Der Nationalrat
ORF.at/Roland Winkler
Statt Mindestsicherung

Sozialhilfe im Nationalrat beschlossen

Die Sozialhilfe ersetzt die Mindestsicherung. Das wurde am Donnerstag mit Stimmen von ÖVP und FPÖ beschlossen. SPÖ, NEOS und Jetzt stimmten geschlossen gegen das Gesetz. Dem Beschluss ging eine hitzige Debatte im Parlament voraus, das Gesetz sorgte abermals für verhärtete Fronten zwischen Koalitionsparteien und Opposition.

Was am Donnerstag beschlossen wurde, ist ein Grundsatzgesetz, dem die Länder Ausführungsgesetze folgen lassen müssen. Die Vorgaben sind verbindlich, Spielraum haben die Länder im Wesentlichen bei den Wohnkosten und bei einem Bonus für Alleinerziehende – auch wenn Wien mehrmals ankündigte, das Gesetz nicht umsetzen zu wollen. Das verabschiedete Sozialhilfe-Grundsatzgesetz sieht eine Maximalsumme in der Höhe des Netto-Ausgleichszulagenrichtsatzes vor, das sind 885,47 Euro für 2019.

Für Paare sind es zweimal 70 Prozent des Richtsatzes, das sind derzeit 1.239,66 Euro. 300 Euro werden davon jedoch abgezogen, und zwar dann, wenn die Deutschkenntnisse unter dem Niveau B1 oder Englischkenntnisse unter C1 vorliegen. Die Länder können einen Wohnzuschlag von bis zu 30 Prozent zuschießen. Für Behinderte ist zwingend ein Bonus von 18 Prozent vorgesehen, Alleinerziehenden kann ein Plus von zwölf Prozent gewährt werden. Heizkostenzuschüsse werden ebenso wie Spenden nicht gegengerechnet, eine Gewährung führt also zu keiner Kürzung der Sozialhilfe.

Kontroversielle Debatte im Nationalrat

Vor dem Beschluss führte die Reform zu einer kontroversiellen Debatte im Nationalrat. Während ÖVP-Klubobmann August Wöginger von einem „Meilenstein der Sozialpolitik“ sprach, sah SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner die Regierung 70.000 Kinder in ein chancenloses Leben schicken. In ihrer Rede attestierte sie der Regierung, dass ihr der menschliche Anstand fehle: „Es ist eine Bundesregierung, die Menschen und Bundesländer gegeneinander ausspielt“, so Rendi-Wagner in Anspielung darauf, dass die Länder einander bei der neuen Sozialhilfe unterbieten können.

Sie verstehe die Mindestsicherung als Sprungbrett in den Arbeitsmarkt, meinte die SPÖ-Chefin. Was vorgelegt werde, sei jedoch ein Sprungbrett in die Armut. Besonders stieß sich Rendi-Wagner an der Kürzung des Betrags für Kinder ab dem dritten Kind: „Sie verfrachten 70.000 Kinder in ein chancenloses Leben. Sie vererben Armut“, so die SPÖ-Chefin.

Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) schilderte hingegen die neue Sozialhilfe als Modell, das mehr Chancen, mehr Fairness und mehr Gerechtigkeit bringe. Die Regierung bekenne sich zum Sozialstaat, der dort Hilfe leiste, wo sie nötig sei. Besonders hob sie da den Fokus auf Alleinerziehende und Behinderte hervor, ebenso den Abänderungsantrag, wonach Zuschüsse für Heizkosten doch nicht gegengerechnet werden. Den von der SPÖ seit Tagen erhobenen Vergleich mit Deutschland wies Hartinger-Klein zurück: „Ich habe immer gesagt, mit mir Hartz IV nicht.“

Hartinger-Klein verteidigt Sozialhilfe

Sozialmininisterin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) hat sich am Donnerstag gegen die Kritik der Opposition an der Mindestsicherungsreform gewehrt. Die Sozialhilfe sei ein Modell für mehr Gerechtigkeit, so Hartinger-Klein.

NEOS: Sogar Wetterbericht „auf Ausländer framen“

FPÖ-Sozialsprecherin Dagmar Belakowitsch bezeichnete die Reform auch als eine Reaktion auf den steigenden Anteil an Asylberechtigten unter Mindestsicherungsbeziehern und -bezieherinnen. Hier werde „endlich“ ein Riegel gegen die weitere Zuwanderung ins Sozialsystem vorgelegt. Daran werde sich auch die Gemeinde Wien halten müssen, sprach Belakowtisch frühere Drohungen von Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) an, die Vorgaben des entsprechenden Rahmengesetzes in der Bundeshauptstadt nicht umzusetzen.

Von „schmutziger und schäbiger Politik“ und einem „Armutszeugnis“ sprach daraufhin NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker. Denn: „Dieses Regierung würde sogar den Wetterbericht auf Ausländer framen, wenn das ginge.“ Die Reform sei letztlich viel Lärm um nichts, die Mindestsicherung werde sogar teurer. Es gehe einzig darum, wieder das „Ausländerspielfeld“ zu betreten und Ressentiments zu bedienen. Was es seiner Ansicht nach brauchte, wäre eine Zusammenlegung von Notstandshilfe und Mindestsicherung mit einer auszahlenden Stelle.

Sozialhilfe neu für ÖVP „Meilenstein“

Ganz entrüstet gab sich daraufhin ÖVP-Klubchef und Sozialsprecher Wöginger, handle es sich doch um „ein Gesetz, das seines Zeichens (sic!) sucht“. Die Sozialhilfe sei ein „Meilenstein“, so Wöginger. Man bringe Verbesserungen für Behinderte und Alleinerziehende. Aber man könne jenen keine Unterstützung geben, die arbeiten können, aber nicht wollen. Dass Personen ohne entsprechenden Deutsch- (oder Englisch-)kenntnisse weniger Leistung bekommen, könne man so oder so sehen. Aber Deutsch sei schließlich die Grundvoraussetzung dafür, dass man auf dem Arbeitsmarkt integriert werden könne.

Grafik zur Mindestsicherung
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/Regierung

Jetzt-Sozialsprecherin Daniela Holzinger-Vogtenhuber sah in der Sozialhilfe neu völkerrechtliche Vorgaben ignoriert. Besonders stört sie, dass Kindern Zukunftschancen genommen würden. Auch fragte sie sich, warum der Bonus für Alleinerziehende für die Länder lediglich eine Kann-, aber keine Muss-Bestimmung (wie bei Behinderten) ist. Positiv ist für Holzinger immerhin, dass Spenden und Heizkosten letztlich doch nicht angerechnet werden. Bedauerlich sei aber, dass es dafür einen Aufschrei der Zivilgesellschaft gebraucht habe.

NEOS-Mandatar Loacker kritisierte Sozialhilfegesetz

NEOS-Mandatar Gerald Loacker hat den von der Regierung eingebrachten Gesetzesentwurf scharf kritisiert. „Dieses Regierung würde sogar den Wetterbericht auf Ausländer framen, wenn das ginge“, sagte er.

Kritik auch außerhalb des Parlaments

Auch außerhalb des Parlaments äußerten Vertreter und Vertreterinnen der Opposition, von Gewerkschaften und NGOs ihre Kritik und Befürchtungen. Vielfach wurde moniert, dass die Neuregelung zu mehr Armut führen und vor allem Kinder und Jugendliche treffen werde. „Dieses Gesetz befördert Armut, vor allem Kinderarmut. Bis zu 80 Prozent weniger gibt es dann für Kinder, bis zu 35 Prozent für alleinstehende Erwachsene“, kritisierte etwa der grüne Bundessprecher Werner Kogler. Die grüne Bundesrätin Ewa Dziedzic äußerte die Hoffnung, gemeinsam mit der SPÖ-Fraktion im Bundesrat eine Verfassungsklage gegen die Sozialhilfe neu einzubringen zu können.

Der Katholische Familienverband bekräftigte seine Befürchtung, dass Kinder und Jugendliche die Verlierer der neuen Sozialhilfe sein werden. Familienverband-Präsident Alfred Trendl bezeichnete die neue Regelung als „eine Armutsfalle für Mehrkindfamilien“. Sorgen um das Lohngefüge macht sich die Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp). „Die Regierung bringt mit der neuen Sozialhilfe im Auftrag der Wirtschaft die Löhne und Gehälter unter Druck. Sie spekuliert damit, dass Beschäftigte zu schlechteren Bedingungen arbeiten, wenn ihre Angst vor der Arbeitslosigkeit größer ist“, so Bundesvorsitzende Barbara Teiber.

Empört zeigte sich auch der Samariter-Bund: „Das ist reiner Populismus und hat mit nötigen Budgeteinsparungen nichts zu tun. Ganz im Gegenteil: Die Folgekosten werden noch unsere Kindeskinder tragen müssen.“ Bedenken in Sachen Datenschutz äußerten die Bürgerrechtsorganisationen epicenter.works und Forum Informationsfreiheit. Sie warnten vor dem „gläsernen Bürger“. So verlange etwa das neue Sozialhilfe-Statistikgesetz, Daten wie die Staatsangehörigkeit und den Geburtsort der leiblichen Eltern von Sozialhilfebeziehern zu sammeln und in die „Transparenzdatenbank“ einzuspeisen.