Kämpfe in Tripolis
APA/AFP/LNA War Information Division
Libyen

Erneut Explosionen in Tripolis

Die Kämpfe in Libyen nehmen kein Ende. Dienstagabend schlugen mehrere Raketen in der Hauptstadt Tripolis ein. Von mindestens sieben Explosionen wurde berichtet. Zuvor hatte die UNO eine sofortige Waffenruhe gefordert – bisher vergeblich. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) kamen seit dem Ausbruch der jüngsten Kämpfe vor rund zehn Tagen fast 190 Menschen ums Leben.

Augenzeugen zufolge stiegen in einem Stadtteil im Süden von Tripolis am Abend dichte Rauchwolken auf, die auf die Explosionen zurückzuführen gewesen seien. Ein Regierungsvertreter in Tripolis sprach anschließend von zwei Toten und acht Verletzten. Der den Osten des Landes dominierende libysche General Chalifa Haftar hatte Anfang April eine Offensive auf Tripolis gestartet, wo die UNO-gestützte Regierung der nationalen Einheit von Ministerpräsident Fajis al-Sarradsch ihren Sitz hat.

Neben den Gefechten auf dem Boden fliegen beide Seiten täglich Luftangriffe. In dem nordafrikanischen Land herrscht seit dem Sturz des Machthabers Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 Chaos. Die 2016 aufgrund eines von der UNO vermittelten Abkommens eingesetzte Regierung in Tripolis hat wenig Einfluss und ist weitgehend auf die in der Stadt und dem Umland herrschenden Milizen angewiesen.

UNO-Resolutionsentwurf fordert sofortige Waffenruhe

Aus diesem Grund forderte der UNO-Sicherheitsrat erst am Dienstag in einem Resolutionsentwurf eine sofortige Waffenruhe. Das Dokument wurde von Großbritannien eingereicht. Die Resolution sieht vor, „dass alle Parteien in Libyen die Situation sofort deeskalieren und sich zu einer Waffenruhe verpflichten“.

Der abtrünnige General Khalifa Haftar auf einem Archivbild
Reuters/Esam Al-Fetori
General Haftar – hier zu sehen 2017 – kündigte Anfang April eine Offensive auf Tripolis an

Der Entwurf, welcher der Nachrichtenagentur AFP vorlag, wirft der Libyschen Nationalen Armee (LNA) Haftars vor, mit ihrer Offensive die Stabilität im Land und die Chance auf eine politische Lösung der Krise zu gefährden. Unklar ist noch, wann der Sicherheitsrat über den Resolutionsentwurf abstimmen wird. Rechtlich bindend wird das Dokument aber nicht sein.

Nach Angaben des UNO-Büros zur Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) sind inzwischen mehr als 18.000 Menschen vor den Kämpfen südlich von Tripolis geflohen. Der WHO zufolge gebe es neben den Toten auch mehr als 800 Verletzte, darunter auch zahlreiche Zivilpersonen. Die Zahl dürfte täglich steigen.

Sorge um Flüchtlinge in Internierungslagern

Die humanitären UNO-Behörden zeigten sich besorgt über Flüchtlinge in Internierungslagern. Jeder Mensch, der ohne Aufenthaltsbewilligung aufgegriffen wird, wird in Libyen interniert. Dazu gehören auch jene, die die Küstenwache bei ihrem Fluchtversuch nach Europa auf dem Mittelmeer abfängt. Die Zustände in den Internierungslagern werden von Menschenrechtsorganisationen seit Jahren heftig kritisiert. Das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) verteilt Wasser und Nahrung sowie Medikamente zur Unterstützung von mehreren tausend Internierten.

Die italienische Regierung forderte unterdessen eine europäische Initiative, sollte eine Flüchtlingswelle in Richtung Italien wegen der eskalierenden Gewalt in Libyen entstehen. „Sollten Tausende Asylsuchende abfahren, würde Italiens Politik der geschlossenen Häfen nicht mehr genügen. In diesem Fall müsste man andere europäische Häfen öffnen und die Migranten umverteilen“, so Verkehrsminister Danilo Toninelli am Dienstag. Der Fünf-Sterne-Minister, der für die italienischen Häfen zuständig ist, plädierte für eine internationale Friedensinitiative für Libyen. „Europa muss vorbeugen und eingreifen, und Italien muss im Mittelpunkt der europäischen Migrationsstrategie stehen“, sagte Toninelli.

Luftabwehr in Libyen
APA/AFP/Mahmud Turkia
Das Militär der anerkannten Übergangsregierung versucht Tripolis zu verteidigen

Sarradsch warnte vor einer neuen großen Flüchtlingsbewegung Richtung Europa. 800.000 würden sich auf den Weg nach Italien machen, so Sarradsch. Auch er rief den Westen zu Friedensinitiativen auf. Dabei dankte er Italien für dessen Vermittlungsrolle. Er äußerte die Hoffnung, dass die internationale Gemeinschaft so rasch wie möglich zum Schutz der Zivilpersonen eingreife. Der italienische Außenminister Enzo Moavero Milanesi hielt die von Sarradsch genannte Flüchtlingszahl aber für unrealistisch und bezeichnete sie als „exorbitant“. Laut italienischen Quellen seien lediglich „einige tausend Menschen“ zur Abfahrt nach Italien bereit, so der italienische Außenminister im Interview mit dem Radiosender Radio Capital am Mittwoch. Aus einem Bericht der Geheimdienste gehe hervor, dass etwa 6.000 Personen die Überfahrt nach Italien unternehmen wollen.

UNHCR und IOM warnen vor Spekulation

Das UNHCR und die Internationale Organisation für Migration (IOM) warnten diesbezüglich jedenfalls vor Spekulationen. „Zu diesem Zeitpunkt (…) hat sich im Zuge des Konflikts noch niemand über das Meer auf den Weg gemacht“, so IOM-Sprecher Flavio di Giacomo. Es sei unmöglich, irgendeine Prognose zu stellen. „Bereits in der Vergangenheit gab es so viele Zahlen, die sich dann als falsch herausgestellt haben“, sagte er.

Es wollten nicht alle Flüchtlinge, die sich in Libyen befinden, das Land auch verlassen. Für ungefähr 650.000 von ihnen sei Libyen Ziel- und nicht Transitland. „Das unbeständige Szenario in Libyen könnte zu einer Situation führen, in der das Geschäft für Menschenschmuggel durch das Chaos und fehlende Rechtsstaatlichkeit begünstigt wird“, sagte ein UNHCR-Sprecher: „Die Zahlen sind allerdings schwierig vorherzusagen.“