Lojze Peterle spielt die Europahymne mit einer Mundharmonika
EP/Michel CHRISTEN
Reime, Ständchen, Feuchte Augen

Abschied nehmen im EU-Parlament

In Straßburg ist von Dienstag bis Donnerstag die letzte Plenarsitzung vor der EU-Wahl über die Bühne gegangen. Für viele Mandatare war es ein Abschiedsmoment – entsprechend kam die letzte Tagung nicht ohne Reden und feierliche Rekapitulationen aus. Politisch aber haben die Parlamentarier zum Schluss noch ein wahres Abstimmungsfeuerwerk gezündet.

Nach fünf Jahren ein letztes Mal Politikkosmos Straßburg, hieß es am Donnerstag für viele EU-Abgeordnete. Das galt auch für Österreichs Vertreterinnen und Vertreter: Von den aktuell 18 Mandataren dürften je nach Wahlergebnis maximal sechs auch im nächsten EU-Parlament vertreten sein. Bei der ÖVP stehen Othmar Karas und Lukas Mandl wieder auf der Liste, bei der SPÖ bleibt nur Evelyn Regner und die FPÖ setzt weiterhin auf Harald Vilimsky und Georg Mayer.

Für die Grünen kandidieren Monika Vana und Thomas Waitz zwar erneut, allerdings auf Platz drei und Platz vier. Ein Einzug wackelt damit stark. NEOS-Abgeordnete Angelika Mlinar will ebenfalls wieder ins Parlament – aber nicht für Österreich. Die Kärntner Slowenin tritt für die liberale slowenische Regierungspartei SAB als Listenerste an. Auch für sie könnte es Umfragen zufolge knapp werden.

Poetischer Dank von Eugen Freund

Von und für jene österreichischen Abgeordneten, die nicht bleiben, gab es auch die ein oder andere große Abschiedsgeste: Der SPÖ-Abgeordnete Eugen Freund etwa bedankte sich vor dem Plenum mit einem Gedicht bei den anderen Abgeordneten und allen anderen im Parlamentsbetrieb, von den Reinigungskräften über „Farages Fahrer“ bis hin zu den Barkeepern im Parlament.

Feierlich verabschiedete auch die ÖVP ihre Mandatare, etwa den Langzeitabgeordneten Paul Rübig, der seit 1995 im EU-Parlament war. Für seine Rolle als „Mr. Roaming“ wurde er noch einmal ausführlich gewürdigt. „Nostalgie ist angesagt“, postete indes Vana von den Grünen auf Facebook – und zeigte ihre deutschen Fraktionskolleginnen Terry Reintke und Julia Reda mit einem Glas Bier im Plenum. Die zuletzt durch ihren Kampf gegen die Urheberrechtsreform bekannt gewordene Reda, die einzige Abgeordnete der Piratenpartei, kandidiert nicht mehr, Reintke schon.

Tränen vom Dienstältesten

Ohnehin herrschte freilich auch bei Abgeordneten aus anderen Staaten Abschiedsstimmung. Darunter auch bei richtigen Urgesteinen – etwa dem deutschen CDU-Abgeordneten Elmar Brok, der dem Parlament seit 1980 angehörte und damit das dienstälteste Mitglied war. In seiner Abschiedsrede feierte er die Errungenschaften der EU. „Nationalismus heißt Krieg, und das sollten wir immer im Auge behalten“, schloss er mit gebrochener Stimme und Tränen in den Augen, woraufhin er noch einmal Standing Ovations der anderen Abgeordneten kassierte.

Zu den bekannten nunmehrigen Ex-Abgeordneten gehört auch der 90-jährige rechtsextreme Politiker Jean-Marie Le Pen. Der Franzose hätte gerne noch einmal kandidiert – das ließ allerdings seine Tochter Marine Le Pen vom Rassemblement National nicht zu. Musikalisch verabschiedete sich der slowenische Abgeordnete Lojze Peterle: Nach einer hastig absolvierten letzten Ansprache gab er die europäische Hymne auf der Mundharmonika zum Besten.

EU-Kommissionpräsident Jean-Claude Juncker – ebenfalls emotional – fand zum Abschied wie üblich große Worte: „Europa muss man lieben“, sagte Juncker vor dem Plenum. „Wenn man es nicht liebt, ist man zur Liebe nicht fähig. Ich liebe Europa, es lebe Europa!“ „Mit schwerem Herzen sehe ich einige Kollegen sich aus der Politik oder aus dem Parlament zurückziehen“, sagte Juncker, der sich selbst gegen eine weitere Amtszeit entschieden hatte. Er scheidet am 31. Oktober als Kommissionspräsident aus.

„Ich habe die Arbeit hier mit Ihnen sehr gemocht, habe viel gelernt, habe viel gestritten. Aber wir haben auch einiges geschafft.“ Er betonte, dass während der vergangenen fünf Jahre 350 Vorschläge seiner EU-Kommission umgesetzt worden seien. Der umstrittene EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani zelebrierte seine letzte Plenartagung. „Ich entschuldige mich für Fehler, die ich gemacht habe“, sagte Tajani. Man habe aber „wirklich großartige Momente“ gehabt.

Ein Potpourri an Beschlüssen

Abseits von den zahlreichen Umarmungen, Selfies und Abschiedsgesten gab es von Dienstag bis Donnerstag noch einen regelrechten Abstimmungsmarathon, denn das Parlament wollte vor der Wahl noch so viele Themen wie möglich auf Schiene bringen. Ein großer Komplex war das Arbeitsrecht: Votiert wurde unter anderem zugunsten neuer Regeln für atypisch Beschäftigte und der neuen europäischen Arbeitsbehörde. Nicht durch ging hingegen ein Vorschlag für die Koordinierung von Sozialsystemen. Diese sollte etwa die Übertragung von Kindergeld und Arbeitslosenansprüchen erleichtern.

EU-Parlamentspräsident Jean-Claude Juncker
Reuters/Vincent Kessler
Auch Juncker ergriff am Dienstag noch einmal das Wort

Im Verkehrsbereich votierte das Parlament dafür, dass neue Lkws in Zukunft weniger Schadstoffe ausstoßen sollen. Einen Sanktus gab es zudem für verpflichtende Abbiegeassistenten bei neuen Lkws und Bussen, sowie Hightech-Sicherheitssystemen bei neuen Pkws. Zudem konnte man sich auf einen Standard für autonomes Fahren einigen: Das Parlament stimmte mehrheitlich für die von der EU-Kommission vorgeschlagene künftige Funkanbindung für Autos ohne Fahrer auf Basis des WLAN-Standards für drahtlose Netzwerke.

Frontex, Whistleblower, Pestizide

Beschlossen wurde zudem die Vernetzung von Sicherheitsdatenbanken in der EU. Den neuen Regeln zufolge sollen Grenzschutz- und Polizeibeamte künftig alle EU-Informationssysteme abfragen können. Zudem wird ein gemeinsamer Dienst Fingerabdrücke und Gesichtsbilder mit bestehenden Datenbanken abgleichen.

Einig war man sich auch dabei, dass die EU-Grenzschutztruppe Frontex auf bis zu 10.000 Beamte aufgestockt werden soll. Zudem wurden Pläne für einen milliardenschweren EU-Verteidigungsfonds gebilligt. Mit diesem sollen europäische Rüstungsprojekte gefördert werden.

Eine positive Entscheidung gab es auch zugunsten einer Reform der Finanzmarktaufsicht, beschlossen wurden außerdem stärkere Schutzmaßnahmen für Whistleblower. Eine Reihe an neuen Regeln soll zudem den Konsumentenschutz beim Onlinehandel verbessern. Vorgesehen sind etwa Transparenzregeln für Onlinebewertungen von Produkten oder Dienstleistungen. Auch die Zulassung von Pestiziden wie Glyphosat, Gentechnik, sowie Aromen und anderen Zusatzstoffen in Lebensmitteln soll künftig transparenter werden. Bestätigt wurde zudem ein Verbot des Elektrofischens.