Türkische Lira
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Arbeitslosigkeit

Kein Ende der türkischen Krise in Sicht

Die deutliche Abkühlung der türkischen Wirtschaft schlägt sich stark auf dem Arbeitsmarkt nieder. Besonders die jungen Türkinnen und Türken finden keine Jobs – derzeit herrscht die höchste Jugendarbeitslosigkeit seit mindestens 14 Jahren. Die Regierungspartei AKP versucht, mit einem Konjunkturpaket die Wirtschaft zu stimulieren. Doch ihr Fokus liegt derzeit auf dem politischen Abwehrkampf.

Die Daten, die das nationale Statistikamt am Montag veröffentlichte, sprechen eine deutliche Sprache. Die Arbeitslosenquote stieg zwischen Dezember und Februar auf 14,7 Prozent und damit den höchsten Stand seit fast einem Jahrzehnt. In den drei Monaten bis Jänner lag der Wert noch bei 13,5 Prozent.

Außerdem wuchs die Jugendarbeitslosigkeit mit 26,7 Prozent nun auf den höchsten Stand seit Beginn der Datenaufzeichnung 2005. Ende 2018 schrumpfte die türkische Wirtschaft so stark wie seit der Finanzkrise 2009 nicht mehr. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sank zwischen Oktober und Dezember binnen Jahresfrist um drei Prozent. Die Wirtschaft litt vor allem unter dem Absturz der türkischen Lira um 30 Prozent.

Paket gegen Inflation

Im dritten Quartal 2018 war die Wirtschaft noch gewachsen. Die starke Abkühlung zwang aber die Regierung und Präsident Recep Tayyip Erdogan von der islamisch-konservativen AKP zum Handeln. Vergangene Woche stellte Wirtschaftsminister Berat Albayrak einen Aktionsplan zur Stärkung des Wachstums und zum Kampf gegen die Inflation vor. Die Zeit bis zu den nächsten Wahlen 2023 werde eine Zeit „wirtschaftlicher Strukturreformen“ sein, hieß es.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan
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Präsident Erdogan will das Wahlergebnis in Istanbul nicht akzeptieren. Das könnte weitere Folgen für die Wirtschaft haben

Dazu gehöre eine Stärkung der staatlichen Banken durch die Ausgabe von Staatsanleihen in Höhe von 28 Milliarden Lira (4,3 Mrd. Euro). Um hohe Einkommen stärker zu beteiligen, werde die Regierung vermehrt auf direkte Steuern setzen, sagte der Minister, der auch der Schwiegersohn von Präsident Erdogan ist. Die hohen Lebensmittelpreise sollten durch Strukturreformen im Agrarsektor bekämpft werden. Erdogan und Albayrak hatten beide erklärt, die Türkei habe die schlimmsten wirtschaftlichen Probleme hinter sich.

Unmut über teures Leben

Der Zentralbank gelang es, durch eine starke Anhebung der Zinsen den Absturz der Lira zu stoppen. Doch der Verfall der Währung befeuerte die Inflation. Wegen des Lira-Verfalls wurde es für viele Unternehmen schwierig, ihre Kredite in Euro oder Dollar zu bedienen. Hunderte mussten Gläubigerschutz beantragen, und auch die Regierung stoppte geplante Investitionen.

Besonders in den Großstädten sorgen die hohen Lebenshaltungskosten für Unmut. Das bekam Erdogans AKP auch bei der Kommunalwahl vor zwei Wochen zu spüren: Sie erlitt einen schweren Dämpfer und verlor die Metropolen Ankara und Istanbul laut vorläufigen Ergebnissen an die Opposition.

AKP wehrt sich gegen Niederlage

In Istanbul verlor die AKP den Bürgermeisterposten knapp an den Oppositionskandidaten Ekrem Imamoglu von der größten Oppositionspartei CHP (Republikanische Volkspartei). Die AKP legte daraufhin Einspruch gegen das Ergebnis ein und erwirkte in mehreren Bezirken der Metropole Nachzählungen, die sich derzeit hinziehen. Die Regierungspartei fordert zudem eine Wiederholung der Abstimmung in Istanbul. Der Antrag dazu werde bald bei der Wahlkommission eingereicht, sagte der Vizeparteichef Ali Ihsan Yavuz erst am Sonntag.

„Ich denke nicht, dass eine Wahl, die wir gewonnen haben, für ungültig erklärt wird“, sagte Imamoglu dazu. „Wir werden niemals zulassen, dass eine Sache, die so klar ist, umgedreht wird.“ Andernorts ging die AKP auch gegen Siege der Opposition vor. So wurde etwa sechs prokurdischen Bürgermeistern der Wahlsieg aberkannt.

Ökonom nach Kritik festgenommen

Die AKP gewann die Wahlen insgesamt, ihr Zuspruch in den großen Städten des Landes schrumpfte aber gerade angesichts der medialen Übermacht der Partei und ihres Chefs deutlich. Gegen Kritiker wird öffentlich vorgegangen, wie man zuletzt am Wochenende sah.

Am Sonntag wurde der in der Türkei prominente Wirtschaftswissenschaftler Mustafa Sönmez vorübergehend festgenommen, nachdem er in Sozialen Netzwerken negativ über die Wirtschaftspolitik der AKP geschrieben hatte. Nach mehreren Stunden kam er wieder frei. Ihm würden Beleidigung des türkischen Präsidenten und Volksverhetzung vorgeworfen, schrieb Sönmez auf Twitter. „Sie hätten mich einladen können, ich wäre gefolgt und hätte ausgesagt“, so Sönmez am Montag gegenüber der Wirtschaftsnachrichtenplattform Bloomberg. „Aber die Polizei zu meiner Türe zu schicken ist schändlich. Sie schießen sich damit selbst in den Fuß“, so Sönmez.

Unter anderem werde wegen eines Tweets gegen ihn ermittelt, in dem er den neuen Istanbuler Flughafen als „dümmstes Projekt“ der Geschichte der türkischen Republik bezeichnet habe, schrieb Sönmez auf Twitter. Bei dem Flughafen handelt es sich um ein Prestigeprojekt Erdogans. Er wurde im Oktober eröffnet, erst kürzlich wurde der Umzug vom alten Atatürk-Flughafen abgeschlossen. Die Kosten für den Bau wurden mit über zehn Milliarden Euro angegeben.

Neue Abwärtsspirale befürchtet

Teure Projekte wie dieses werden in der Türkei angesichts der Wirtschafts- und Jobzahlen scharf kritisiert. Die politischen Kämpfe, die die AKP gegen Opposition und Kritiker ausficht, haben zudem direkte Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage.

Der Streit um den Wahlausgang in Istanbul alarmierte laut „Financial Times“ die Investoren, die die AKP dringend zu umwerben sucht. Dazu besuchte Wirtschaftsminister Albayrak kürzlich Washington, um seine Pläne zur Wirtschaftserholung vorzustellen. „Nicht gerade überzeugend“, sagte ein Experte gegenüber der Zeitung. „Ich wollte meine Meinung gerne ändern, aber dazu kam es nicht.“ Die Hoffnung, dass sich die Regierung nun nötigen Reformen widmen kann, habe sich zerschlagen. „Ein sehr bestimmender Faktor in der derzeitigen riskanten Lage ist für Investoren, wie Erdogan bezüglich der Istanbul-Wahl handelt“, sagte er. Wenn die Wahl zurückgewiesen wird, „führt das zu einer neuen Abwärtsspirale“.