google kündigte mit „Doom“ zwar einen Titel eines großen Spielestudios an, in Branchenkreisen wird jedoch vermutet, dass solche Titel weiterhin einzeln gekauft werden müssen, während das Abomodell ebenfalls in erster Linie Indie-Spiele abdeckt – quasi als Lockangebot.

Milliardengeschäft für Apple erwartet

Trotz der Abwesenheit großer Namen könnte sich Apples großer Einstieg in die Spielebranche lohnen, so die Vermutung von Analysten. Die „Financial Times“ schreibt, dass nach Expertenmeinung die Gaming-Abos innerhalb der nächsten Jahre ein Milliardenmarkt werden könnten. Dabei wird sogar erwartet, dass der Umsatz jenen von Apple News Plus und Apple TV Plus, den zwei neuesten Apple-Diensten, bis 2021 übersteigen wird.

Google will Konsolen überflüssig machen

Noch einen Schritt weiter will Google mit Stadia gehen, die mit dem Dienst Konsolen nach eigenen Angaben überflüssig machen wollen. Während die Spiele bei Apples Service auf dem eigenen Handy oder Computer laufen, holt Google die Spiele in die Cloud und streamt sie dann auf Fernseher, Smartphone und Co.

Menschen spielen auf Googles neuer Plattform „Stadia“
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Googles Stadia soll auch auf dem herkömmlichen Markt für Konsolenspiele mitmischen

In der Theorie lässt sich damit verhindern, alle paar Jahre eine neue Spielkonsole kaufen oder den eigenen Computer aufrüsten zu müssen. Stattdessen laufen die Spiele in Googles Rechenzentren. Das ist mit mehreren technischen Hürden verbunden: Vor allem muss man damit zum Spielen immer online sein und eine ausreichend schnelle Verbindung haben – in ländlichen Regionen oft eine Herausforderung.

Technische Hürden als Stolperstein

Zusätzlich kann es zu Verzögerungen beim Spielen kommen: Während normalerweise ein Knopfdruck nur wenige Meter per Funk übertragen werden muss, muss dieser jetzt zusätzlich an einen Server im Internet übertragen werden. Zwar kommt Google zugute, dass durch die große Präsenz im Netz fast weltweit Google-Server positioniert sind, doch vor allem für Spiele, bei denen schnelle Reaktionen gefragt sind, könnte das zum Hindernis werden.

Google ist jedoch nicht der Pionier für Cloud-Gaming: Sony bietet ein vergleichbares Service unter dem Namen PlayStation Now an, Grafikkartenhersteller Nvidia betreibt GeForce Now. Auch Microsoft arbeitet an einem Cloud-Spieledienst, von Amazon wird vermutet, dass es ebenfalls in den Markt einsteigen will.

Mögliches Aus für Mikrotransaktionen

Sollten sich Dienste wie Google Stadia und Apple Arcade durchsetzen, könnte das auch zu einem Umdenken in der gesamten Branche führen. Apple kündigte bereits an, mit dem eigenen Dienst einen Schlussstrich unter Mikrotransaktionen zu setzen: also die Möglichkeit, sich mit Zahlungen im Spiel Vorteile zu verschaffen.

Für Spieleverleger ist das momentan noch eine der lukrativsten Einnahmequellen – egal, ob als bunte Outfits in „Fortnite“ oder als Fußballer für das „Ultimate Team“ in „FIFA“. Doch unter Spielerinnen und Spieler stößt das Modell auf wenig Gegenliebe, nicht zuletzt weil häufig der Zufall entscheidet, ob man einen guten Gegenstand erhält oder das Geld „verspielt“ hat.

In Belgien gelten derartige Methoden mittlerweile als Glücksspiel und sind in Spielen verboten, auch China steht Mikrotransaktionen skeptisch gegenüber. Damit könnte ein neues Geschäftsmodell gerade gelegen kommen, ehe Gesetze Mikrotransaktionen den Riegel vorschieben.

Alptraum für Archive

Bevor das Netflix-Modell, insbesondere Googles Vorstellung von Cloud-Gaming, aber die ganze Spieleindustrie umkrempelt, dürften noch einige Jahre vergehen. Nachteile wie der Onlinezwang lassen sich wohl auch längerfristig nicht lösen. Für das Spiel als Kulturgut sind das wenig gute Neuigkeiten: Schon heute gestaltet sich die dauerhafte Aufbewahrung von Spielen für die Ewigkeit als schwierig – sollten sich Spiele für immer in der Cloud aufhalten, könnten diese – etwa wenn die Plattformen dafür deaktiviert werden – damit für immer verschwinden.