Es sind mehr Frauen aus Marokko denn je, die in Andalusien mit der Ernte von Erdbeeren und anderen Früchten beschäftigt sind. Die Gegend um die Provinzhauptstadt Huelva gilt mit einer Produktion von mehr als 300.000 Tonnen pro Jahr als Erdbeerfeld Europas. Seit 2001 kooperieren Spanien und Marokko, um für einige Monate Gastarbeiterinnen auf die Felder zu bringen. Ausgesucht werden die Frauen von der marokkanischen Beschäftigungsbehörde ANAPEC – und es gelten strenge Vorschriften: Sie müssen unter 39 Jahren alt und verheiratet sein sowie Kinder haben.
Zumeist kommen Frauen aus strukturschwachen ländlichen Regionen in Marokko zum Zug. „Positive Diskriminierung“ nennt das ANAPEC-Generaldirektor Abdelmounime El Madani. Und es biete vor allem jenen Frauen „Möglichkeiten zur Emanzipation“, die sich in der marokkanischen Gesellschaft ganz unten befinden: arme Frauen vom Land, die häufig auch weder schreiben noch lesen können.
Zahlreiche Berichte über Übergriffe
Kritikerinnen und Kritiker sehen das freilich anders: Frauen, die in ihrer Heimat ihren Nachwuchs zurücklassen, seien weniger in Versuchung, in Spanien unterzutauchen und im Land zu bleiben. Und Frauen mit wenig Bildung würden sich noch leichter ausbeuten lassen und weniger wehren.
In der Vergangenheit haben sich die drei bis vier Monate Arbeit in Spanien für viele Frauen als Horrortrip entpuppt. In den vergangenen Jahren häuften sich die Berichte über unmenschliche Arbeitsbedingungen, Ausbeutung und sexuelle Übergriffe.
Unmenschliche Bedingungen
In einer großen Reportage des Portals Buzzfeed vor einem Jahr wurden – wie in zahlreichen Berichten davor und danach – schwere Vorwürfe erhoben. Die täglichen Arbeitszeiten lägen vielfach bei zehn Stunden in brütender Hitze mit nur einer halbstündigen Pause. Wenn das Wetter keine Ernte zulasse, würden die Frauen auch nicht bezahlt. Zudem seien sie der Willkür von Vorarbeitern und Bauern ausgeliefert, die wegen Lappalien ihren Lohn einbehielten.
Auch von menschenunwürdigen Unterbringungen in Containern mit viel zu wenigen Duschen und Toiletten ist die Rede. Und von sexuellen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen. Viele der betroffenen Frauen, die zumeist nur Arabisch sprechen, nähmen aus Angst und Scham die Ausbeutung einfach hin.
Gruppe erstattete Anzeige – und verlor fast alles
Im Vorjahr wollten zehn Frauen sich das aber nicht mehr gefallen lassen und erstatteten Anzeige. „Das war mein größter Fehler“, sagte eine von ihnen dem „Observer“, der Sonntagszeitung des britischen „Guardian“. Die Behörden blieben weitgehend untätig und verwiesen darauf, dass die Frauen Gerichtstermine nicht wahrgenommen hätten. Die Frauen hatten allerdings keine Chance, die Termine in der Provinzhauptstadt Huelva wahrzunehmen.
Nach Ablauf ihrer Arbeitsgenehmigung konnten die Frauen nicht arbeiten – und für die meisten kam auch keine Rückkehr nach Marokko mehr infrage: Sie wurden von ihren Familien verstoßen, weil diese die Vergewaltigungen mit Prostitution gleichsetzten. Zeitweise waren die Frauen obdachlos, danach fanden sie Zuflucht bei ihrer Anwältin Belen Lujan Saez.
Diese erwirkte in dem in Spanien viel beachteten Fall zumindest, dass die Regierung den Frauen eine temporäre Arbeitserlaubnis erteilte, bis es eine gerichtliche Entscheidung gibt. Erst wenn ihre „Unschuld“ gerichtlich feststeht, könne sie zu ihrer Familie in Marokko zurückkehren, sagte eine der Frauen.
Marokko spielt Vorwürfe herunter
Auch von marokkanischer Seite werden die Ausbeutungen heruntergespielt: Der Deal zwischen den beiden Ländern werde „dämonisiert“, indem den Vorwürfen von sexuellem oder arbeitsrechtlichem Missbrauch besondere Bedeutung gegeben werde, sagte ANAPEC-Generaldirektor Madani im Jänner laut der spanischen Nachrichtenagentur EFE. Spanien sei „eines der Länder mit dem größten Schutz der Arbeitsrechte“, ergänzte er. Auf sexuelle Ausbeutung ging er nicht ein.
Heuer „klarere Regeln“
Dennoch wurden von beiden Ländern für heuer klarere Regeln und mehr Kontrolle versprochen. Neben dem Arbeitsvisum werden der Hin- und der Rückflug bezahlt. Der Arbeitsvertrag sieht zwischen 35 und 40 Euro pro Tag vor und soll eine kostenlose Gesundheitsfürsorge beinhalten.
Die Unterbringungen solle Schlaf- und Wohnzimmer sowie eine Küche mit Herd und Waschmaschine umfassen. Festgeschrieben sind auch Strom und Warmwasser, wobei unklar blieb, ob die Logie frei ist oder bezahlt werden muss. Zudem gibt es Aufklärungsvideos mit den Rechten und Pflichten der Arbeiterinnen. Wer nach der Saisonarbeit wie geplant in die Heimat zurückkehrt, hat auch in den Folgejahren gute Chancen, wieder an dem Programm teilzunehmen.
Auch die spanischen Behörden versprechen Verbesserungen: Andalusien hat verstärkte Kontrollen der Erdbeerfarmen versprochen. Zudem sollen Arabisch sprechende Mediatorinnen und Mediatoren eingesetzt werden, die als Kontaktpersonen von den Arbeiterinnen ansprechbar sein sollen. Und auch der Zugang zu Behörden soll vereinfacht werden. Ob das alles nur Lippenbekenntnisse sind oder die Arbeitsbedingungen tatsächlich verbessert werden, wird sich wohl in den nächsten Wochen weisen.