Panzer der israelischen Armee
Reuters/Ronen Zvulun
Gaza vs. Israel

Waffenruhe kurz vor Song Contest

Die jüngste Eskalation der Gewalt zwischen den radikalislamischen Gruppen im Gazastreifen und Israel dürfte vorerst beendet sein: Die im Gazastreifen regierende Hamas verkündete, eine Waffenruhe sei vereinbart worden. Israel bestätigte das bisher nicht, allerdings wurden alle Beschränkungen für die Zivilbevölkerung Montagfrüh aufgehoben.

Die Waffenruhe trat laut Hamas, die von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft wird, um 4.30 Uhr in Kraft. Die Hamas betonte, die unter Vermittlung Ägyptens und Katars zustande gekommene Vereinbarung verpflichte Israel, früher vereinbarte Schritte zur Erleichterung der seit Jahren über den Gazastreifen verhängten Sanktionen binnen einer Woche einzuhalten. Welche Maßnahmen damit genau gemeint sind, ist unklar. Vermutlich aber gehören die Wiederaufnahme der Treibstofflieferungen, die Überweisung von Geld aus Katar und die Ausweitung der zuletzt stark eingeschränkten Fischereizone im Mittelmeer dazu. Umgekehrt verpflichtete sich die Hamas – laut israelischen Radioberichten – nicht dazu, die wöchentlichen, oft gewalttätigen Proteste am Grenzzaun zu stoppen.

Die jüngste Eskalation, die am Freitag begann, kam zu einem besonders heiklen Zeitpunkt: Sonntagabend begann der islamische Fastenmonat Ramadan, Dienstagabend beginnt der israelische Unabhängigkeitstag – und nächste Woche startet der Eurovision Song Contest in Tel Aviv, zu dem Zehntausende Fans aus dem Ausland erwartet werden.

Israels Armee hob Montagfrüh alle Beschränkungen auf – viele israelische Städte und Gemeinden in relativer Nähe des Gazastreifens wollen laut israelischen Radioberichten am Montag vorerst trotzdem nicht zur Routine zurückkehren. So bleiben etwa in Aschkelon, das etwa 20 Kilometer von Gaza-Stadt entfernt ist, die Schulen geschlossen. Man traue der Ruhe nicht, hieß es.

Israelische Panzer
Reuters/Ronen Zvulun
Israels Armee hatte sich auf alle Eventualitäten vorbereitet

Erste zivile Todesopfer in Israel seit 2014

Die Gewalt hatte zuvor auf palästinensischer Seite mindestens 22 Menschenleben gekostet. In Israel starben laut Behördenangaben vier Menschen – die ersten israelischen zivilen Todesopfer des Konflikts seit 2014. Nach israelischen Angaben wurden am Wochenende rund 650 Raketen aus dem Gazastreifen Richtung Israel abgefeuert. Einige seien abgefangen worden. Eines der Todesopfer ist ein 21-jähriger Mann, der im Hof eines Wohngebäudes in Aschdod von Raketensplittern getroffen wurde.

Zahlreiche Angriffe nach Raketenbeschuss

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kündigte daraufhin am Sonntag weitere „massive Angriffe gegen terroristische Elemente im Gazastreifen“ an. Sein Sicherheitskabinett hatte am frühen Sonntagabend nach fast fünf Stunden dauernden Beratungen entschieden, die Militäroffensive gegen militante Gruppen im Gazastreifen fortzusetzen. Unklar ist, ob diese nach der Vermittlung Ägyptens und Katars nun abgesagt oder ausgesetzt wird.

Menschen zwischen den Trümmern eines zerstörten Hauses in Gaza-Stadt
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Ein von israelischen Angriffen zerstörtes Gebäude in Gaza

Hamas-Kommandeur getötet

Bei den isarelischen Angriffen wurden auch zwei mehrstöckige Gebäude in Gaza zerstört. Laut israelischen Angaben sollen sich in einem der Gebäude Büros des Militärgeheimdiensts und der Sicherheitsdienste der Hamas befunden haben. In dem anderen zerstörten Gebäude befand sich nach Angaben von Anrainern das Büro der staatlichen türkischen Nachrichtenagentur Anadolu. Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan verurteilte „den Angriff Israels auf das Büro der Agentur Anadolu in Gaza scharf“.

Unter den Toten seien ein Kleinkind und eine schwangere Frau, hieß es vonseiten des palästinensischen Gesundheitsministeriums. Die israelische Armee wies eine Verantwortung für diese beiden Todesopfer am Sonntag zurück. Vielmehr seien fehlgeleitete Schüsse der radikalislamischen Hamas für die beiden Todesopfer verantwortlich, schrieb Armeesprecher Ronen Manelis auf Twitter. „Die Propaganda der Terrororganisation“ laufe auf Hochtouren, fügte er hinzu.

Bei einem der am Sonntag getöteten Palästinenser handelte es sich nach übereinstimmenden Angaben aus Gaza und Israel um einen 34-jährigen Kommandeur des bewaffneten Flügels der Hamas. Er soll nach israelischen Angaben dafür gesorgt haben, dass Geld aus dem Iran an die Hamas und den Islamischen Dschihad floss. Der Islamische Dschihad teilte mit, unter den Toten seien auch vier seiner Mitglieder. Die Gruppe bekannte sich zu einem Teil der Raketenangriffe auf Israel und erklärte, sie sei zu weiteren Angriffen bereit.

Hamas unter Druck

Eskaliert war die Situation am Samstag, nachdem es am Freitag bei Demonstrationen an der Grenze gewaltsame Zusammenstöße gegeben hatte. Ein palästinensischer Scharfschütze hatte einen israelischen Soldaten verletzt. Israels Armee tötete daraufhin einen Hamas-Kämpfer. In der Folge schoss die Hamas Hunderte Raketen auf Israel ab – Israel antwortete mit Luftangriffen und Panzerbeschuss.

Palästinensische Demonstranten flüchten an der Grenze zu Israel vor Tränengasschwaden
APA/AFP/Mahmud Hams
Im Gazastreifen wächst der Unmut über die schlechte wirtschaftliche Lage

Die nicht zuletzt aufgrund der seit mehr als zehn Jahren anhaltenden israelisch-ägyptischen Blockade des Gazastreifens dramatische wirtschaftliche Situation der Menschen dort setzt die Hamas unter Druck. Bisher konnte sie keine Aufhebung der Blockade durchsetzen. Israel und Ägypten begründen diese mit Sicherheitsbedenken.

Song Contest als Druckmittel

Ob die vereinbarte Waffenruhe länger hält, ist offen. Auch wenn Israels Regierung das offiziell nicht einräumt, dürfte das bevorstehende Großereignis Song Contest einer der Gründe für die Zustimmung zu einer schnellen Beruhigung sein. Tel Aviv war von den Raketenangriffen am Wochenende verschont geblieben.

Militante Palästinenserorganisationen hatten – vor der Einigung auf die Waffenruhe – jedoch nach Medienberichten mit einer Ausweitung der Angriffe auch auf die Küstenmetropole gedroht: „Die Eurovision kann nicht in Tel Aviv stattfinden, wenn es in Gaza keine Erleichterungen gibt“, sagte ein namentlich nicht genannter Hamas-Repräsentant gegenüber der israelischen Zeitung „Haaretz“. „Es kann nicht sein, dass sie singen und Spaß haben, während wir leiden.“ Man werde verhindern, dass der Song Contest in Israel ein Erfolg wird, sagte auch ein Sprecher des Islamischen Dschihad am Samstag.

ORF-Korrespondent Adrowitzer (ORF) zur Lage im israelischen Raum

ORF-Korrespondent Roland Adrowitzer hat die Entwicklung in Israel und im Gazastreifen beobachtet und erklärt, welche Auswirkungen sie auf den Song Contest in Tel Aviv haben kann.

„Sicherheit steht für die Europäische Rundfunkunion (EBU) immer an erster Stelle“, sagte ein Sprecher der EBU, Veranstalterin des Song Contest. Man arbeite mit der israelischen Rundfunkanstalt Kan und der Armee zusammen, „um die Sicherheit all jener zu gewährleisten, die mit uns in der Veranstaltungshalle Expo Tel Aviv zusammenarbeiten und sich uns anschließen“. Die Proben gingen normal weiter.

Warnung vor „Konflikt ohne Ende“

UNO-Generalsekretär Antonio Guterres verurteilte die auf Israel gefeuerten Raketen und rief alle Parteien zu Zurückhaltung auf. Die Europäische Union rief die Palästinenser am Sonntag erneut auf, den Raketenbeschuss auf Israel einzustellen. Ansonsten drohe ein „Konflikt ohne Ende“, warnte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini.

Die US-Regierung stellte sich angesichts der Eskalation des Konflikts hinter Israel. Bereits am Samstag hatte sich auch Österreich auf die Seite Israels gestellt. Regierungssprecher Peter Launsky-Tieffenthal verurteilte die Angriffe aus Gaza und äußerte volle Unterstützung für Israels Recht, sich selbst zu verteidigen.