Anapuma Kundoo: Volontariat Home für obdachlose Kinder, Pondicherry, Indien, 2010
Andres Herzog
Besser bauen

Architektur in Zeiten der Krise

Armut, Platzmangel, Umweltverschmutzung, extremes Wetter: Wie kann Architektur aussehen, die trotz oder während Krisen gebaut wird? Überflutungen standhalten, Raum nützen, Bestehendes reparieren, Bodenversiegelung vermeiden – das und mehr müssen neue Bauten können. Eine Ausstellung im Architekturzentrum Wien zeigt, wie das geht.

Wie hohe Bienenkörbe sehen die Klassenzimmer aus, die im Flüchtlingslager Saatari in Jordanien gebaut wurden. Das Lager ist hoffnungslos überfüllt; vier Fünftel der Menschen müssen außerhalb des Lagers wohnen, insgesamt um die 80.000 Menschen leben hier, die Angaben variieren. Für die Kinder, die im Syrien-Krieg ihr Zuhause verloren haben, gibt es nun seit Kurzem 100 Einraumschulen, gebaut aus rohen Lehmziegeln.

Gebrannt werden nicht die einzelnen Ziegel, sondern im fertigen Gebäude wird ein Feuer errichtet, das drei Tage lang brennt. Das Baumaterial ist ökologisch, preiswert, und die Gebäude können von örtlichen Bauunternehmen und Handwerkern errichtet werden. „100 Classrooms for Refugee Children“ heißt das Projekt. Es ist eines von 21 konkreten Beispielen, wie „Bauen für einen Planeten in der Krise“ aussehen kann. So lautet der Untertitel der Ausstellung „Critical Care“ im Architekturzentrum Wien.

Paulo Mendes da Rocha und MMBB Architekt*innen: SESC 24 Maio, São Paulo, Brasilien, 2017
Ana Mello
Planschen für alle: Ein ehemaliges Warenhaus mit Schwimmbecken auf dem Dach, das Gebäude ist öffentlich zugänglich

Veranstaltungshinweis

Die Ausstellung „Critical Care. Architektur für einen Planeten in der Krise“ ist bis 9. September täglich 10.00 bis 19.00 Uhr geöffnet. Am 1. Mai ist Tag der offenen Tür.

Häuserbauen als Sorgearbeit

Artensterben, Trinkwasserverschmutzung, übersäuerte Meere, Umweltgifte und der rapide Klimawandel – die Industrialisierung hat den Planeten stark beeinträchtigt. Was können Architektur und Urbanismus beitragen, um diese Schäden zu reparieren? Diese Frage stand am Beginn für die Kuratorinnen Angelika Fitz und Elke Krasny. „Der Planet ist massiv in der Krise, also sozusagen in der Notaufnahme“, sagte Fitz – und daher auch der Titel, „Critical Care“ bedeutet Intensivpflege. Es geht den Kuratorinnen aber nicht um Alarmismus, sondern um Lösungen, und die können von selbstorganisierten Aktivistinnen und Aktivisten genauso wie von Stadtverwaltungen angestoßen werden.

Ob das Projekte in Gegenden sind, wo große Armut herrscht und Baumaterialien billig und ohne großen technischen Aufwand zu verarbeiten sein müssen, oder um Bauten in Hochwassergebieten wie etwa in Bangladesch, wo es zu teuer ist, auf künstlichen Erhöhungen zu bauen, und die Gebäude Fluten standhalten können müssen: Im Zentrum steht immer der Gedanke, dass Architektur – entgegen dem üblichen Verständnis – viel mit Fürsorge zu tun hat. Nicht nur mit Produktions-, sondern auch mit Reproduktionsarbeit, also mit Versorgen und Erhalten von Bestehendem.

Reparieren statt neu bauen

Das Konzept der Ausstellung ist in Kapitel unterteilt, jedem sind mehrere Projekte zugeordnet: „Sorgetragen für Wasser, Grund und Boden“ etwa zeigt Bauten auf der ganzen Welt, die Wasserverschmutzung und Bodenversiegelung entgegenwirken. Bei „Sorgetragen für Reparatur“ werden existierende Gebäude neu genützt – ob ein vom Abriss bedrohter Pavillon in einem psychiatrischen Krankenhaus in Belgien, der zum Freiluftpark wird, oder ein Warenhaus im Zentrum von Sao Paulo zum Sozial- und Kulturzentrum.

Ein Beispiel der Ausstellung steht mitten in Wien: Die „Freie Mitte Nordbahnhof“, ein öffentlicher Arbeitsraum des Architekturzentrums Wien, den Fitz und Krasny kuratiert haben, war Ausgangspunkt für das Ausstellungskonzept. Hier, auf dem Gelände des ehemaligen Nordbahnhofs, soll die Brache inmitten der Stadt eben nicht komplett verbaut werden; in Zusammenarbeit mit Studierenden, internationalen Architekturteams und Wiener Expertinnen und Experten wurde erarbeitet, was dafür notwendig ist.

Ausstellungsansicht „Critical Care. Architektur für einen Planeten in der Krise“
Lisa Rastl
In der Ausstellung des Architekturzentrums Wien

Krisen und Lösungen sind hausgemacht

„Die multiplen Krisen sind natürlich menschengemacht, aber eine andere Art des Handelns ist möglich“, so Fitz. So vielfältig die Ursachen von Klimakatastrophe und Umweltverschmutzung sind, so unterschiedlich müssen auch die Lösungen aussehen. Fitz sieht hier beim Architekturzentrum auch den Anspruch, Bildungsarbeit zu leisten und zu verdeutlichen, wie eine lebenswerte Zukunft aussehen kann. Das Interesse dafür ist groß: Schon vorab hatten sich zahlreiche Schulen für Führungen und Begleitveranstaltungen angemeldet.

„Aktivismus in der Architektur bedeutet nicht nur einen Aktivismus, bei dem man am Freitag auf die Straße geht und sich den Schülerinnen anschließt“, sagte Krasny, „sondern dass man das tut, was Architektur kann, nämlich langfristig Zukunft zu bauen – und das gemeinsam mit jenen, die das Kapital und die Ressourcen, aber auch die Entscheidungsmacht mit einem teilen können.“