Ein Mann bettelt vor vorbeigehenden Menschen
APA/Hans Klaus Techt
Armut und Ausgrenzung

Für 1,5 Millionen Menschen Teil des Lebens

Mehr als 1,5 Millionen Personen in Österreich waren laut Statistik Austria im Jahr 2018 armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Gegenüber 2008 sank die Zahl um 187.000 Personen, das Ziel für 2020 ist noch nicht erreicht. Von Armut sind allen voran Ausländerinnen und Ausländer, Langzeitarbeitslose, kinderreiche Familien und Personen in Einelternhaushalten betroffen.

Die 1.512.000 armuts- oder ausgrenzungsgefährdeten Personen machen 17,5 Prozent der Bevölkerung aus. Auch 372.000 Kinder und Jugendliche leben in ausgrenzungsgefährdeten Haushalten. Laut der EU-Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC), die die Statistik Austria am Donnerstag veröffentlichte, waren 1.238.000 Personen (14,3 Prozent) armutsgefährdet, 243.000 Personen (2,8 Prozent) waren erheblich materiell benachteiligt (Armut), und 480.000 Personen (7,3 Prozent, unter 60-Jährige) lebten in Haushalten mit keiner oder sehr niedriger Erwerbsintensität.

Da diese Merkmale in Kombination auftreten können, ist die Zahl der Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdeten geringer als die Summe der drei Einzelindikatoren. 367.000 Personen waren in mindestens zwei der drei Armuts- oder Ausgrenzungsdimensionen benachteiligt (4,2 Prozent der Gesamtbevölkerung). Insgesamt waren 82.000 Personen in allen drei Dimensionen benachteiligt.

Ziel bis 2020: Reduktion um 235.000 Personen

Die Europa-2020-Strategie formuliert als Kernziel im Sozialbereich, die Zahl der von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffenen oder bedrohten Menschen bis zum Jahr 2020 um mindestens 20 Millionen Personen EU-weit zu senken. Für Österreich bedeutet das anteilig eine angestrebte Reduktion um 235.000 Personen. Mit einem Rückgang der Zahl der Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdeten von 1.699.000 (20,6 Prozent) im Jahr 2008 auf 1.512.000 (17,5 Prozent) im Jahr 2018 wurde bisher eine Reduktion um 187.000 Personen erreicht.

Die aktuelle Auswertung zeigt, dass Langzeitarbeitslose am stärksten mit dem Armutsrisiko konfrontiert sind. Über drei Viertel von ihnen waren von Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung betroffen. Auch Ausländer sind besonders gefährdet. Knapp ein Drittel der Personen mit EU-28- oder EFTA-Staatsbürgerschaft war mit einer Armutslage konfrontiert (31 Prozent), bei Personen mit anderer ausländischer Staatsbürgerschaft war das Risiko mit 46 Prozent noch höher. Im Vergleich dazu haben Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft ein Armuts- oder Ausgrenzungsrisiko von 14 Prozent.

Grafik zur Armut
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Statistik Austria

Höherer Bildungsabschluss, geringere Armutsgefährdung

Ein wesentlicher Faktor ist Bildung. Verfügt eine Person über einen Pflichtschulabschluss, beträgt das Risiko der Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung 27 Prozent. Personen mit einem mittleren Schul- oder Lehrabschluss sind hingegen unter den Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdeten geringer vertreten als im Durchschnitt. Hier beträgt das Risiko, von Armut und Ausgrenzung betroffen zu sein, 14 Prozent. Auch bei einem Hochschulabschluss liegt der Wert bei 14 Prozent, etwas höher ist dieser bei der Matura (16 Prozent).

Grafik zur Armut
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Statstik Austria, EU-Silc 2018

Auch eingeschränkte Erwerbs- bzw. Betreuungsmöglichkeiten schlagen sich nieder. In Einelternhaushalten Lebende sind zu 44 Prozent armuts- oder ausgrenzungsgefährdet, Familien mit mindestens drei Kindern zu 28 Prozent. Auch Alleinlebende, vor allem Frauen, sind öfter betroffen: 32 Prozent der alleinlebenden Frauen und 28 Prozent der Männer, die nicht hauptsächlich von einer Pension leben, sind armuts- oder ausgrenzungsgefährdet.

Unter den Pensionsbeziehenden sind alleinlebende Frauen mit 29 Prozent ebenfalls überdurchschnittlich betroffen. Alleinlebende Männer mit Pension liegen mit einem Armuts- oder Ausgrenzungsrisiko von 17 Prozent hingegen im Durchschnitt.

Unter 20-Jährige sparen bei Ernährung

Ein Viertel (25 Prozent bzw. 372.000 Personen) aller Armuts- und Ausgrenzungsgefährdeten waren im Jahr 2018 Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren. Das Risiko sozialer Ausgrenzung lag für diese Altersgruppe mit 21 Prozent über dem der Gesamtbevölkerung. Für 14 Prozent der unter 20-Jährigen aus ausgrenzungsgefährdeten Haushalten ist Sparen bei der Ernährung Teil ihrer Lebensrealität.

Grafik zur Armut
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: Statstik Austria, EU-Silc 2004-2018

Fünf Prozent leben in aus Kostengründen unzureichend beheizten Wohnungen und fast jeder dritte junge Mensch (31 Prozent) in einer überbelegten Wohnung. Für Kinder mit drohender Armutsgefahr ist es häufiger nicht finanzierbar, Freunde zum Spielen oder Essen einzuladen (sieben gegenüber ein Prozent in Haushalten ohne Ausgrenzungsgefährdung). Auch Freizeitaktivitäten wie Sport- und Musikkurse, die mit Kosten verbunden sind, sowie kostenpflichtige Schulausflüge können seltener genutzt werden.

Hartinger-Klein kündigt weitere Maßnahmen an

Nach der Veröffentlichung der Zahlen reagierte Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ). Österreich sei „auf einem guten Weg“, sagte sie, kündigte aber gleichzeitig in einer Aussendung weitere Maßnahmen zur Armutsbekämpfung an. Mit dem Beschluss der neuen Sozialhilfe „gehen wir in die richtige Richtung“, so Hartinger-Klein. „Die Sozialhilfe wird stärker mit Anreizen zur Erwerbsaufnahme verknüpft sein. Mit einem höheren Wiedereinsteigerfreibetrag setzen wir neue Impulse. Denn Arbeit ist der beste Weg aus der Armut.“

Gleichzeitig verwies die Ministerin auf weitere gesetzt Maßnahmen wie die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge, den Familienbonus und die „Schulstartpakete“. Gleichzeitig kündigte sie weitere Maßnahmen an: Die Steuerreform werde eine Senkung der Krankenversicherungsbeiträge für Menschen mit geringem Einkommen bringen. Im Gesundheitswesen werde ein flächendeckender Ausbau der „Frühen Hilfen“ – ein Angebot für Schwangere und Jungfamilien in belastenden Lebenssituationen – angestrebt.

Im Bildungsbereich würden das Kinderbetreuungsangebot und das Angebot von ganztägigen Schulformen ausgebaut. Zu den Zahlen der Statistik Austria hielt die Armutskonferenz fest, dass es effektive Hilfen insbesondere bei Kinderarmut, älteren Arbeitslosen, Altersarmut und chronischen Erkrankungen brauche. Der Regierung hielt die Armutskonferenz vor, mit der Sozialhilfe, die die Mindestsicherung künftig ersetzen wird, die Armutssituation noch zu verschärfen.