High Heels beim Film Festival in Cannes
Reuters/Jean-Paul Pelissier
Werteverschiebung

Schwindender Absatz bei High Heels

Nach mehr als fünf Jahren im Dauertrend sind sich Expertinnen und Experten einig: Sneakers sind gekommen, um zu bleiben. High Heels hingegen scheinen in der Gesellschaft zunehmend an Halt zu verlieren – nicht zuletzt wegen aufstrebender feministischer Bewegungen.

Marken wie Nike und adidas waren die ersten, die das Potenzial der Sneakers erkannt haben, doch schnell zogen auch Luxuslabels nach. Seit Karl Lagerfeld 2014 bei seiner Chanel-Haute-Couture-Show alle Models radikal mit Sneakers auftreten ließ, konnte der Siegeszug der Turnschuhe nicht mehr gestoppt werden. Laut der internationalen Modesuchmaschine Lyst führen Sneakers mittlerweile sowohl bei Frauen als auch Männern das Ranking der am stärksten gefragten Modeartikel an.

Längst sind Turnschuhe auch bei fast allen öffentlichen und beruflichen Anlässen erlaubt. Die junge Generation habe sich von der sexistischen und diskriminierenden Idee gelöst, dass Frauen im Büro Absätze zu tragen hätten, sagte Morgane Le Caer, Fashion Insight Reporterin bei Lyst der BBC. Weiter heißt es dort: Es sei vielleicht kein Zufall, dass der Aufstieg der Sneakers mit der neuen Welle des Feminismus sowie mit dem großen öffentlichen Diskurs über Menschen, die sich nicht eindeutig mit einem Geschlecht identifizieren, zusammenfiel. Da Sneakers für eine inklusivere Art des Sich-Kleidens stünden, seien sie zu einem Symbol unserer Zeit geworden.

Milan Fashion Week 2018
Reuters/Alessandro Garofalo
"Es ist vielleicht kein Zufall, dass der Aufstieg der Sneakers mit der neuen Welle des Feminismus zusammenfiel“, schreibt die BBC

Der französische Schuhdesigner Christian Louboutin soll einst auf die Frage, was Männer so attraktiv an Frauen in High Heels finden, geantwortet haben: „High Heels lassen Frauen langsamer werden und geben den Männern so mehr Zeit, sie anzusehen.“ Die Autorin des BBC-Berichts entgegnet dem: „Wenn High Heels ein patriarchales Instrument sind, um eine Frau zu bremsen, so ist der Aufstieg des Sneakers die perfekte Absage daran.“

Sex und Macht in High Heels

Ganz so schwarz-weiß ist es dennoch nicht, zumal die Symbolik immer auch abhängig von einem individuellen Kontext ist. So steht in der Fetischindustrie beispielsweise der Schuh seit jeher für weibliche Macht, Dominanz und Sex. Bei High Heels handelt es sich daher auch in feministischen Debatten um ein höchst kontroverses Thema.

Summer Brennan, Autorin des im März erschienen Buchs „High Heel“, schreibt im britischen „Guardian“ etwa, dass High Heels sie im Berufsleben „auf weibliche Weise mächtig“ werden ließen. Sie seien die „Krawatten für Frauen“, ohne die sie es schwierig finde, sowohl seriös als auch „femme“ auszusehen. Doch ursprünglich wurden Stöckelschuhe von Männern getragen, um ihre „Männlichkeit“ und ihren Status zu vermitteln. Man erzählt sich, dass Ludwig XIV. Absätze trug, um noch größer zu wirken. Zudem waren seine Schuhe für jede Art von körperlicher Anstrengung ungeeignet, was zur damaligen Zeit seinen Status zusätzlich unterstrich.

Ludwig XIV. im Krönungsornat
Public Domain
High Heels wurden ursprünglich getragen, um Männlichkeit und Status zu vermitteln – wie hier bei Ludwig XIV.

Proteste gegen strenge Dresscodes

Heutzutage gibt es noch einige Branchen, in denen Stöckelschuhe in der Kleiderordnung dezidiert vorgeschrieben sind. Die Fluglinie Norwegian Airlines etwa strich nach einer von rund 20.000 Menschen unterzeichneten Petition erst Anfang Mai die High-Heels-Pflicht für Flugbegleiterinnen.

Auch in Japan protestieren derzeit Frauen unter dem Hashtag „#KuToo“ (etwa: Schuhschmerz) gegen die High-Heels-Pflicht am Arbeitsplatz. Anfang Juni brachten japanische Aktivistinnen eine Petition gegen die entsprechende Kleiderordnung beim Gesundheits- und Arbeitsministerium ein – jedoch ohne Erfolg. Die Begründung: An manchen Arbeitsplätzen seien sie „notwendig und angemessen“.

Barfuß auf dem Red Carpet

2018 protestierte Kristen Stewart gegen die „High-Heels-Regel“ auf dem Red Carpet, indem sie ihre schwarzen Louboutins auszog und barfuß über den Teppich ging. Zuvor soll sie gesagt haben: „Solange ihr Männern nicht vorschreibt, Kleid und hohe Schuhe zu tragen, könnt ihr es mir auch nicht vorschreiben. Diese Dinge müssen sich schleunigst ändern.“

Die Akzeptanz von Sneakers in formalen und beruflichen Kontexten habe sich stark verändert, und das werde trotz etwaiger neuer Modetrends auch so bleiben, zeigt sich die Marktforscherin Beth Goldstein gegenüber BBC überzeugt und verweist auf den bei Konsumentinnen hoch gepriesenen Komfortfaktor des Schuhwerks. Goldstein sprach von einem Lifestylewandel für Frauen – sogar passionierte High-Heels-Trägerinnen würden bereits auf „angenehmere“ Modelle umschwenken, heißt es weiter.

„Schwierig, Frauen zurück auf Absätze zu bekommen“

Der Großteil der Luxusmarken führe daher gar keine Modelle mit Absätzen über 90 Millimeter mehr. „Nach etlichen Saisonen mit gemütlichen Schuhen wird es schwierig werden, Frauen wieder zurück auf die Absätze zu bekommen“, meint auch Federica Montelli, Leiterin der Modeabteilung des berühmten Mailänder Kaufhauses La Rinascente.

Ähnlich ist die Situation in Österreich. Eine Anfang des Jahres veröffentlichte Onlineumfrage im Auftrag des Schuhhändlers Deichmann ergab, dass auch hierzulande über 80 Prozent der 500 Befragten auf Komfort setzen. Und die Lieblingsschuhe der Österreicherinnen sind: Sneakers.

Männer in High Heels

Dennoch könnte es in der High-Heels-Branche zukünftig einen weiteren großen Wandel geben. „High Heels für Männer haben in den letzten Jahren sowohl die Laufstege als auch die roten Teppiche übernommen. Das gibt einen Hinweis darauf, wie sich das Verhältnis der Gesellschaft zu den Absätzen möglicherweise wieder ändern könnte“, heißt es in dem BBC-Bericht.

Screenshot www.francescorusso.fr
www.francescorusso.fr
High Heels für Männer als nächster großer Wandel in der Branche? Hinweise darauf gibt es.

Marken wie Gucci, Calvin Klein, Saint Laurent und Balenciaga hätten diese bereits in ihre Kollektion aufgenommen. 2018 startete der italienische Designer Francesco Russo mit einer geschlechtsneutralen Stiletto-Linie, erhältlich in den Größen 35 bis 45. Um ein politisches Statement handle es sich dabei aber nicht, meinte der Designer gegenüber „Vogue“. Er folge damit einfach nur einer „sich vorwärts bewegenden“ Gesellschaft. „Ich denke, es ist unsere Pflicht, Produkte zu produzieren, die der Welt entsprechen“, sagte Russo. Die limitierte Edition war so beliebt, dass sie zum festen Bestandteil des Markenangebots wurde.

„Syro“, ein Schuhlabel aus Brooklyn New York, entwirft wiederum High Heels für männliche, trans- und nicht binäre Personen und folgt dabei dem Motto Diversität durch Sichtbarkeit („diversity through visibility“).

Doch egal ob für Männer oder Frauen – High Heels müssten, so plädiert die BBC-Autorin, von ihren Geschlechtererwartungen und sozialen Normen „befreit“ werden, schließlich handle es sich letztlich „nur um Schuhe“. Das Tragen sollte daher immer eine individuelle Entscheidung sein, denn: „Was die einen als patriarchale Unterdrückung wahrnehmen, ist für die anderen ein machtvoller Befreiungsschlag.“