Harald Vilimsky im ORF.at-Interview

1. Franz Karner: Was muss sich in der Europäischen Union verändern, damit sich mehr Österreicher als Europäer sehen und mit den politischen Inhalten identifizieren können?

Also die Europäische Union soll abschlanken, wir sollen die Kommission halbieren. Wir haben 28 Kommissare, die kein Mensch kennt. Es ist sogar Teil des Lissabon-Vertrages, um ein Drittel die Kommission zu verkleinern. Das ist einmal das Erste, um zu zeigen: Man wird beweglicher, man spart an sich selbst! Das Europäische Parlament könnte sich auch reduzieren mit 751 Mandataren, gleichzeitig auch Sorge dafür tragen, dass künftig nicht 30.000 registrierte Lobbyisten Zugang in das Europäische Parlament haben. Ein einziger Sitz, also nicht diese Doppelgleisigkeit Brüssel – Straßburg. Das wäre einmal die Reduktion in struktureller Hinsicht. Und inhaltlich hätte ich gerne, dass die Europäische Union Kompetenzen zurückgibt an ihre Mitgliedsstaaten und damit den nationalen Parlamenten, aber auch unter Miteinbeziehung direkter Demokratie wieder mehr Spielräume für die einzelnen Mitgliedsländer bleibt.

2. Erich Leitgeb: Welche konkreten Reformen fordern Sie, um einen Austritt Österreichs aus der EU nicht mehr als Option zu sehen. Wie beurteilen Sie die Vorgänge im Vereinigten Königreich? Beglückwünschen Sie das britische Volk weiterhin zum Ausgang des Referendums?

Also, erstens einmal ist es schade, dass sich überhaupt das ereignet hat, was sich ereignet hat, und dass eine Mehrheit in der britischen Bevölkerung sagt, sie wollen die Europäische Union verlassen, weil die Briten ein guter Reformpartner wären, um eine inhaltliche Druckkulisse auf diesen Reformprozess in Brüssel zu bewerkstelligen. Jetzt muss man schauen, nachdem das so ausgegangen ist, wie es ausgegangen ist, dass man auf Augenhöhe und in Freundschaft zueinander diese Beschlüsse auch entsprechend umsetzt. Und zu den Briten, die ja Teil der europäischen Völkerfamilie sind, eine freundschaftliche und gute Kooperationsbasis bewahrt.

3. Anonym: Warum haben Sie im Europäischen Parlament gegen die Aufstockung von Frontex gestimmt, obwohl Sie in einem Interview (mit „News“) gesagt haben, dass die EU dringend einen effektiven Außengrenzschutz braucht (Die Regierung predigt das ja auch permanent)?

Das eine schließt das andere nicht aus. Bei Frontex, was eine EU-Agentur ist, haben wir das Problem, dass der Auftrag oder das Mandat, das an Frontex gerichtet wurde, nicht unseren Erwartungen entspricht, weil hier weniger der Schutz der Außengrenzen Thema ist, sondern mehr, dass Personen die in „Seenot“ geraten, 20 Kilometer zum Beispiel von der libyschen Küste weg, 500 Kilometer weit nach Europa gebracht werden von den Rettern. Das ist etwas was ich nicht mach, sondern ich will den Menschen in der Region helfen. Wie kann ich Außengrenzschutz wahrnehmen? Da haben wir ein Modell, das glaube ich recht gut ist und auch ein Beispiel für die Kooperation in Europa, das nämlich folgende Modell der Vereinten Nationen, wo es gemeinsame Kontingente gibt, auch aus den Mitgliedsstaaten, aus den Armeen, aber auch aus den Polizeikörpern folgendem UN-Modell, hier gemeinsam Kontingente gestellt werden und Europa gemeinsam seine Außengrenzen schützt.

4. Martina Steiner: Ich schätze Ihre verantwortungsvolle Aufgabe sehr. 1. Wie wird man mit den unberechtigt in Österreich befindlichen Migranten fertig? 2. Österreich und Deutschland klagen über Fachkräftemangel. In Griechenland, Süditalien und Spanien gibt es eine enorme Zahl an Jugendlichen ohne Beschäftigung. Wieso werden diese nicht motiviert, zu uns zu kommen?

Also, ich fände das sogar sehr gut, wenn wir sagen, dass ein Facharbeitermangel in bestimmten Sektoren herrscht, und wir nicht aus Arabien oder aus Afrika oder entfernten Ostgebieten hier Personen herholen, sondern aus der Europäischen Union selbst, wo ja das Prinzip der Arbeiterfreizügigkeit gegeben ist – ich sage etwa im Tourismus können Italiener zum Beispiel sein, die ja auch leiden unter hoher Arbeitslosigkeit im Bereich von jungen Menschen. Hier darauf zurückgreifen und nicht auf Länder Arabiens oder Afrika.

5. Doris: Was tun Sie auf EU-Ebene bezüglich Eindämmung von Lohndumping, Leiharbeit (die zunimmt) und leistbares Wohnen? Wollen Sie Großkonzerne und Superreiche mehr besteuern? Wenn ja, wie?

Na, warum Konzerne sich entziehen können einer fairen Besteuerung, ist ja direkt die Folge dieser Internationalisierung und Globalisierung. Jetzt jammern darüber, dass die sich da einer gerechten und fairen Besteuerung entziehen … ja, dagegen ist etwas zu machen, keine Frage! Was aber Lohnsituation anbelangt, da möchte ich das nicht aus österreichischer Hand geben. Ich möchte, dass Fragen der Lohnpolitik oder der Sozialpolitik also wirklich in Österreich verbleiben, und wir uns nicht fügen müssen einer Mehrheit auf europäischer Ebene, sondern in Österreich, wo wir einen vitalen, einen guten Arbeitsmarkt haben, wo wir jetzt über Steuerreformen hier mehr Möglichkeiten für die Menschen auch offenbaren, hier das direkt für österreichische Interessenslagen verwendet wird.

6. Anonym: Vizekanzler Heinz-Christian Strache sagte in einem Interview im „Standard“ vom 6.12.2018 zum Thema Klimaschutz: „Alles, was mit Treibhausgasen zu tun hat, wollen wir reduzieren. “ Mit welchen Maßnahmen wollen Sie das auf EU-Ebene machen?

Also, ich habe Vorschläge gemacht, die wir sofort und morgen umsetzen könnten. Auf EU-Ebene diese aberwitzigen Transporte aus dem Bereich landwirtschaftlicher Güter oder auch Lebendtiertransporte zurückzudrängen. Ich seh überhaupt keinen Grund darin, wenn man etwa in Osteuropa Kartoffeln produziert, sie dann quer durch den Kontinent transportiert, um dann irgendwo anders geschält zu werden, in einem weiteren Land werden sie geschnitten und in dem vierten Land dann verkauft. Absurd! Genauso Tiertransporte, die jetzt in holländischen Großfarmen oder in Osteuropa unter sehr günstigen Produktionsbedingungen quer durch den Kontinent geschifft und transportiert werden, zum Teil auch in Drittstaaten gehen. Das ist alles zu unterbinden! Landwirtschaftliche Produkte sollen aus der Region kommen, und ich glaube, wenn wir das alleine schaffen, vermeiden wir Tausende und Abertausende unnützer Lkw-Fahrten und könnten einen wertvollen Beitrag auch für Luft- und für Klimaschutz leisten.

7. Ronald Heidegger: Wie stehen Sie zu einer gesamteuropäischen Kapitalertragsteuer?

Also, das ist die Steuerpolitik, die ich auch nicht aus der Hand geben möchte aus österreichischer Sicht, weil wir in Österreich eine gute Steuerpolitik machen. Eine Steuerpolitik, die auf die Spezifika des Landes ausgerichtet ist, weil wir mit Steuerpolitik auf der einen Seite Entlastung vornehmen wollen, aber auch sozialen Ausgleich garantieren wollen. Und überall dort, wo gerufen wird nach europäischen Steuern, nach europäischen Finanzministern, gibt es von uns eine Absage. Dafür brauche ich das gemeinsame Haus Europa nicht. Wir haben Europa gegründet – nicht Europa, sondern diese europäische Einigung um drei Ziele zu erreichen: Frieden, Freiheit, Wohlstand. Und nicht eine europäische Zentralregierung ins Leben zu rufen mit Finanzministern, mit einheitlichen Steuerregeln. Dafür ist dieses Europa zu unterschiedlich.

8. Anonym: Warum halten Sie die Kooperation mit einem rechtsnationalen Block, dem Marine le Pen etc. angehören, für wichtig, wenn dieser die Auflösung der EU in den Raum stellt? Anstatt einen Block zu gründen, der an der Zukunft der EU positiv arbeitet und Vorschläge zu ihrer Reformierung unterbreitet?

Man muss auch immer im Original studieren inwieweit Dinge, die hier in Österreich behauptet werden, stimmen. Ich kenn die Franzosen sehr gut. Marine le Pen und ihre Partei ist jetzt an der Spitze der Umfragen in Frankreich, und alle die bösen Dinge, die man ihr unterstellt, stimmen in der Form nicht und sind genährt von Falschinterpretationen des politischen Gegners. Die Franzosen, so wie die Italiener, die Ungarn, all unsere Freunde wollen eine positive Reformkulisse, eine Druckkulisse zur Reform der Europäischen Union errichten. Das sind keine üblen Nationalisten oder sonst böse Leute daran beteiligt. Wir haben als Klammer unseres Handelns, dass wir Kompetenzen zurückholen wollen in die einzelnen Mitgliedsstaaten und dann den Mitgliedsstaaten wieder mehr Bewegungsspielraum geben wollen. Und ich würde nie zusammenarbeiten mit jemanden, der extrem ist oder der generell gegen europäische Kooperation sich aussprechen täte.

9. Michael Elstner fragt: Ich wüsste gerne, wie Sie zur Thematik von Überwachung und Privatsphäre stehen. Dazu gehört speziell, ob Sie für eine Regulation der verpflichtenden Vorratsdatenspeicherung sind? Wie stehen Sie zum „digitalen Vermummungsverbot“?

Also, erstens einmal bin ich jemand, der ein Radikaler ist, wenn es um die Freiheit von Menschen geht, ja? Nur die Freiheit von Menschen und jedes Individuums hat dort zu enden, wo die Freiheit des anderen ihren Beginn nimmt. Das ist einmal das eine. Das Zweite, dass wir natürlich eine Situation haben, dass wir mit neuen Bedrohungsbildern, die es gibt – mit Terrorismus, mit Cyberattacken – natürlich auch den Exekutivkörpern die Möglichkeit in die Hand geben, die sage ich, wirklich Bösen, ja, den Terroristen etc. irgendwann dingfest zu werden und hier eine Güterabwägung zu machen zwischen Sicherheitsinteressen der allgemeinen Bevölkerung, aber auch Freiheitsansprüchen gerechtfertigen der Individuen generell … ist also eine schwierige Frage. Ich stehe mehr auf Seite der Freiheit, anerkenne aber, dass hier Behörden Instrumente brauchen, die unter Miteinbeziehung von Rechtschutzbeauftragten und einer genauen Prozesskontrolle auch, also, hier wirklich jenen Personen, die uns Böses tun und die terroristische Aktivitäten setzen wollen, die herauszupicken und dingfest zu machen.

10. Anonym: Die FPÖ will Kompetenzen von der EU zurück nach Österreich holen. Um welche Kompetenzen soll es sich dabei handeln, und welche Vorteile würden sich dadurch für Österreich ergeben? Bei welchen Themen wäre eine nationale Lösung besser als eine auf EU-Ebene gemeinsam koordinierte?

Also die Sozialpolitik ist so ein Beispiel, wo gerade intensivst diskutiert wird auf Ebene der Europäischen Union, hier eine Europäisierung der Sozialpolitik zu machen. Jetzt sage ich, und sagen wir, dass in diesen 28, vielleicht bald 27 Mitgliedsstaaten es so ist, dass Sozialpolitik abhängig von den jeweiligen Spezifika ist, dass die über Jahre und Jahrzehnte gewachsen ist, ihren Sinn hat in den jeweiligen Mitgliedsländern. Und wenn man jetzt hier eine Europäisierung macht und das hohe österreichische Sozialsystem in Übereinstimmung bringt mit anderen Sozialsystemen, die nicht diesen Entwicklungsstand haben oder aufgrund anderer Dinge eine andere Ausrichtung haben, hieße das ja, dass man das hohe österreichische zurückfahren muss, um uns irgendwo anzugleichen, anderen. Das möchte ich nicht haben, ein Beispiel. Anderes Beispiel ist Asylpolitik, wo ich auch nicht möchte, dass Österreich hier jegliche Entscheidungshoheit aus der Hand geben muss, um hier Beschlüssen aus Brüssel, aus der Europäischen Union folgen zu müssen, und wir schon in Eigenverantwortung Fragen der Zuwanderung und Asylpolitik gestalten können wollen und müssen.

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