Hyperreality Festival
Hyperreality, BbyMutha, 2019
Hyperreality

Utopia liegt im Wienerwald

Zwei Jahre lang hat das Festival Hyperreality als Teil der Wiener Festwochen ein Clubkultur-Programm mit internationaler Strahlkraft geboten. Infolge des letztjährigen Intendantenwechsels war jedoch Schluss mit elektronischen Beats. Jetzt kehrt das Festival als eigenständige Veranstaltung mit geschärftem Profil zurück. Der Vorliebe für bemerkenswerte Austragungsorte bleibt es treu.

Die diesjährige Ausgabe von Hyperreality wird ab dem 17. Mai an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden auf der Wiener Sophienalpe im Wienerwald stattfinden. Als Veranstaltungsort dienen ungenutzte Flächen des dortigen Hotelgebäudes: Bespielt wird der ehemalige Veranstaltungssaal des Jahrhundertwendebaus und der trockengelegte Pool. Geboten wird ein Musikprogramm mit starken Kontrasten quer durch die Spielarten der elektronischen Musik.

Das Abgründige, Schattseitige und Randständige in Form von Avantgarde und Experiment findet ebenso Gehör, wie das Festival auch zugängliche Seiten zeigt. Mit dieser inhaltlichen Durchmischung ist Hyperreality von Beginn an international auf große Resonanz getroffen. Der „Guardian“ reihte Hyperreality im Jahr 2017 unter die fünf besten experimentellen Musikfestivals Europas. Für die Strahlkraft des Festivals haben auch Veranstaltungsorte wie Schloss Neugebäude in Wien Simmering und eine ehemalige Sargfabrik im 23. Wiener Gemeindebezirk gesorgt. Nach zwei Ausgaben war jedoch vorerst Schluss.

Hyperreality Festival
Serena Jara, QuayDash, 2019
Transgender-Künstlerin Quay Dash: Kreuzzug gegen Bigotterie

Entscheidung der neuen Intendanz

Infolge des vorzeitigen Abgangs von Festwochen-Intendant Tomas Zierhofer-Kin, der Hyperreality ins Leben gerufen hatte, war unter der neuen Intendanz von Christophe Slagmuylder Ende letzten Sommers das Festival aus dem Programm genommen worden. Marlene Engel, die das Festival für die Festwochen zwei Jahr lang kuratiert hat, im Gespräch mit ORF.at: „Wir waren von der Entscheidung insofern überrascht, als Hyperreality zu den wenigen neuen Festwochen-Formaten gezählt hat, das erfolgreich neues Publikum gebracht hat.“

Fortsetzung ohne die Festwochen

Auf die Bekanntgabe der Entscheidung folgte jedoch eine pragmatische Ansage in Form der Ankündigung, das Festival abseits der Festwochen fortzuführen. Ähnliches ohne die Budgets der Festwochen auf die Beine stellen zu wollen, wurde als sportliches Vorhaben gewertet. Gelungen ist die Umsetzung mit Hilfe von Musikfördermitteln der Kulturabteilung der Stadt Wien. Engel: „Wir machen das Festival heuer mit einem Bruchteil des Budgets, das wir bei den Festwochen hatten.“

Hyperreality Festival
Hyperreality, Precious, 2019
Auch Precious tritt heuer erstmals beim Hyperreality auf

Transformiertes Selbstverständnis

Auf internationale Genrestars wie den venezolanischen Elektronikmusiker und DJ Arca, der im vergangenen Jahr bei Hyperreality aufgetreten ist, wird daher notgedrungen verzichtet. „Wir wollen auch weniger eine Schnittstelle zum Pop sein“, beschreibt Engel die Transformation des inhaltlichen Selbstverständnisses. Dennoch besticht die heurige Austragung mit einem bemerkenswert vielschichtigen Line-up, das einen globalen Blick auf zeitgenössische elektronische Musik wirft – von kunstvollen Geräuschen bis zu tanzbaren Beats.

Veranstaltungshinweis

Hyperreality findet auf der Wiener Sophienalpe von 17. bis 18. Mai und von 24. bis 25. Mai 2019 jeweils ab 22.00 Uhr statt.

Von Chile bis Schanghai

Künstlerinnen und Künstler wie der aus Japan stammende Multiinstrumentalist Jigga, die exzentrische US-Rapperin BbyMutha, die iranische, in Wien lebende Komponistin Rojin Sharafi, Projekte von Chile bis Großbritannien und von Schanghai bis nach Deutschland werden an den zwei Wochenenden auf der Sophienalpe zu hören sein. Auch publikumswirksame Namen wie die russische Minimal-Techno- und Deep-House-Größe Nina Kraviz finden sich im Line-up. Ein knappes Drittel der rund 60 auftretenden Acts stammt aus Österreich.

Zudem werden vier vom Festival vergebene Auftragswerke uraufgeführt. Das Berliner Label PAN Records und das Wiener Label Amen Records werden ebenso Showcases präsentieren wie die New Yorker Plattform Initiative Discwoman, die dafür mit der Wiener Veranstaltungsreihe Common Contact kooperiert. Das Festival versteht sich auch als Instrument der Vernetzung. Und es sucht die deutliche Abgrenzung zu den etablierten Gepflogenheiten im weiten Bereich der Clubkultur.

Hyperreality Festival
Hessam Samavatian, Rojin Sharafi, 2019
Die iranische Komponistin und Musikerin Rojin Sharafi lebt seit dem Teenager-Alter in Wien

Eine gesellschaftliche Utopie

Statt Plattform für nächtlichen Hedonismus und selbstgefälliges Partygebaren zu sein, will Hyperreality „ein Fenster in ein diverses musikalisches und kulturelles Hier und Jetzt bieten“ und damit, so Engel, „Widerstand gegen die Homogenisierung des Kulturbegriffs leisten“. Das Zeichnen einer gewissen gesellschaftlichen Utopie ist zentraler inhaltlicher Kern des Festivals.

„Jetzt neu: 30 Prozent Männer“

Dass das Festival die Routinen der Clubkultur überwinden will, demonstriert insbesondere das Geschlechterverhältnis unter den Künstlerinnen und Künstlern. Hyperreality wirbt mit den Worten: „Jetzt neu: 30 Prozent Männer“. Und der Clubkulturreigen sorgt auch für Sichtbarkeit von Musikerinnen und Musikern, die sich als nicht-binär, inter oder trans verstehen. Den Frauenanteil auf gute zwei Drittel zu bringen, habe laut Engel „keine wahnsinnig große Anstrengung verursacht“.