Szene aus dem Film „Nur eine Frau“
Filmladen/Mathias Bothor
„Nur eine Frau“

Die Perversion eines „Ehrenmordes“

In Berlin ist eine Autobahnbrücke nach ihr benannt, Frauenrechtsorganisationen veranstalten ein alljährliches Gedenken. Trotzdem ist Hatun Aynur Sürücü in der Öffentlichkeit kaum noch ein Begriff, 14 Jahre nach ihrer Ermordung durch ihren kleinen Bruder. Als „Ehrenmord“ wurde das Verbrechen monatelang durch die Medien gereicht. „Nur eine Frau“ ist die Verfilmung von Aynurs Geschichte.

„Das Bündel da unter dem Leichentuch, das bin ich.“ Die Geschichte der jungen Berlinerin Hatun Aynur Sürücü hat dramatisch geendet. Das wissen alle, die sich noch erinnern an die Berichterstattung vor 14 Jahren: Am 7. Februar wurde die 23-Jährige von ihrem um fünf Jahre jüngeren Bruder an einer Bushaltestelle in Berlin-Tempelhof erschossen. Im Film „Nur eine Frau“, wo sie von Almila Bagriacik gespielt wird, sagt sie: „Ich war ein Ehrenmord. Der erste, der so richtig fett Presse hatte.“

„Nur eine Frau“, produziert von der deutschen Talkmasterin Sandra Maischberger, tut keinen Moment lang so, als würde es ein Happy End für Aynur geben, wie die junge Frau liebevoll genannt wurde. Stattdessen gehen Regisseurin Sherry Hormann und ihr Drehbuchautor Florian Oeller den umgekehrten Weg, zeichnen nach, wie es so weit kommen konnte, rekonstruieren die Geschichte einer jungen Berlinerin, deren konservative türkisch-kurdische Familie ihre Lebenslust nicht akzeptieren konnte.

Szene aus dem Film „Nur eine Frau“
Filmladen/Mathias Bothor
Die Hochzeit hatte sich Aynur (Almila Bagriacik) nicht ausgesucht

Das Gegenteil von Ehre

Parallel demontieren sie den Begriff „Ehrenmord“, Kürzel für eine Form der Blutrache, deren Existenz von der deutschen Öffentlichkeit mit besorgtem Achselzucken zur Kenntnis genommen wird, die diffus mit kulturellen Unterschieden gerechtfertigt wird, und der vor allem junge Frauen zum Opfer fallen. Das deutsche Bundeskriminalamt hat die Merkmale eines solchen Mordes in zynisch wirkenden Worten definiert, Aynur selbst kommentiert die sechs Merkmale sarkastisch – darunter fällt etwa die Ablehnung eines durch die Familie ausgewählten Ehemannes. Aynur war zur Heirat in der Türkei gezwungen worden, der Mann hatte sie nach der Geburt des kleinen Sohnes regelmäßig verprügelt.

Nach langen Monaten war sie wieder zurück nach Berlin geflüchtet, hatte sich in den vermeintlich rettenden Schoß ihrer Familie zurückgezogen, doch als eine, die den Mann verlassen hat, war sie daheim nicht mehr willkommen. Und als sie sich später gegen ihre Eltern durchsetzte, sich eine Wohnung suchte, eine Ausbildung zur Elektrotechnikerin machte, parallel für ihren Sohn gut sorgte, sich auch noch in einen Deutschen verliebte – da waren ihre geliebten Brüder längst zu ihren Feinden geworden.

Waris, Natascha, Aynur

Es ist bereits das dritte Mal, dass sich Regisseurin Sherry Hormann eines besonders brutalen Frauenschicksals annimmt. Mit „Die Wüstenblume“ verfilmte sie 2009 die Biografie des somalischen Supermodels Waris Dirie, die als Betroffene zur bekanntesten Aktivistin gegen weibliche Genitalverstümmelung wurde. 2013 kam das Drama „3096 Tage“ ins Kino, über Natascha Kampuschs Zeit in Gefangenschaft ihres Entführers Wolfgang Priklopil. Sowohl Dirie als auch Kampusch waren hinter den jeweiligen Filmprojekten gestanden; Hormann war es in beiden Fällen gelungen, eine hochdramatische Materie behutsam auf die Leinwand zu bringen, ohne den Protagonistinnen die Deutungshoheit zu nehmen.

Szene aus dem Film „Nur eine Frau“
Filmladen/Mathias Bothor
Auf dem Weg in ein eigenes Leben: Bei der Ausbildung zur Elektrotechnikerin blüht Aynur auf.

In „Nur eine Frau“ kann die Betroffene nicht mehr mitreden, dafür hat ihr Mörder gesorgt. Doch Hormann und Oeller haben sich entschieden, ihr trotzdem eine Stimme zu geben. „Dass solche Stimmen nicht ausgelöscht werden dürfen, ist mein primäres Anliegen“, sagt Hormann dazu im ORF.at-Interview. Natürlich kann man es als Anmaßung betrachten, einer toten Frau eine Stimme zu geben. Natürlich sind diejenigen, die dieser Frau eine Stimme geben, alle weiß, und haben keine vergleichbaren Rassismuserfahrungen.

Der Nachfrage entgegnet Hormann defensiv: „Ich lebe in Berlin, und ich sehe Hatun Sürücü nicht als Fremde, sondern als Freundin, als eine Mitbewohnerin in meiner Stadt. Also ist das auch Teil meiner Geschichte, nicht einer anderen Kultur.“ Einen Film, in dem eine türkisch-deutsche Regisseurin Sürücüs Leben und ihren Tod nacherzählt, gibt es bereits, das war 2010 Feo Aladags „Die Fremde“, mit Sibel Kekilli in der Hauptrolle, die damals im Interview sehr deutlich war: „Es gibt keinen Mord aus Ehre. Mord ist Mord, und das ist nicht ehrenhaft, nicht im Geringsten. Das ist genauso feige und dumm, wie wenn man sagt, unsere Religion, der Islam, rechtfertigt das.“

„Nur eine Frau“ lässt die Stimme von Aynur sarkastisch-flapsig, dann wieder anklagend erzählen, aber immer frisch die Geschehnisse kommentieren, die durch Fotos der echten Aynur, auch einzelne private Filmaufnahmen in der Realität verankert sind. Zuerst spricht sie ein weißes, deutsches Publikum an, später dann ihre Brüder. Der jüngste, der Mörder, dem hatte Sürücü die Windeln gewechselt, den hatte sie geliebt. Und trotzdem hatte ein pervertierter Ehrbegriff ihn dazu gebracht, seine Schwester zu töten.

Eine Jeanne d’Arc der Berliner Hinterhöfe

Die Schuldigen sind klar. Der Mörder hat im Gefängnis seine Jugendstrafe abgesessen und wurde dann in die Türkei abgeschoben. Die älteren, möglicherweise mitschuldigen Brüder sind ebenfalls in der Türkei. Der kleine Sohn lebt unter falschem Namen bei einer Pflegefamilie. Die Sympathien des Films sind unweigerlich bei Aynur. Trotzdem wird deutlich, wie sehr auch diese Brüder der rigiden patriarchalen Geschlechtertrennung unterworfen sind, der absurden Abwertung ihrer Schwestern, der völligen Körperfeindlichkeit.

Bei aller Bestürzung gelingt „Nur eine Frau“ der Bogen zu einem ermutigenden Finale: Aynur ist „eine Jeanne d’Arc der Berliner Hinterhöfe“, sagt Hormann, „sie hat Mut, sie hat Kraft, sie hat etwas Kriegerisches.“ Und dann gibt es noch ein junges Mädchen, das im Film beinah denselben Überzeugungen zum Opfer fällt, die Motiv für Aynurs Ermordung waren. Sie ist am Ende Kronzeugin im Prozess, „eine, die langsam in dieses Bewusstsein hineinwächst, wie schnell man von einer Doktrin instrumentalisiert wird, – und wie man diese dennoch hinter sich lassen kann.“