Alexander Van der Bellen
AP/Michael Gruber
„Rattengedicht“

Warnung vor „Vergiftung des Klimas“

Bundespräsident Alexander Van der Bellen mahnt mehr Respekt gegenüber Mitmenschen ein und warnt vor einer „Vergiftung“ des gesellschaftlichen Klimas. Hetze sei „inakzeptabel“, so Van der Bellen am Mittwoch in einer Aussendung. Politiker und Politikerinnen gerade von Regierungsparteien hätten besonders auf ihre Wortwahl zu achten.

Es sei in den vergangenen Wochen „gezielt Hetze gegen einzelne Menschengruppen“ betrieben worden, so der Bundespräsident. Mit der damit einhergehenden Spaltung der Gesellschaft werde das Ansehen Österreichs in der Welt „massiv“ beschädigt. „Hetze gegen Mitmenschen werden wir in Österreich niemals akzeptieren.“ Er begrüße die Reaktion von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und nehme „zur Kenntnis“, dass im Fall der FPÖ Braunau Konsequenzen gezogen wurden.

Er habe in einem Gespräch mit Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) am Dienstag festgehalten, dass alle Politikerinnen und Politiker, besonders aber jene einer Regierungspartei „Verantwortung für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft tragen und für ein Klima des Respekts zu sorgen haben“. Es brauche besondere Achtsamkeit beim Gebrauch der Sprache, erinnerte Van der Bellen an seine Worte bei der Angelobung der Bundesregierung im Dezember 2017.

„Wohl aller im Blick“

Als Bundespräsident habe er den Willen und das Wohl aller im Blick zu haben: „Das ist selbstverständlich auch eine zentrale Aufgabe der Bundesregierung unter Führung von Bundeskanzler Kurz und Vizekanzler Strache. Sie sind es, die als Vertreter Österreichs in besonderem Maße für das Ansehen unserer Heimat in der Welt und für den Wirtschaftsstandort Österreich Sorge zu tragen haben.“

Der FPÖ-Vizebürgermeister von Braunau, Christian Schilcher, hatte am Dienstag seinen Rücktritt angekündigt, nachdem ein Gedicht bekanntgeworden war, in dem er aus der Perspektive einer Ratte vor Zuwanderung und der Vermischung von Kulturen warnte – mehr dazu in ooe.ORF.at. Gleichzeitig wurde ein Cartoon der steirischen FPÖ-Jugend bekannt, in dem Zuwanderer mit rassistischen Stereotypen dargestellt wurden.

Regierung mit Konsequenzen zufrieden

Regierungsmitglieder zeigten sich am Mittwoch vor dem Ministerrat mit den Konsequenzen in Sachen „Rattengedicht“ zufrieden. Kanzleramtsminister Gernot Blümel (ÖVP) stellte sich bei der Beurteilung der Causa hinter Kurz und Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP), die klargemacht hätten, „dass so etwas nicht infrage kommen kann“. „Die Koalitionsarbeit läuft sehr, sehr gut“, so Blümel unter Verweis auf diverse Gesetzesvorhaben, die in einer anderen Koalition nicht möglich gewesen wären.

Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) sagte, es sei wichtig, wie man mit „Einzelfällen“ wie diesem umgehe. Die eigenen Mitglieder dahingehend verstärkt zu beobachten bedeute allerdings eine „Stasi innerhalb der Partei“. Kickl verwies seinerseits auf die SPÖ, aus deren Reihen Vergleiche der FPÖ-Wähler mit Ratten gekommen seien. Er orte dahingehend eine „gewisse Schieflage in der öffentlichen Wahrnehmung“.

Als „schwieriges Thema“ bezeichnete ÖVP-Bildungsminister Heinz Faßmann den Vorfall. Er sei „nicht nur überrascht, sondern auch entsetzt“ über das Gedicht gewesen. Der Minister zeigte sich mit der Reaktion durch die FPÖ-Spitze ebenfalls zufrieden und verwies auf rote Linien, die nicht überschritten werden dürften. Die Empörung der SPÖ sehe er differenziert, sei diese doch anderswo ebenfalls in einer Koalition mit den Freiheitlichen.

Kurz und Strache verweisen auf SPÖ

Kurz und Strache verteidigten nach dem Ministerrat ihre Reaktion auf das „Rattengedicht“, verwiesen aber ebenfalls auf die SPÖ. So sei jenes SPÖ-Kampagnenmitglied im Nationalratswahlkampf, das manipulierte Facebook-Seiten gegen Kurz betrieben haben soll, wieder für die SPÖ tätig, hieß es. Im Rennen um die Bundespräsidentschaft hatte er dem nach einem Sportunfall behinderten Norbert Hofer Helmut Qualtingers „Krüppellied“ gewidmet.

Debatte über umstrittenes Gedicht geht weiter

Kanzler und Vizekanzler sprachen sich am Mittwoch noch einmal für eine rasche und deutliche Abgrenzung von solchen Inhalten aus.

Kurz stellte sich in der Kritik an der SPÖ hinter seinen Vize und erinnerte an die Koalitionen der SPÖ mit der FPÖ in Linz und im Burgenland. Auch will sich der Bundeskanzler laut eigener Aussage immer dann zu Wort melden, „wenn ich das Gefühl habe, dass es notwendig ist“. Das betreffe jede Form von Extremismus und Antisemitismus. Sollte das ein Regierungsmitglied betreffen, will Kurz auch von seinem Durchgriffsrecht Gebrauch machen.

Strache sieht „Diffamierung“

Wenn es um die Kritik an „Einzelfällen“ in der FPÖ gehe, fehle SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner „jedwede moralische Legitimation“, so Strache unter Verweis auf das Engagement des Kampagnenmitglieds („Zeremonienmeister der Hetze“). Auch will sich der FPÖ-Obmann keine anderen Verfehlungen „in die Schuhe schieben lassen“ wie Vereine, die mit der FPÖ nichts zu tun hätten. Bei der SPÖ regierten derzeit „Diffamierung“, „Denunziation“ und „Hetze“.

Dringliche Anfrage im Parlament

Die FPÖ hat sich vom Braunauer Rattengedicht distanziert – der Kanzler hat das akzeptiert, der SPÖ ist das zu wenig. Sie bereitet einen Misstrauensantrag gegen den Vizekanzler vor.

ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer hatte in einer Aussendung zuvor bereits die Kritik der SPÖ angesichts der eigenen Zusammenarbeit mit der FPÖ „unglaubwürdig“ genannt. Er ortete in den Reihen der SPÖ „mangelnde politische Hygiene“ wegen der Mitarbeit des Kampagnenmitglieds, "der gemeinsam mit (Tal, Anm.) Silberstein die antisemitischen und rassistischen Fake-Facebook-Seiten betrieb“, hieß es in Bezug auf einen entsprechenden Bericht der „Presse“ (Mittwoch-Ausgabe).

SPÖ will Misstrauensantrag gegen Strache

Die SPÖ ihrerseits will, dass der Nationalrat Vizekanzler Strache das Misstrauen ausspricht, und will dazu einen entsprechenden Antrag in der dieswöchigen Plenarwoche einbringen, kündigte Klubobfrau Rendi-Wagner in einer Pressekonferenz an. Anlass sind jüngste Vorwürfe bezüglich rechtsextremer Verbindungen der FPÖ. Strache trage als Parteichef die Verantwortung, so Rendi-Wagner.

Die SPÖ-Vorsitzende wandte sich in einem Brief an Van der Bellen, dieser solle als moralische und politische Instanz eingreifen. In welcher Form, ließ sie offen. Eher einsilbig reagierte Rendi-Wagner auf Fragen zur Zusammenarbeit der SPÖ mit der FPÖ im Burgenland und in Linz. Die SPÖ-Chefin verwies darauf, dass eine Koalition im Bund eine andere staatspolitische Dimension habe. Die SPÖ dulde auf lokaler Ebene allerdings auch keine Verstrickungen mit rechtsextremen Netzwerken.