Menschen fotografieren die Notre-Dame
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Milliardäre versprechen Millionen

Heftige Kritik an Spendenflut für Notre-Dame

Während die Pariser Kathedrale Notre-Dame noch gebrannt hat, hat in Frankreich bereits der große Spendenwettlauf begonnen. Milliardärsfamilien versprachen Hunderte Millionen Euro – rasch war eine Summe von über 850 Mio. Euro erreicht. Kritikerinnen und Kritiker zeigten sich daraufhin frustriert: Bei sozialen Problemen würde weggeschaut.

Zuerst kündigte der Luxusmodekonzern Kering des Milliardärs Francois-Henri Pinault eine Spende von 100 Millionen Euro an. Dann übertrumpfte ihn sein Rivale Bernard Arnault mit dem Versprechen, sein Konzern LVHM werde 200 Millionen Euro geben. Denselben Betrag wollen auch die Haupteigner des Kosmetikkonzerns L’Oreal, die Familie Bettencourt-Meyer, bereitstellen. Mehrere Konzerne und Milliardäre zogen mit Millionenbeträgen nach. Zuvor hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron einen Spendenaufruf gestartet – die von der Regierung beauftragte Stiftung mahnte indes zur Vorsicht vor Betrügern.

Auf anfängliche Lobeshymnen folgte Entrüstung – in und außerhalb Frankreichs. „Im Jemen verhungern täglich Tausende Kinder“, „Jesus sorgte sich mehr für leidende Menschen als für Mauern und Fenster“, „Was ist mit den Armen?“ – solche und ähnliche Kommentare fluteten die Sozialen Netzwerke. Nicht zuletzt stieß die Spendenflut vor dem Hintergrund der andauernden „Gelbwesten“-Proteste in Frankreich manchen sauer auf. Seit Monaten gehen Menschen auf die Straße, um für mehr soziale Gerechtigkeit und niedrigere Steuern zu protestieren.

Bernard Arnault
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Der Multimilliardär Bernard Arnault spendete 200 Mio. Euro für den Wiederaufbau von Notre-Dame

„Macht die Ungerechtigkeiten in diesem Land deutlich“

„Könnt ihr euch das vorstellen? 100 Mio., 200 Mio. mit nur einem Klick?“, sagte Philippe Martinez, der Generalsekretär der Gewerkschaft CGT. „Das macht die Ungerechtigkeiten in diesem Land wirklich deutlich.“ „Victor Hugo bedankt sich bei all den großzügigen Spendern, die bereit sind, Notre-Dame zu retten, und schlägt vor, dasselbe für Les Miserables zu tun“, tweetete der Philosoph Ollivier Pourriol.

Die Reichen würden den Brand als Publicity-Stunt nutzen, hieß es auch. Wenn Milliardäre und Unternehmen nun „auf einer Welle der Großzügigkeit reiten“, könnten sie sich anders hervortun, sagte Manon Aubry von der Linkspartei La France Insoumise. Sie sollten ihre Steuern zahlen, statt das Geld in Steueroasen zu stecken – dann könnten Kultur und öffentlicher Dienst auch ordentlich finanziert werden. Die Grünen-Politikerin Esther Benbassa kritisierte, dass es der Staat sei, der den Großteil finanzieren werde. Sie spielte darauf an, dass sich die Spenden zu 60 Prozent von den Steuern abziehen lassen.

Hayek: „Bin stolz, Teil der Pinault-Familie zu sein“

Die Pinaults reagierten kurz darauf auf die Kritik. Den Steuervorteil würden sie nicht in Anspruch nehmen. „Heute, mehr als je zuvor, bin ich stolz, Teil der Pinault-Familie zu sein. Nicht nur, wegen deren persönlicher und aufrichtiger Teilnahme am Wiederaufbau der Notre-Dame des Paris, aber auch deshalb, weil sie für deren Spende keinen Steuervorteil der Regierung in Anspruch nehmen wollen“, schrieb Pinaults Ehefrau, die Schauspielerin Salma Hayek, auf Instagram. Die Arnaults wiesen die Vorwürfe zurück – auch sie wollen die Spenden nicht steuerlich geltend machen. Die Bettencourt-Meyers ließen diese unkommentiert.

Premierminister Eduard Philippe kündigte indes für die kommende Woche ein Gesetz an, das dafür sorgen soll, dass Unternehmen bei Spenden für Notre-Dame nicht mehr Steuervergünstigungen erhalten würden als gesetzlich üblich. Für den Wiederaufbau wird zudem nach Ansicht von Fachleuten wohl der französische Staat aufkommen müssen. „Im Allgemeinen sind Kirchen in Frankreich Eigentum des Staates, und dieser versichert sich selbst“, so der Rückversicherer Swiss Re. Zudem seien Kunstwerke und Reliquien in der Regel nicht versichert, da sie oft unbezahlbar seien.

Francois-Henri Pinault
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Der Kunstmäzen Henri-Francois Pinault und dessen Familie kündigten an, Steuervorteile nicht in Anspruch nehmen zu wollen

Zuletzt hieß es, dass der Wiederaufbau mehrere hundert Millionen Euro kosten soll. Rund 90 Prozent der Kunstwerke und Reliquien in Notre-Dame wurden nach Angaben eines Versicherungsexperten rechtzeitig vor den Flammen gerettet. Der Evakuierungsplan sei minuziös befolgt worden, sagte der Schadensachverständige Michel Honore, der den Domschatz im Auftrag der Versicherer begutachtet, am Mittwochabend. Der Direktor von Notre-Dame de Paris brachte für die Zeit des Wiederaufbaus – der laut Macron bis 2024 fertiggestellt werden soll – eine Holzkirche auf dem Vorplatz ins Spiel – mehr dazu in religion.ORF.at.

Macron will Nation durch Wiederaufbau einen

Die Debatte bewirkt genau das Gegenteil davon, was sich Macron von dem Wiederaufbau der mehr als 850 Jahre alten Kathedrale erhofft hatte. Macron wollte, dass das Land durch den Wiederaufbau näher zusammenrückt.

Am Donnerstag zeichnete er Hunderte Einsatzkräfte mit einer Medaille für ihren „beispielhaften Mut“ aus. Sie hätten gezeigt, „wie wir alle sein sollten“, so Macron. „Es liegt an uns, diese Katastrophe in eine Gelegenheit zu wandeln, um zusammenzukommen. Es liegt an uns, den Faden unseres nationalen Projekts zu finden“, sagte er bei einer TV-Ansprache am Dienstag.

Notre-Dame
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Die Notre-Dame soll unter der Leitung des Fünf-Sterne-Generals Jean-Louis Georgelin bis 2024 wiederaufgebaut werden

Ergebnisse der „Nationalen Debatte“ verschoben

Eigentlich wollte Macron bereits am Montagabend – etwa zu dem Zeitpunkt als Notre-Dame zu brennen begonnen hatte – über die Ergebnisse einer monatelangen Bürgerdebatte sprechen. Macron hatte die „Nationale Debatte“ im Jänner als Reaktion auf die Proteste der „Gelbwesten“ gestartet – und die Verkündung der Maßnahmen auf unbestimmte Zeit verschoben.

Dennoch kursierten einige der möglichen Pläne des Präsidenten am Dienstag in den Medien: Steuersenkungen für die Mittelklasse, Entlastung von Pensionisten, Abschaffung der Kaderschmiede ENA – also der Hochschule der politischen Elite des Landes. Der Präsidentenpalast kommentierte das nicht. Den „Gelbwesten“ wurde indes verboten, auf der Seine-Insel Ile de la Cite, auf der Notre-Dame steht, und für das angrenzende linke Seine-Ufer zu demonstrieren – aus „Sicherheitsgründen“.