Rauch steigt nach einem Raketenangriff Israels im Gazastreifen auf
Reuters/Mohammed Salem
Israel – Gaza

Netanjahu ordnet Offensive an

Hunderte Raketenattacken und mehrere Tote auf beiden Seiten: Der Dauerkonflikt zwischen dem Gazastreifen und Israel hat sich am Sonntag gefährlich hochgeschaukelt. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu kündigte nun weitere Vergeltungsangriffe auf Ziele von Islamistengruppen sowie eine Truppenverstärkung an.

Er habe die Armee angewiesen, ihre „massiven Angriffe auf Terrorziele im Gazastreifen“ aufrechtzuerhalten, sagte Netanjahu am Sonntag zu Beginn einer Kabinettssitzung in Jerusalem. Überdies solle die Armee die Truppen rund um den Gazastreifen „mit Panzern sowie Truppen von Artillerie und Infanterie“ verstärken. Die Hamas trage ihm zufolge die Verantwortung für alle Angriffe aus dem Küstenstreifen und zahle bereits einen hohen Preis dafür.

Indes ist auch die Zahl der Todesopfer sowie jene der Verletzten weiter gestiegen. Militante Palästinenser feuerten bis zum Nachmittag zahlreiche Raketen auf israelische Ortschaften. Nach Angaben eines Krankenhauses wurden zwei Israelis bei den Angriffen getötet. Damit stieg die Zahl der israelischen Todesopfer am Sonntag auf drei. Zuvor war Polizeiangaben zufolge in der Nacht auch ein Israeli getötet worden.

Der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu
Reuters/Abir Sultan
Netanjahu ordnete „massive Angriffe“ im Gazastreifen an

Es sind die ersten zivilen israelischen Todesopfer durch Raketenbeschuss seit dem Gaza-Krieg 2014. In Israel wurden nach Angaben des Rettungsdienstes Magen David Adom zudem 83 Menschen verletzt, darunter eine 80-Jährige, die in Kirjat Gat durch Raketensplitter schwere Verletzungen erlitt.

Auch neun Palästinenser getötet

Die israelische Armee meldete, bis Sonntagvormittag seien 450 Geschoße vom Gazastreifen aus auf Israel abgefeuert worden. Das Militär reagierte nach eigenen Angaben mit rund 220 Vergeltungsangriffen auf das Palästinensergebiet. Nach Angaben des Gesundheitsministerium in Gaza wurden am Sonntag insgesamt elf Palästinenser getötet. Unter den Toten seien ein Kleinkind und eine schwangere Frau, hieß es. Hatte es zunächst geheißen, dass es sich dabei um Mutter und Tochter handelte, stellte sich inzwischen heraus, dass es sich um die Tante und ihre Nichte handelte.

Die israelische Armee wies eine Verantwortung für diese beiden Todesopfer am Sonntag zurück. Vielmehr seien fehlgeleitete Schüsse der radikalislamischen Hamas für die beiden Todesopfer verantwortlich, schrieb der Armeesprecher Ronen Manelis im Onlinedienst Twitter. „Die Propaganda der Terrororganisation“ laufe auf Hochtouren, fügte er hinzu.

Israelische Soldaten bei einem von Raketen aus dem Gazastreifen zerstörten Auto
APA/AFP/Jack Guez
Der Raketenbeschuss sorgte auf beiden Seite für Zerstörung

Eskalation eine Woche vor Song Contest

Die angespannte Lage zwischen Israelis und Palästinensern aus dem Gazastreifen hatte sich am Samstag wieder zugespitzt, nachdem es am Freitag bei Demonstrationen an der Grenze zu gewaltsamen Zusammenstößen gekommen war. Die Eskalation kommt zu einem heiklen Zeitpunkt: Sonntagabend beginnt der Fastenmonat Ramadan, nächste Woche feiert Israel seinen Unabhängigkeitstag – und in wenigen Tagen steigt in Tel Aviv der Eurovision Song Contest, zu dem Zehntausende Fans aus dem Ausland erwartet werden. Bisher blieb Tel Aviv von der jüngsten Runde der Gewalt verschont.

ORF-Korrespondent Adrowitzer (ORF) zur Lage im israelischen Raum

ORF-Korrespondent Roland Adrowitzer hat die Entwicklung in Israel und im Gazastreifen beobachtet und erklärt welche Auswirkungen sie auf den Song Contest in Tel Aviv haben kann.

Militante Palästinenserorganisationen drohten jedoch nach Medienberichten mit einer Ausweitung der Angriffe auch auf die Küstenmetropole. Der bewaffnete Arm der Islamistenorganisation Islamischer Dschihad in Palästina veröffentlichte ein Video, in dem militante Islamisten mit Angriffen auf zentrale Ziele in Israel, darunter den internationalen Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv, drohten.

„Sicherheit für EBU an erster Stelle“

Ein Sprecher der Europäischen Rundfunkunion (EBU), Veranstalterin des ESC, sagte am Samstag: „Sicherheit steht für die EBU immer an erster Stelle.“ Man arbeite mit der israelischen Rundfunkanstalt KAN und der Armee zusammen, „um die Sicherheit all jener zu gewährleisten, die mit uns in der Veranstaltungshalle Expo Tel Aviv zusammenarbeiten und sich uns anschließen“. Man verfolge die Lage aufmerksam, und die Proben gingen normal weiter, sagte Sprecher Jon Ola Sand.

Türkei kritisiert Israel scharf

Nach Angaben von Anrainerinnen und Anrainern wurden in Gaza zwei mehrstöckige Gebäude zerstört. Israelischen Angaben zufolge befanden sich in einem der Gebäude Büros des Militärgeheimdienstes und der Sicherheitsdienste der Hamas. Anrainer bestätigten, dass sich in einem der zerstörten Gebäude das Büro der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi befand. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan verurteilte bei Twitter „den Angriff Israels gegen das Büro der Agentur Anadolu in Gaza scharf“. Die seit Jahren schwierigen bilateralen Beziehungen zwischen Israel und der Türkei werden damit weiter belastet.

Die US-Regierung erklärte sich solidarisch mit Israel und sprach dem Verbündeten die „volle Unterstützung“ für dessen „Recht auf Selbstverteidigung gegen diese abscheulichen Attacken“ aus, wie Außenministeriumssprecherin Morgan Ortagus mitteilte. Vertreter Ägyptens und der UNO bemühten sich um eine Beruhigung der Lage, die EU forderte ein sofortiges Ende der Raketenangriffe aus dem Gazastreifen.