Israelische Sanitäter mit einer verletzten Frau
APA/AFP/Ahmad Gharabli
Vor Song Contest

Gefährliche Eskalation im Nahost-Konflikt

Rund eine Woche vor Beginn des Eurovision Song Contest (ESC) im israelischen Tel Aviv und kurz vor dem Start des islamischen Fastenmonats Ramadan am Montag ist am Wochenende die Auseinandersetzung zwischen Israel und Palästinensern eskaliert. In der Nacht verkündete die Terrororganisation Hamas, es sei ein Waffenstillstand vereinbart worden.

Das Abkommen sei seit Montagfrüh in Kraft. Eine Fernsehstation, die der in Gaza herrschenden Hamas gehört, bestätigte die Übereinkunft. Eine offizielle Bestätigung für die Waffenruhe gab es von israelischer Seite nicht, jedoch hob Israels Armee am Montag alle Einschränkungen für die israelische Bevölkerung im Grenzgebiet wieder auf. Man kehre zur Routine zurück, teilte das Militär mit.

Die Gewalt hatte zuvor auf palästinensischer Seite mindestens 22 Menschenleben gekostet. In Israel starben laut Behördenangaben vier Menschen – die ersten israelischen zivilen Todesopfer des Konflikts seit 2014. Nach israelischen Angaben wurden am Wochenende rund 650 Raketen aus dem Gazastreifen Richtung Israel abgefeuert. Einige seien abgefangen worden.

Zahlreiche Angriffe nach Raketenbeschuss

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kündigte daraufhin am Sonntag weitere „massive Angriffe gegen terroristische Elemente im Gazastreifen“ an. Sein Sicherheitskabinett hatte am frühen Sonntagabend nach fast fünf Stunden dauernden Beratungen entschieden, die Militäroffensive gegen militante Gruppen im Gazastreifen fortzusetzen. Unklar ist, ob diese nach der Vermittlung Ägyptens und Katars nun gestoppt oder ausgesetzt wird.

Schon am Wochenende reagierte Israel mit zahlreichen Angriffen auf den Raketenbeschuss. Panzer und Flugzeuge griffen Hunderte Ziele im Gazastreifen an – darunter einen Angriffstunnel der Islamistengruppe Islamischer Dschihad.

Menschen zwischen den Trümmern eines zerstörten Hauses in Gaza-Stadt
APA/AFP/Mahmud Hams
Ein von israelischen Angriffen zerstörtes Gebäude in Gaza

Hamas-Kommandeur getötet

Offenbar wurden auch zwei mehrstöckige Gebäude in Gaza zerstört. Laut israelischen Angaben sollen sich in einem der Gebäude Büros des Militärgeheimdiensts und der Sicherheitsdienste der Hamas befunden haben. In dem anderen zerstörten Gebäude befand sich nach Angaben von Anrainern das Büro der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan verurteilte „den Angriff Israels auf das Büro der Agentur Anadolu in Gaza scharf“.

Unter den Toten seien ein Kleinkind und eine schwangere Frau, hieß es vonseiten des palästinensischen Gesundheitsministeriums. Die israelische Armee wies eine Verantwortung für diese beiden Todesopfer am Sonntag zurück. Vielmehr seien fehlgeleitete Schüsse der radikalislamischen Hamas für die beiden Todesopfer verantwortlich, schrieb Armeesprecher Ronen Manelis auf Twitter. „Die Propaganda der Terrororganisation“ laufe auf Hochtouren, fügte er hinzu.

Bei einem der am Sonntag getöteten Palästinenser handelte es sich nach übereinstimmenden Angaben aus Gaza und Israel um einen 34-jährigen Kommandeur des bewaffneten Flügels der Hamas. Er soll nach israelischen Angaben dafür gesorgt haben, dass Geld aus dem Iran an die Hamas und den Islamischen Dschihad floss. Der Islamische Dschihad teilte mit, unter den Toten seien auch vier seiner Mitglieder. Die Gruppe bekannte sich zu einem Teil der Raketenangriffe auf Israel und erklärte, sie sei zu weiteren Angriffen bereit.

Hamas unter Druck

Begonnen hatte die erneute Gewalt bereits am Samstag, nachdem es am Freitag bei Demonstrationen an der Grenze gewaltsame Zusammenstöße gegeben hatte. Die Gruppe Islamischer Dschihad beschuldigte Israel, die von Ägypten vermittelten Vereinbarungen zu verschleppen. Ägypten ist bemüht, eine dauerhafte Waffenruhe zu vermitteln.

Palästinensische Demonstranten flüchten an der Grenze zu Israel vor Tränengasschwaden
APA/AFP/Mahmud Hams
Im Gazastreifen wächst der Unmut über die schlechte wirtschaftliche Lage

Die nicht zuletzt aufgrund der seit mehr als zehn Jahren anhaltenden israelisch-ägyptischen Blockade des Gazastreifens dramatische wirtschaftliche Situation der Menschen dort setzt die Hamas unter Druck. Bisher konnte sie keine Aufhebung der Blockade durchsetzen. Israel und Ägypten rechtfertigen die Blockade mit Sicherheitsbedenken.

Sonntagabend, während im Hintergrund die Vermittlungsbemühungen liefen, hatte sich Hamas-Chef Ismail Hanija zu einer neuen Waffenruhe mit Israel bereiterklärt. Eine neue Feuerpause sei möglich, wenn sich Israel einer Waffenruhe ebenfalls verpflichtet zeige. Zugleich forderte Hanija in der Stellungnahme die Aufhebung der Blockade des Gazastreifens. Sonst werde es weitere Konfrontationen geben.

Song Contest als Druckmittel

Die verstärkten Angriffe von palästinensischer Seite kommen zu einer sensiblen Zeit für Israel. Am Mittwoch ist der israelische Unabhängigkeitstag. Zudem ist Netanjahu nach der Wahl in Koalitionsverhandlungen – seine Verhandlungspartner könnten eine härtere Gangart gegen die Palästinenser fordern.

Besonders heikel: In wenigen Tagen findet in Tel Aviv der Song Contest statt. Zunächst blieb die Stadt von der jüngsten Runde der Gewalt verschont. Militante Palästinenserorganisationen drohten jedoch nach Medienberichten mit einer Ausweitung der Angriffe auch auf die Küstenmetropole. „Sicherheit steht für die Europäische Rundfunkunion (EBU) immer an erster Stelle“, sagte ein Sprecher der EBU, Veranstalterin des Song Contest.

ORF-Korrespondent Adrowitzer (ORF) zur Lage im israelischen Raum

ORF-Korrespondent Roland Adrowitzer hat die Entwicklung in Israel und im Gazastreifen beobachtet und erklärt, welche Auswirkungen sie auf den Song Contest in Tel Aviv haben kann.

Man arbeite mit der israelischen Rundfunkanstalt Kan und der Armee zusammen, „um die Sicherheit all jener zu gewährleisten, die mit uns in der Veranstaltungshalle Expo Tel Aviv zusammenarbeiten und sich uns anschließen“. Die Proben gingen normal weiter. Ungestört soll der Song Contest aber nicht verlaufen, wenn es nach der Hamas geht: „Die Eurovision kann nicht in Tel Aviv stattfinden, wenn es in Gaza keine Erleichterungen gibt“, sagte ein namentlich nicht genannter Repräsentant gegenüber der israelischen Zeitung „Haaretz“. „Es kann nicht sein, dass sie singen und Spaß haben, während wir leiden.“

Man werde verhindern, dass der Song Contest in Israel ein Erfolg wird, sagte auch ein Sprecher des Islamischen Dschihad am Samstag. Hamas-Führer Mahmud al-Sahar sagte am Sonntag vor Journalisten in Gaza: „Wir werden die Angriffe nicht stoppen, die Gleichung Ruhe im Gegenzug für Ruhe gilt nicht mehr.“

Warnung vor „Konflikt ohne Ende“

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres verurteilte die auf Israel gefeuerten Raketen und rief alle Parteien zu Zurückhaltung auf. Die Europäische Union rief die Palästinenser am Sonntag erneut auf, den Raketenbeschuss auf Israel einzustellen. Ansonsten drohe ein „Konflikt ohne Ende“, warnte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini.

Die US-Regierung stellte sich angesichts der Eskalation des Konflikts hinter Israel. „Wir stehen auf der Seite Israels und unterstützen sein Recht auf Selbstverteidigung gegen diese abscheulichen Attacken“, sagte eine Sprecherin des US-Außenministeriums. Vertreter Ägyptens und der UNO bemühten sich um eine Beruhigung der Lage.

Bereits am Samstag hatte sich auch Österreich auf die Seite Israels gestellt. Regierungssprecher Peter Launsky-Tieffenthal verurteilte die Angriffe aus Gaza und äußerte volle Unterstützung für Israels Recht, sich selbst zu verteidigen. „Österreich steht fest hinter Israel, weil die Sicherheit des Landes und seiner Bevölkerung zur Staatsräson Österreichs zählt.“