Ukrainischer Präsident Petro Poroschenko und der Komiker Wolodymyr Selenski im Olympiastadion in Kiew
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Präsidentenwahl

Showdown im Olympiastadion von Kiew

Im Wahlkampf um das Präsidentenamt in der Ukraine jagt eine Kuriosität die nächste. Zuletzt gaben die beiden Kandidaten für die Stichwahl am Sonntag ihre einzige direkte Wahlkampfkonfrontation im Olympiastadion von Kiew. Vor Tausenden Zuschauern gingen Amtsinhaber Petro Poroschenko und der Komiker Wolodymyr Selenski verbal aufeinander los.

Zu Beginn des Rededuells gab es auf der Bühne vor mehr als 10.000 Menschen am Freitagabend zwar ein freundliches Händeschütteln. Dann aber wiederholten Poroschenko und Selenski etwa eine Stunde lang ihre aus dem Wahlkampf bekannten wechselseitigen Vorwürfe. Eine wirkliche inhaltliche Debatte stand für die Kandidaten nicht im Vordergrund, beide vermieden zudem neue inhaltliche Akzente.

Insgesamt mutete die Veranstaltung wie ein großangelegter Filmdreh mit vielen Statisten an. Nach dem Absingen der Nationalhymne waren beide Kandidaten zunächst eingeladen, auf einer gemeinsamen Bühne kurze Präsentationen zu machen und anschließend einander Fragen zu stellen. Poroschenko hatte klares Heimspiel – seine Anhänger, die teils in Autobussen zum Stadion gebracht worden waren, dominierten zahlenmäßig. Sie bewirkten durch laute Unmutsbekundungen, dass zahlreiche Wortmeldungen Selenskis im Stadion akustisch unverständlich blieben.

Verbaler Schlagabtausch über Russland

Selenski gestand zum Auftakt der Debatte offen ein, dass er keine politische Erfahrung hat. „Ich bin kein Politiker“, sagte der 41-Jährige. „Ich bin einfach ein normaler Mensch, der gekommen ist, um dieses System zu stürzen.“ Er selbst habe vor fünf Jahren Poroschenko als Hoffnungsträger gewählt. „Es war ein Fehler“, sagte er. Die krisengeschüttelte Ex-Sowjetrepublik sei heute das ärmste Land – unter „dem reichsten Präsidenten“.

Menschen im Olympiastadion in Kiew
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Rededuell auf der Bühne in der Arena mit 70.000 Plätzen

Poroschenko, der selbstsicher und mit einem Lächeln auftrat, erwiderte: „Sie sind keine Katze im Sack, sie sind ein Sack, und in ihrem Sack sind Teufel und Katzen.“ Er bezog sich damit auf ein Fernsehinterview Selenskis, in dem der russische Präsident Wladimir Putin vom Interviewer als Teufel bezeichnet worden war. Zugleich warnte Poroschenko vor der Gefahr, dass Russland unter Putin die Kontrolle über die Ukraine erlangen könnte.

„Wir stehen heute vor äußeren Herausforderungen, die vom Präsidenten Mut, Kraft, internationale Erfahrung erfordern“, sagte er. Der 53-Jährige bezeichnete seinen Herausforderer als unfähig, den russischen Aggressor zu besiegen. Während Poroschenko nur Ukrainisch sprach, wechselte Selenski zeitweise ins Russische.

Süßwaren und der Krieg im Osten

Selenski warf im Gegenzug Poroschenko vor, dass Süßwaren von Poroschenkos Konzern Roschen in Moskau weiterhin zu kaufen seien und dass Soldaten der selbstdeklarierten Volksrepubliken in der Ostukraine Roschen-Schokolade in ihrer Ration hätten. „Alles, was Wolodymyr sagt, ist eine Lüge und entspricht nicht der Wahrheit“, erwiderte Poroschenko.

Anhänger des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko
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Die Wahlkonfrontation im Olympiastadion zog Zehntausende an

Selenski sagte, dass er sich im Gegensatz zu Poroschenko noch nie mit Putin getroffen habe. Er warf dem Staatschef vor, den Krieg im Osten der Ukraine – anders als vor fünf Jahren versprochen – nicht beendet zu haben. „Ich bin nicht ihr Opponent, ich bin ihr Urteil“, sagte Selenski. Er wolle nur eine Amtszeit regieren und dafür sorgen, dass die korrupte Machtelite verschwinde. Mehrere Fernsehsender übertrugen die Debatte – auch in Russland.

Poroschenko gab Zugabe

Während Selenski nach dem offiziellen Ende der Veranstaltung das Stadion sofort in einem Kleinbus verließ, gab es vom amtierenden Präsidenten noch eine Zugabe. Gemeinsam mit prominenten Unterstützern wanderte er zu einer weiteren Bühne und wandte sich in einer emotionalen Rede nicht nur an seine Anhänger im Stadion, sondern insbesondere auch an das Wahlvolk vor den Bildschirmen. Neben dem Präsidenten stand unter anderem die offizielle Gebärdendolmetscherin des Fernsehsenders Prjamyj, der für den Wahlkampf Poroschenkos eine zentrale Rolle gespielt hatte.

Polizei vor dem Olympischen Stadion in Kiew
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Polizeibeamte versammelten sich vor dem Stadion

Selbst eilte der Präsident anschließend in das Studio des öffentlich-rechtlichen Senders Suspilne, wo nach Vorgaben der staatlichen Wahlkommission um 21.00 Uhr Ortszeit eine Diskussion der beiden Spitzenkandidaten stattfinden sollte. Herausforderer Selenski blieb fern. „Wir sehen keinen Sinn, dafür noch Ressourcen zu verwenden“, begründete sein enger Mitarbeiter Iwan Bakanow das am Abend vor Journalisten.

Beispielloses Politspektakel

Was den rund 30 Millionen Wahlberechtigten vor der Abstimmung am Sonntag um das mächtigste Amt des Landes geboten wurde, gilt als beispielloses politisches Spektakel. „Das Ende“ steht auf einem Plakat, auf dem Poroschenko aus dem Bild – oder aus dem Amt – läuft. Nach seinem Erfolg mit mehr als 30 Prozent Unterstützung in der ersten Wahlrunde und aktuellen Umfragewerten von mehr als 70 Prozent scheint Selenski der große Favorit der Stichwahl zu sein.

Für ihn stünde im Fall eines Sieges dann der Rollenwechsel an: vom Präsidentendarsteller im Fernsehen – in einer extrem erfolgreichen Comedyserie spielt er einen einen Lehrer, der unverhofft zum Präsidenten wird – ins echte Staatsamt. Der Politneuling hat zwar eine Partei, die den Namen seiner TV-Serie „Sluha narodu“ (auf Deutsch: „Diener des Volkes“) trägt. Eine eigene Machtbasis hat er aber nicht. Nicht ausgeschlossen, dass er angesichts schon jetzt unklarer Machtverhältnisse die für Oktober angesetzte Parlamentswahl vorzieht. Auch hier kann sich Selenskis Partei laut Umfragen Hoffnungen auf einen Sieg machen.

Eine einzige direkte Konfrontation

Der Showdown im Stadion war der einzige Wahlkampftermin, bei dem sich die beiden Bewerber gegenüberstanden. Einem Fernsehduell hatte sich Selenski stets verweigert – getreu seiner Wahlkampfstrategie, klassische Medien weitgehend zugunsten von Onlinevideos links liegen zu lassen. Mitunter wirkten Poroschenkos Versuche, Selenski für eine echte Debatte zu treffen, verzweifelt. Einmal platzte der Präsident in eine Sendung des TV-Kanals 1+1. Der Sender des ukrainischen Oligarchen Igor Kolomoiski ist Selenskis Haussender.

Ukrainischer Präsident Petro Poroschenko und der Komiker Wolodymyr Selenski
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Amtsinhaber Poroschenko (links) und sein Herausforderer Selenski

Wahlkampf mit absurden Zügen

Gleichzeitig glitt der Wahlkampf zwischenzeitlich ins Absurde ab: Vor laufenden Kameras unterzogen sich Poroschenko und Selenski etwa Bluttests auf Drogen und Alkohol. Der Präsident versuchte, den Schauspieler als koksende russische Marionette hinzustellen. In einem Onlinespot wurde der fröhliche Selenski von einem Lastwagen überfahren – ein schlechter Scherz. Immerhin kam 1999 der aussichtsreiche Präsidentenkandidat Wjatscheslaw Tschornowil vor der Wiederwahl Leonid Kutschmas bei einem Lkw-Unfall ums Leben.

Poroschenko, der ein Millionenvermögen in der Süßwarenindustrie machte und im eigenen Land daher als „Schokoladenkönig“ bekannt ist, wiederum sah sich bisweilen in Häftlingskleidung hinter Gitterstäben karikiert. Aktuell etwa wird der ukrainische Rüstungskonzern Ukroboronprom von einem Korruptionsskandal erschüttert – mit möglichen Verbindungen ins Umfeld des Präsidenten.

Selenski hatte seine Kandidatur medienwirksam am Silvesterabend bekanntgegeben: Ein privater Fernsehsender strahlte die Ankündigung anstelle der Neujahrsansprache Poroschenkos aus. Das brachte ihm den Vorwurf ein, er habe nicht genügend Respekt vor dem Staat. „Als ich meine Kandidatur bekanntgegeben habe, haben sie mich als Clown bezeichnet“, sagte Selenski später in einem seiner zahlreichen Facebook-Videos. „Ich bin ein Clown, und ich bin sehr stolz darauf.“