Kunstwerk „Discordo Ergo Sum“ von Renate Bertlmann bei der Biennale in Venedig
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Kunstbiennale Venedig

Aufgespießte Rosen und ein Totenschiff

Am Samstag ist in Venedig offiziell die 58. Kunstbiennale gestartet. Der Österreich-Pavillon, gestaltet von Renate Bertlmann, wartet mit 312 roten Glasrosen auf. Bereits im Vorfeld für politische Kontroversen sorgte das ausgestellte Wrack eine Flüchtlingsschiffs, bei dessen Untergang Hunderte Menschen starben.

Es war eine der größten Katastrophen im Mittelmeer: Im April 2015 sank ein mit Hunderten Menschen besetztes Flüchtlingsschiff nach einer Kollision mit einem portugiesischen Frachter. Nach Angaben der UNO kamen damals bis zu 800 Personen ums Leben; nur 27 konnten aus dem Wasser gerettet werden. Das Wrack lag jahrelang auf einem NATO-Militärstützpunkt auf Sizilien.

Nun hat der Schweizer Künstler Christoph Büchel – der 2010 in Wien mit der Einrichtung eines Swingerclubs in der Secession für Aufsehen sorgte – das 20 Meter lange und 50 Tonnen schwere Schiff nach Venedig transportieren lassen, wo es als Teil der Hauptausstellung im Arsenale gezeigt wird. Aus Italiens Regierungsparteien wurde Kritik an der „Barca Nostra“ (Dt.: „Unser Boot“) genannten Installation laut.

Kunstwerk „Barca Nostra“ bei der Biennale in Venedig
APA/AFP/Tiziana Fabi
Das ausgestellte Wrack eines Flüchtlingsschiffs, in dem Hunderte Menschen starben, empört Italiens Regierungsparteien

„Da Büchel Schweizer ist, sollte er das Wrack in die Schweiz bringen, damit man dort nachdenkt, wie man Wirtschaftsmigranten aufnimmt“, sagte Roberto Ciambetti, Präsidenten der venezianischen Regionalrats und Mitglied der rechtspopulistischen Lega. Lega-EU-Kandidat Gianantonio Da Re meinte, die Ausstellung des Wracks habe nichts mit Kunst und viel mit Politik zu tun. Auch die mit der Lega regierende Fünf-Sterne-Bewegung protestierte: „Das Wrack sollte vor dem EU-Sitz in Brüssel ausgestellt werden. Denn die EU ist nicht in der Lage, eine einheitliche Politik zur Unterstützung Afrikas zu betreiben“, so der Fünf-Sterne-Politiker Federico D’Inca.

Interessante Zeiten

Der Präsident der Biennale, Paolo Baratta, verteidigte die Installation. „Das Wrack regt die Menschen zum Nachdenken an und spricht das Gewissen an. Das ist eine Hauptaufgabe der Kunst“, sagte Baratta. „Barca Nostra“ sticht ein wenig aus der Hauptausstellung, die im alten Hafengelände Arsenale und dem Zentralpavillon Giardini della Biennale gezeigt wird, heraus. Politisches und Dokumentarisches zum Hier und Jetzt, das der Titel „May You Live in Interesting Times“ (Dt.: „Mögest du in interessanten Zeiten leben“) eigentlich suggerieren würde, sind hier, anders als in einigen Länderpavillons, rar.

Kunstwerk „Can’t Help Myself“ von Sun Yuan und Peng Yu bei der Biennale in Venedig
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Erinnerungen an Hermann Nitsch: Eine Maschine, die blutrote Farbe wegkehren soll

Die Schau konzentriere sich auf Kunstschaffende, die vorhandene Denkgewohnheiten infrage stellen und „unsere Interpretation“ von Objekten, Bildern, Gesten und Situationen öffnen, so Kurator Ralph Rugoff. Der US-Amerikaner setzt auf Kunst, die in der Tradition des Modernismus steht. Modernistisch inspirierte Formen spielen in der gesamten Ausstellung eine tragende Rolle: Die US-Amerikanerin Carol Bove zeigt zerknitterte Metallskulpturen, ihre Landsfrau Nicole Eisenman präsentiert im Arsenale überlebensgroße Kopfskulpturen, die Verweise auf die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts nicht verhehlen wollen.

Biennale-Präsident Paolo Baratta und Kurator Ralph Rugoff
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Biennale-Präsident Baratta und Kurator Rugoff

Aber auch der Chinese Liu Wei erinnert mit überdimensionalen Alugebilden an avantgardistische Bühnengestaltung, ebenso gilt das für die Arbeit von zwei weiteren chinesische Künstlern: Sun Yuan und Peng Yu haben im Zentralpavillon mit einem überdimensionalen Roboterarm, der rote Farbe wegkehren soll, einen zentralen Blickfang der Ausstellung geschaffen.

Farbgrafik von Ulrike Müller
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Werk von Ulrike Müller, der offiziell einzigen österreichischen Künstlerin, die in der Hauptausstellung vertreten ist

In diesen Kontext fügen sich auch die Bilder von Ulrike Müller: Die einzige offizielle österreichische Teilnehmerin der Hauptausstellung zeigt in unterschiedlichen Techniken angefertigte Farbgrafiken, die teils an Scherenschnitte des späten Henri Matisse, teils aber auch an eine modernistische Werbesprache erinnern. Zudem hat ein namentlich nicht genannter Österreicher jene übertrieben grotesken Krampusmasken angefertigt, die der US-amerikanische Künstler Jamie Cameron in seiner Installation „Smiling Disease“ (Dt.: „Lachkrankheit“) im Arsenale ausstellt.

Goldener Löwe an Litauen

Der Hauptpreis für den besten nationalen Beitrag ging an Litauen. Die Opernperformance „Sun & Sea (Marina)“ auf einem künstlichen Strand im litauischen Pavillon übt Kritik am Lebensstil des vielen Reisens, Konsums und Arbeitens. Sie geht auf die Zerbrechlichkeit der Welt, den Klimawandel und das Artensterben ein.

Der US-amerikanische Filmemacher und Kameramann Arthur Jafa gewann indes den Goldenen Löwen als bester Künstler für sein Video „The White Album“, mit dem er das hochaktuelle Thema Rassismus aufgreift und unter anderem Hassvideos aus dem Internet zeigt.

Widerspruch als Daseinsgrund

Der 1934 errichtete Österreich-Pavillon wird in diesem Jahr erstmals von einer Einzelkünstlerin bespielt, der Wiener Performancekünstlerin Renate Bertlmann. Gezeigt werden vor allem Zeichnungen und Fotos zu Bertlmanns radikalfeministischem Werk der 1970er und 80er Jahre. Obwohl die 76 Jahre alte Künstlerin vor der Fassade des Pavillons in geschwungenen Lettern „Amo, ergo sum“ (Dt.: „Ich liebe, also bin ich“) montieren ließ, eine Anspielung an ein Ausstellungsprojekt aus dem Jahr 1982, nennt sich ihr Biennale-Beitrag programmatisch „Discordo, ergo sum“ (Dt.: „Ich widerspreche, als bin ich“).

Performancekünstlerin Renate Bertlmann bei Biennale

Bei der Biennale in Venedig wird erstmals in seiner Geschichte der Österreich-Pavillon von einer Künstlerin alleine bespielt.

Bertlmanns Widerborstigkeit wurde und wird insbesondere in ihren historischen Performances, die als ein quasi Best-of ihres Schaffens in Venedig präsentiert werden, deutlich. Inhaltlich drehte sich in diesen Arbeiten fast alles um Sexualität, Pornografie sowie Machtfragen im Geschlechterverhältnis. In „Deflorazione in 14 Stazioni“ (1978) beschäftigte sich die Künstlerin in einer Performance mit Entjungferung, in „Let’s dance together“ rief sie an einen Rollstuhl gefesselt zum Mittanzen auf, in „Schachmatt Wien – Moskau“ fungierten Penisse als Schachfiguren.

Ausstellungshinweise

Die Kunstbiennale Venedig läuft noch bis 24. November. Mit der Bertlmann-Schau „Hier ruht meine Zärtlichkeit“ wird am 25. Mai die Landesgalerie Niederösterreich in Krems eröffnet – mehr dazu in noe.ORF.at.

Abgesehen von männlichen Geschlechtsorganen sind in der Ausstellung auch Bertlmann’sche Markenzeichen wie Schnuller, Kondome sowie andere stumpfe wie spitze penisförmige Gebilde zu sehen. Im Eingangsbereich wird die Ausstellung erst ab einem Alter von zwölf Jahren empfohlen. Aber auch manche Erwachsene dürften auf die Radikalität der Wiener Künstlerin eher verstört reagieren. Zudem schuf die Künstlerin eine neue Installation. Im Hinterhof wurden 312 rote Rosen aus Murano-Glas auf Fleischspieße drapiert. Auch hier spielt das Retrospektive eine zentrale Rolle: Spieße zählen als Phallussymbol zu einem Standardelement von Bertlmanns Werk.

Premiere für Ghana und Madagaskar

Die diesjährige Biennale wartet zudem mit mehreren Premieren auf. Erstmals gibt es ein offizielles Performanceprogramm, entworfen von Rugoff und Aaron Cezar, Leiter der Delfina Foundation in London. „Es ist so unglaubliches Potenzial vorhanden, die Gärten und Gründe zwischen den Pavillons und der Hauptausstellung zu bespielen“, sagte Cezar der „Financial Times“.

Hände-Kunstwerk von Lorenzo Quinn bei der Biennale in Venedig
AP/BLJ
Nicht zu übersehen: Lorenzo Quinns Skulptur „Building Bridges“

Zum ersten Mal bei der Kunstbiennale dabei ist Ghana. Gestaltet wurde der Pavillon von David Adjaye. Der Fokus liegt auf den Werken von Kunstschaffenden aus dem westafrikanischen Land und der ghanaischen Diaspora. Ebenfalls seinen Einstand feiert Madagaskar, zu sehen sind Werke des Medienkünstlers Joel Andrianomearisoa. Insgesamt sind heuer sieben afrikanische Staaten in Venedig vertreten, einer weniger als im Vorjahr.

Die wahrscheinlich markanteste Skulptur kommt bei der 58. Kunstbiennale von Lorenzo Quinn, Sohn von Hollywood-Star Anthony Quinn. Sechs Händepaare mit einer Höhe von jeweils 15 Metern bilden eine Art Torbogen über einen Kanal im Arsenale. Der 52 Jahre alte Künstler war bereits 2017 auf der Biennale vertreten – damals ebenfalls mit überdimensionalen Händen.