Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
AP/Michel Euler
„Gelbwesten“-Proteste

Macron will Steuern „deutlich“ senken

Infolge der Brandkatastrophe von Notre-Dame hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron seine Rede an die Nation Mitte April noch verschieben müssen – am Donnerstag war es im zweiten Anlauf so weit: In Reaktion auf die seit November laufenden Proteste der „Gelbwesten“ legte Macron seine Reformpläne vor – in geändertem Format.

Macron verzichtete auf eine TV-Ansprache und hielt eine äußerst ausführliche Pressekonferenz im Pariser Elysee-Palast ab. Bereits nach der Absage des letzten Termins waren erste Details zu den geplanten Maßnahmen zur Beruhigung der Lage publik geworden, etwa die Senkung der Einkommensteuer. Diese solle insbesondere für die Mittelschicht „deutlich“ ausfallen, wie er am Donnerstag erklärte.

Es gehe um Erleichterungen „für diejenigen, die arbeiten“, so der Präsident. Allerdings will er an seinen stockenden Reformen der Arbeitslosenversicherung festhalten. Der 41-Jährige deutete auch eine mögliche Rückkehr zur Vermögenssteuer an – die Maßnahme werde im kommenden Jahr überprüft, sagte er. Die Vermögenssteuer war mit dem Haushaltsgesetz 2018 abgeschafft worden, das hatte dem Ex-Investmentbanker den Ruf eingebracht, ein „Präsident der Reichen“ zu sein.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
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Statt einer TV-Rede hielt Macron eine ausführliche Pressekonferenz ab

Allein die geplante Steuersenkung werde mit rund fünf Milliarden Euro zu Buche schlagen, sagte Macron. Diese will er mit dem Ende von Steuervorteilen für Unternehmen und mit weniger Staatsausgaben gegenfinanzieren. Auch Mehrarbeit der Bürger sei nötig, das gesetzliche Pensionsantrittsalter – 62 Jahre in Frankreich – solle jedoch nicht angehoben werden.

Erleichterte Referenden in Aussicht gestellt

Auch wolle er Bezieher und Bezieherinnen niedriger Pensionen besserstellen, wie er sagte. Pensionistinnen und Pensionisten mit Bezügen unter 2.000 Euro sollen ab 2020 einen Teuerungsausgleich erhalten. Diese Maßnahme dürfte nach Medienberichten über eine Milliarde Euro kosten. Macron reagierte damit auf Kritik von Pensionisten an der Regierungspolitik. „Ich ziehe es vor, verantwortungsbewusst und unbeliebt zu sein, anstatt zu versuchen, auf eine Art und Weise zu verführen, die völlig kurzlebig wäre“, sagte Macron.

Als weitere Konsequenz aus den Protesten und der folgenden zweimonatigen Bürgerbefragung stellte Macron erleichterte Referenden in Aussicht. Bindende Referenden nach Schweizer Modell, wie sie die „Gelbwesten“ forderten, stellten jedoch „die repräsentative Demokratie infrage“.

Schließung der Elitehochschule ENA geplant

Zudem sprach sich Macron für die Schließung der berühmten Elitehochschule ENA aus. Er sagte, für eine Reform des öffentlichen Dienstes müsse „unter anderem die ENA abgeschafft“ werden. Mehrere Medien hatten erst kurz zuvor übereinstimmend berichtet, Macron sehe von der ENA-Schließung ab. Er will öffentliche Posten für breitere Bevölkerungsschichten öffnen.

Die Ecole Nationale d’Administration, die Macron selbst besucht hat, ist seit Jahrzehnten eine führende Institution in Frankreich, an der die Führungskräfte für Wirtschaft und Politik ausgebildet werden. Die „Gelbwesten“ und viele andere Bürger werfen der politischen Klasse Frankreichs vor, zu abgehoben zu sein.

In abgelegenen Landesteilen sollen bis zum Ende von Macrons Amtszeit 2022 hingegen keine Schulen oder Krankenhäuser geschlossen werden. Das war aus Kostengründen ursprünglich geplant.

„Hart, manchmal ungerecht“ gewirkt

An seinem „Reformkurs“ werde er grundsätzlich festhalten, so Macron: „Ich glaube, dass die Umwandlung unseres Landes nicht gestoppt werden darf.“ Dennoch bescheinigte Macron der Protestbewegung „gerechtfertigte Forderungen“. Im Land gebe es ein weit verbreitetes Gefühl von „Vernachlässigung“ und „Ungerechtigkeit“, sagte der Präsident. Stellenweise habe er selbst „hart, manchmal ungerecht“ gewirkt, räumte Macron ein. „Das bedauere ich.“

Im Hinblick auf die EU-Politik räumte Macron auch „Unstimmigkeiten“ mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ein. Beim Brexit und bei der Klimapolitik sei er mit Merkel nicht auf einer Linie, sagte der Staatschef. Auch bei der europäischen Handelspolitik gebe es Meinungsunterschiede. Macron sprach von „fruchtbaren Konfrontationen“, an deren Ende immer der Wille zu einem Kompromiss stehe.

Format ein Novum

Es war ein Novum, dass sich der Präsident bei Fragen nationaler Angelegenheiten in dieser Form von Journalisten befragen ließ. Die Zeitung „Le Parisien“ sprach von der „Stunde der Wahrheit“. Die Veranstaltung wurde von allen großen französischen TV- und Radiosendern übertragen, rund 300 Journalisten und Journalistinnen waren akkreditiert.

Ziel der Pressekonferenz sei es nicht, die Bürgerdebatte wie in den letzten Wochen mit Bürgern und Bürgermeistern zu wiederholen", schrieb „Le Parisien“ im Vorfeld. Während der Bürgerdebatte hatte Macron oft stundenlang in Turnhallen und Gemeindehallen mit Bürgermeistern, Schülern oder Verbandsvertretern diskutiert. Macron hatte diese „Nationale Debatte“ im Jänner als Reaktion auf die Proteste der „Gelbwesten“ gestartet.

Protest gegen soziale Schieflagen

Deren Protest richtet sich gegen die als zu niedrig empfundene Kaufkraft und gegen soziale Ungerechtigkeiten. Bei den Demos der Bewegung kam es immer wieder zu heftigen Ausschreitungen – vor allem in Frankreichs Hauptstadt Paris. Ziel der „Nationalen Debatte“ war es, den Sorgen der Bürgerinnen und Bürger Gehör zu verleihen.

Demonstration in Frankreich
APA/AFP/Thomas Samson
„Macron, Dieb, gib mir meine Pension zurück“, forderte dieser Mann bei Demos gegen die Regierung

Der sozialliberale Staatschef, der vor knapp zwei Jahren quasi aus dem Nichts an die Macht gekommen war, reiste in die Regionen, um mit Ortschefs oder Gemeinderätinnen und Gemeinderäten zu debattieren. Menschen äußerten sich im Internet, bei Versammlungen oder in Beschwerdebüchern. Rund 1,5 Millionen Personen beteiligten sich nach offiziellen Angaben an der Debatte.

Druck von Straße und Konkurrenz

Zwar hatte die „Gelbwesten“-Bewegung in den vergangenen Wochen an Zulauf verloren – das könnte sich aber jederzeit wieder ändern. Auch steht Macron wenige Wochen vor der Europawahl im Mai unter Druck, denn die Partei seiner rechtspopulistischen Erzrivalin Marine Le Pen ist der Regierungspartei La Republique en Marche (LREM) in Umfragen dicht auf den Fersen.