Szene aus „MIMOZA LLASTICA“
Crossing Europe
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Kinderfilme gegen den Diktator

Am Donnerstag startet das Filmfestival Crossing Europe in Linz in seine 16. Ausgabe. Das Programm ist wie gewohnt gut durchmischt, europäisch – und äußerst politisch. Ein spektakulärer und unerwarteter Schwerpunkt ist heuer dem filmischen Erbe Albaniens gewidmet, wo Filmschaffende im Schatten des kommunistischen Diktators Enver Hoxha kreative Wege fanden, der Zensur zu trotzen.

Eröffnet wird Crossing Europe mit Nora Fingscheidts Film „Systemsprenger“, der bei der diesjährigen Berlinale einen Silbernen Bären erhalten hat. Ebenfalls am ersten Abend zu sehen sind unter anderem das Melodram „Petra“ von Jaime Rosales sowie der dystopische Politthriller „Sons of Denmark“ und – in der Programmsektion Local Artists – die Doku „Elfie Semotan, Photographer“ von Joerg Burger. Insgesamt zeigt das laut eigenen Angaben nach Viennale und Diagonale drittgrößte Filmfestival Österreichs 149 Spiel- und Dokumentarfilme aus 48 Ländern.

In den vier Wettbewerbssektionen – Spielfilme, Dokus, „Local Artists“ und der neuen Jugendschiene „YAAAS!“ – werden Geld- und Sachpreise im Gesamtwert von 30.000 Euro vergeben. Daneben ergänzen traditionellerweise weitere Themenblöcke das Programm: Die Arbeitswelten stehen heuer unter dem Titel „Independent Women“, „European Panorama Fiction & Documentary“ zeigt Highlights der aktuellen Festivalsaison. Ebenfalls bereits ein Fixpunkt sind die Reihen „Architektur & Gesellschaft“ und „Cinema Next Europe“.

„Vor dem Auflösen in Essig bewahren“

Eine echte Entdeckung sind jedenfalls die Filme aus Albanien, das Diktator Hoxha bis zu seinem Tod 1985 mit eiserner Faust regierte. Dabei geht es um eine zentrale Frage, die sich in vielen einst autoritär geführten Staaten stellt: wie umgehen mit dem visuellen Gedächtnis, wo man doch Teile seiner Geschichte lieber vergessen möchte? Die albanische Filmkonservatorin Iris Elezi hat sich das Ziel gesetzt, das filmische Erbe ihres Landes zu dokumentieren – und vor dem Verfall zu retten.

Iris Elezi
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Elezi will das filmische Erbe Albaniens im wahrsten Sinne des Wortes vor der Auflösung bewahren

Wie schlecht es um den Zustand des filmischen Erbes bestellt war, bemerkte Elezi nach eigenen Angaben beim Besuch des Depots des albanischen Filmarchivs, gelegen am Stadtrand von Tirana: „Als wir durch die Eingangstür (…) kamen, war der Essiggeruch übermächtig“, so Elezi. „Die Wände, die ich berührte, waren nass von Schimmel und Kondenswasser. In diesem Moment entschied ich, dass ich alles tun werde, um Albaniens Filmerbe vor dem Auflösen in Essig zu bewahren.“

Essiggeruch ist bei altem Film ein deutliches Indiz dafür, dass sich das Material irreversibel zu zersetzen begonnen hat. Sieben Jahre nach dem ersten Besuch des Depots stieg Elezi selbst zu Direktorin des Albanian National Film Archive auf. Nun hat das Filmfestival in Linz ihr das diesjährige „Spotlight“ gewidmet und sie gemeinsam mit dem Filmmuseum nach Österreich eingeladen.

Schätze aus einer anderen Welt

Elezi hat in den USA unter anderem Filmkritik und Anthropologie studiert, ist Filmproduzentin, Regisseurin und erfahrene Lehrende und seit vielen Jahren international unterwegs als Botschafterin für albanisches Filmschaffen. Kern des Programms, das zuerst beim Festival in Linz und dann in kondensierter Form im Filmmuseum in Wien zu sehen ist, sind Arbeiten von Xhanfise Keko aus den 1970er und 1980er Jahren.

Keko war Albaniens erste und lange Zeit einzige Regisseurin „und auch die beste unter den Filmschaffenden Albaniens dieser Zeit“, so Jurij Meden, Kurator am Filmmuseum Wien. Albanien war in den 1950er Jahren bereits stalinistischer Satellitenstaat. Wie die meisten ihrer Kollegen studierte Keko in Moskau. Ihr Fach war Dokumentarfilm, bis Ende der 1960er Jahre drehte und schnitt sie vor allem politische Paraden und Parteikonferenzen für die nationalen Nachrichtensendungen.

Bubenbande gegen Nazi-Besatzer

Ab Anfang der 1970er Jahre jedoch begann sie, eine Reihe von Spielfilmen zu drehen: „Trotz der strengen Zensurauflagen benutzte sie das Genre des Kinderfilms, um persönliche Überlegungen zu äußern, die in den Arbeiten ihrer männlichen Zeitgenossen nicht zu finden sind“, so Elezi über Keko. Der Publikumshit „Tomka und seine Freunde“ etwa aus 1977, vor wenigen Jahren restauriert, handelt von einer Bubenbande, die die Nazi-Besatzer zu sabotieren versucht, weil die ihren Fußballplatz okkupiert haben.

Szene aus „Tomka und seine Freunde“
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Szene aus „Tomka und seine Freunde“: Mit Kinderfilmen wurde die Zensur ausgehebelt

Kekos Filme sind ein Beleg dafür, wie unter einem oppressiven Regime doch Eigenständiges möglich ist. Meden vergleicht die Regisseurin darin mit ihrem iranischen Kollegen Abbas Kiarostami, „der Humanismus ihrer Filme, die Verspieltheit, der sichere Umgang mit den Kinderdarstellern“ und auch immer wieder die Gratwanderung zwischen Fiktion und dokumentarischem Arbeiten.

Unbekannt im eigenen Land

„Spotlight“ umfasst auch neueres albanisches Kino: Das aktuelle Drama „Cold November“ des kosovarischen Regisseurs Ismet Sijarina etwa handelt vom Dilemma eines albanischen Archivars im Kosovo, der sich in den frühen 1990er Jahren in der politisch zunehmend unsicheren Lage zwischen der Solidarität mit Kolleginnen und Kollegen und der Sicherheit seiner Familie entscheiden muss.

Veranstaltungshinweise

Crossing Europe geht noch bis Dienstag in Linz über die Bühne. Alle Vorstellungen im Rahmen von „Spotlight Iris Elezi“ finden in Anwesenheit der Konservatorin statt. Am 1. und 2. Mai ist der Schwerpunkt zu Xhanfise Keko dann im Filmmuseum Wien zu sehen.

Elezis eigener Spielfilm „Bota“, den sie 2014 gemeinsam mit ihrem Partner Thomas Logoreci gedreht hat, ist ebenfalls zu sehen. „Bota“ handelt von Jugendlichen in einem isolierten Dorf, die mit dem Ausbau der nahen Autobahn ihr Idyll verlieren werden. Diese Jugendlichen könnten dieselben sein, denen Elezi heute die Kinogeschichte des eigenen Landes näherbringen möchte.

Nur die Träume blieben privat

„Viele Leute empfinden immer noch Scham bei den Filmen, die während der kommunistischen Zeit entstanden sind“, sagte Elezi. „Die Kontrolle durch das Regime war so rigide, der Terror erreichte jede Ecke des Alltags. Nur was wir geträumt haben, hat uns selbst gehört.“ Wer dagegen aufzubegehren wagte, konnte mitsamt seiner Familie im Gefangenenlager landen – wie etwa der vielversprechende Dokumentarfilmer Viktor Stratoberdha, der nach einem Witz über Hoxha für 30 Jahre eingesperrt wurde.

„Jeder lebte in Angst. Viele wollen heute nicht mehr an diese Zeit denken, es ist einfach zu schmerzhaft.“ Wohl aus diesem Grund wurden viele der damaligen Filme im Archiv einfach vergessen und nie in anderen Sprachen untertitelt. Das Bewahren und Zugänglichmachen steht für Elezi bei ihrem „Albanian Film Project“ im Vordergrund: „Zukünftige Generationen dieser Filme zu berauben wäre kriminell. Ich beneide jene, die diese Filme einmal entdecken werden.“ Ein erster Blick auf diesen Schatz ist nun auch in Österreich möglich.